Das Bartolomeo-Ressort ist ein Treffpunkt der Schönen und Reichen. Gut betuchte Ukrainer räkeln sich am Swimmingpool oder sitzen im Halbrund vor einer Konzertbühne, direkt am Ufer des Dnjepr. Dort sippen sie an ihren Drinks oder stochern gelangweilt im Essen herum. Die Frauen, mehrheitlich zwischen 20 und 30 Jahre alt, ähneln sich alle - wegen ihrer aufgespritzten Lippen. Auf dem Parkplatz fährt ein junger Ukrainer mit nacktem tätowierten Oberkörper in einem Mercedes-Maybach vor, während zwei Blondinen im Tiger Look einem roten Bentley entsteigen und auf Stilettos von dannen stöckeln.
Wir befinden uns in Dnipro, dem wichtigsten Logistikzentrum der ukrainischen Streitkräfte für den Krieg im Donbass. Erst in der Nacht zuvor haben die Russen die Stadt mit Marschflugkörpern bombardiert. Zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns etwas weiter südlich in der Nähe des Schwarzen Meers, wo Schiffe der russischen Marine die Kalibr-Lenkwaffen abfeuerten. Am Nachthimmel war eines der gelb-orange leuchtenden Geschosse deutlich zu erkennen. Es flog mit grosser Geschwindigkeit Richtung Dnipro.
Dnipro ist reich. Das lässt sich auch an den luxuriösen Einkaufszentren und den teuren italienischen Restaurants erkennen. Mit vier Brücken über den Dnjepr hat die Stadt aber auch strategische Bedeutung. Ob das den jungen Frauen mit ihren Schosshündchen in der Bar 188, hoch über den Dächern der Stadt, bewusst ist? Wohl kaum, hier geht es darum zu sehen und gesehen zu werden. Wir haben uns mit Dima, einem jungen Soldaten, auf einen Drink verabredet, aber die Türsteher lassen ihn nicht herein. Uniformierte haben kein Zutritt. Offenbar ist der jeunesse dorée der Anblick von Soldaten nicht zumutbar.
Ein Schild am Eingang der Bar verweist zudem darauf, dass sich Leibwächter und Chauffeure in eine eigens für sie bestimmte Ecke zu setzen haben. «Die behandeln Soldaten schlechter als ihre Hunde», sagt Dima und zeigt auf ein weisses Schosshündchen, das es sich neben seinem aufgetakelten Frauchen auf einem Sofa gemütlich machen darf.
Das protzige Verhalten der korrupten Elite löst bei Menschen im Kriegsgebiet Unverständnis, aber auch Resignation aus. Die Front im Donbass, bei der umkämpften Stadt Sewersk, ist nur rund 230 Kilometer von Dnipro in entfernt. Hier wird gestorben, und junge Männer verlieren Arme oder Beine und manchmal auch beides. Das brauchen sich die reichen Bürschchen in den grossen Bevölkerungszentren nicht anzutun, sie können sich dank korrupter Beamter für umgerechnet rund 6000 Franken vom Wehrdienst befreien lassen. Und Scharfschützen an der Front müssen sich ihre Spezialmunition manchmal bei korrupten Offizieren beschaffen. Diese halten einen Teil der westlichen Waffenlieferungen zurück, um sich daran zu bereichern.
Artem, ein einheimischer Zivilist, musste schon 2014 vor den mit den Russen verbündeten Separatisten im Donbass flüchten. Er lebt nun nur 70 Kilometer von seiner alten Heimat entfernt in der Nähe der Stadt Kramatorsk und versucht, irgendwie über die Runden zu kommen. Für die Extravaganz der Reichen in Dnipro hat er nur ein müdes Lächeln übrig. «Wie Enten sehen die Frauen mit den aufgespritzten Lippen aus», ist sein einziger Kommentar.
In Frontnähe haben die Menschen andere Sorgen. Das russische Artilleriefeuer hat zwar stark nachgelassen, seitdem die Ukrainer westliche Geschütze und Präzisionsraketen erhalten haben. In vielen Ortschaften gibt es aber kein fliessendes Wasser mehr, und die Zivilisten müssen mit Plastikkanistern zu Sammelpunkten marschieren, um Wasser von Tanklastwagen zu beziehen.
Denis, ein grosser muskulöser Glatzkopf, bringt uns in die Nähe von Sewersk. Nach der Anfang Juli erfolgten Eroberung von Lissitschansk rund 20 Kilometer weiter östlich, ist die kleine Stadt nun das nächste Ziel der russischen Offensive im Donbass. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Feuerwalze der russischen Artillerie hat nachgelassen, weil die Ukrainer mit den neuen Geschützen und Raketen zahlreiche russischen Munitions- und Treibstofflager und Kommandoposten zerstört haben. Der Kampf ist nun weniger ungleich.
Wo immer uns Denis hinfährt, hören wir neben vereinzelten Einschlägen russischer Granaten nun auch den Kanonendonner der Ukrainer. Ihre Haubitzen haben die Verteidiger gut versteckt. Wenn die Geschütze von einer Stellung in die nächste verschoben werden, sind sie jeweils nur einzeln unterwegs, zum Beispiel eine britische 155-Millimeter-Haubitze vom Typ M-777, die von einem Lastwagen gezogen wird.
Was dabei ins Auge fällt: Obwohl die Strasse nach Sewersk in der Reichweite der russischen Artillerie liegt, verkehren hier Kampfpanzer auf Tiefladern, Treibstofftanker und Munitionstransporter der Ukrainer - meist ungestört. Und das betrifft nicht nur diese kleine Landstrasse, sondern die gesamte Hauptverkehrsachse von Dnipro bis nach Sewersk im äussersten Osten des noch ukrainisch kontrollierten Gebiets. So wird das Unvermögen der russischen Streitkräfte sichtbar, die Nachschubwege der Verteidiger entscheidend zu kappen.
Auch von der angeblich so mächtigen russischen Luftwaffe ist weit und breit nichts zu sehen. In fünf Wochen haben wir mehrere Tausend Kilometer kreuz und quer durch die Ukraine zurückgelegt - vor allem auch in Frontnähe - und dabei keinen einzigen russischen Kampfjet oder Helikopter gehört, geschweige denn gesehen. Nachdem die russische Luftwaffe am Anfang des Kriegs viele Maschinen verloren hat, halten ihre Piloten nun respektvoll Abstand vor der ukrainischen Flugabwehr.
In Slowjansk, einem anderen wichtigen Ziel der russischen Offensive, verkaufen Bauern Früchte und Gemüse vor einem Supermarkt, dessen Kundschaft vor allem aus Soldaten besteht. Auch eines der wenigen geöffneten Cafés bewirtet fast ausschliesslich Uniformierte. Die drei Frauen hinter der Theke sind stolz, dass ihre Espressomischung zu 100 Prozent aus Arabica-Kaffeebohnen besteht.
Die Fenster des Lokals sind mit dicken Spanplatten abgedeckt - zum Schutz gegen Granatsplitter und herumfliegende Trümmerteile. Obwohl der grosse Platz vor dem Rathaus kaum frequentiert wird, sind die Wege sauber gefegt - mitten im Krieg und nur wenige Fahrminuten von der Front entfernt. Nach anfänglichen Erfolgen scheint der russische Vormarsch im Donbass vorerst ins Stocken geraten zu sein.
was ist Putler ausgegangen?
Soldaten?
Munition?
Treibstoff?
...?
Aus dem Bericht werde ich irgendwie nicht schlau. Und die Frage im Tiel wird auch nicht beantwortet.