Es gab eine Zeit, da war Russland-Nähe gefährlich, gefährlicher als heute. «Wir erstreben freundschaftliche und vertrauensvolle Beziehungen zwischen unserm Lande und der Sowjetunion», stand einst auf einem Plakat, das der bekannte Künstler Hans Erni für die Gesellschaft Schweiz-Russland entworfen hatte. Das war zu viel für den damaligen Bundesrat. Er verbot das Plakat als nicht vereinbar mit der Neutralität. Erni wurde geächtet – heute würde man dem wohl canceln sagen. Eine von ihm ausgearbeitete Banknoten-Serie kam nie in Umlauf, sondern wurde von der Nationalbank als Reserve schubladisiert. 36 Seiten dick war die Fiche, die der Staatsschutz über Erni anlegte.
Damals, in den 40er-Jahren, bestand die Gesellschaft Schweiz-Russland aus einem illustren Zirkel namhafter Intellektueller. Maler und Architekt Paul Camenisch war Mitglied und Kirchenvater Karl Barth, ebenso der spätere Basler Ständerat Carl Miville und Essayist Konrad Farner. Im Kalten Krieg bot der Verein Schweizer Kommunisten eine Heimat, durchaus auch mit politischer Schlagkraft. Mittels einer Petition mit über 120'000 Unterschriften zwang die Gesellschaft den Bundesrat schliesslich, diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion einzurichten.
Von einer solchen Macht ist die Gesellschaft Schweiz-Russland heute weit entfernt. Erst die Öffnung und dann die neuerliche Abkehr vom Westen durch die Russische Föderation haben den Verein politisch mehrfach durchgeschüttelt. Etwa 200 Mitglieder halten dem Verein mit Domizil in Riehen BS die Treue. Und doch scheint sich etwas zu tun.
«Seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine haben wir drei Abgänge zu verzeichnen», sagt Felix Werner, der den Verein seit 2019 leitet. «Dem stehen 40 Neuanmeldungen gegenüber.» Werner ist nicht irgendwer: Er war Vizepräsident der Liberalen Partei Basel-Stadt und in der Geschäftsleitung des Basler Gewerbeverbandes. Nationale Bekanntheit erfuhr er indes als Mit-Initiant des Schweizer Buchpreises. Dass in Zeiten der Krise der Verein wächst, ist nicht neu: Schon mit Ausbruch des Kalten Krieges stiegen die Mitgliederzahlen sprunghaft.
Als Putin im Februar 2022 die Ukraine überfiel, reagierte die Gesellschaft Schweiz-Russland schnell. In einem Statement verurteilte sie die Invasion und forderte ein Einstellen aller Kriegshandlungen. «An unserer Haltung hat sich grundsätzlich nichts geändert», sagt Werner heute. Noch immer fordert er einen raschen Frieden.
Auch wenn er sich nicht in einen «geopolitischen Diskurs» begeben will: Zuletzt fiel der Verein zunehmend mit Solidaritätsbekundungen gegenüber Russland auf. In einem Reisebericht von Anfang Jahr schildert eine anonyme Person, wie der Westen für Unverständnis sorgt in Russland, obwohl man dort recht tolerant sei: «Man nimmt quasi achselzuckend zur Kenntnis, dass einiges anders gemacht wird als in Russland – was die Durchsetzung von Regeln anbelangt zum Beispiel.» Der Ukraine-Krieg wiederum wird mit Sicherheitsbedenken vor der russischen «Eigenständigkeit» apostrophiert. Angesichts der Invasion und des Völkerrechtsbruchs Putins eine recht eigenwillige Deutung.
Werner selbst will sich nicht auf dieses heikle Terrain begeben. Seine Trennung sieht so aus: Ja, man kann den russischen Staat für seine Handlungen verurteilen. Sanktionen gegen Privatpersonen hingegen hält er nicht für gerechtfertigt. Reise-Erschwernisse, Ausgrenzungen oder die Schwierigkeit, Geld nach Russland zu transferieren, findet Werner unfair. Aus ihm spricht dabei auch die persönliche Erfahrung. Seine Frau ist Russin.
Engagieren möchte sich Werner dafür in der Völkerverständigung. «Je länger die aktuelle Situation andauert, desto tiefer werden die Gräben», ist sich Werner sicher. Ein Projekt, das er angehen will, ist ein Studentenaustausch zwischen der Schweiz und Russland. Werner hat gemäss eigenen Aussagen bereits Kontakte knüpfen können zu einem Professor der Lomonossow-Universität in Moskau. Allerdings bedarf es nur wenig Recherche, um zu erfahren, dass auch vermeintlich harmlose Projekte schnell politisch kontaminiert sein könnten: So ist der Rektor der besagten Universität nur aufgrund Putins Gnaden und einer Amtszeitverlängerung durch die Staatsduma in Amt und Würden. Putins Tochter Katerina Tichonowa wiederum zeichnet nicht nur verantwortlich für den Ausbau eines Technologieparks der Uni, sondern auch für ein Vorhaben mit dem Namen Innopraktika: Dieses soll Studierenden der Lomonossow-Universität einen Austausch in andere Teile der Welt ermöglichen. Zur Putin-Nähe passt, dass der Innopraktika-Verwaltungsrat durchsetzt ist mit ehemaligen KGB-Funktionären.
So schnell werden Moskauer Studis nicht in die Schweiz gelangen. Werner hat gemerkt, dass die Sache mit Visa komplizierter sein könnte als ursprünglich angenommen. «Zunächst konzentrieren wir unsere Aktivitäten auf Veranstaltungen über die russische Kultur in der Schweiz», sagt er. Und dann möchte er seinen Verein zukünftig breiter aufstellen: Bis zu den Sommerferien will er in einer Mitgliederversammlung einen neuen Vorstand wählen lassen. (aargauerzeitung.ch)
Sobald sich Russland hinter die UKR-Grenzen (VOR der Kriminvasion im 2014) zurückgezogen hat, kann man über die Sanktionsaufhebungen nachdenken - vorher auf keinen Fall!
schon klar, hat er eine andere Sicht und findet die Sanktionen unfair - weil er selber drunter leidet... 🤦🏼♂️