An ihrem rechten Schienbein befindet sich ein nicht übersehbares Tattoo: Es zeigt Putins Visage, die an Spinnenbeinen befestigt ist. Oberhalb des «Menschentiers» steht: «Big Brother is Watching You» – eine Anlehnung an George Orwells Roman «1984».
«Big Brother» ist in Orwells Werk eine fiktive Figur, die einen totalitären Staat gründete und die totale Macht über die Bevölkerung ausübte. Als Vorlage für die literarische Figur soll vorwiegend einer gedient haben: der sowjetische Diktator Josef Stalin.
An ihrem linken Schienbein ist ein nicht übersehbares elektronisches Gerät angebracht: eine Fussfessel.
Olesya Krivtsova steht unter Hausarrest, weil sie die russische Armee diskreditiert haben soll. In den sozialen Medien hat sich die junge Frau kritisch zum Krieg in der Ukraine geäussert – und ist bereits zum zweiten Mal festgenommen worden.
Ihr drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Alles soll mit einem Instagram-Post begonnen haben. Im Oktober 2022 soll Krivtsova sich in den sozialen Medien kritisch über die Explosion auf der Krimbrücke geäussert haben. Die Verbindung zwischen der Halbinsel Krim und dem russischen Festland gilt als strategisch wichtig. Die Explosion ist vom Kreml als «Terrorakt» bezeichnet worden, bei dem drei Menschen ums Leben gekommen sind.
Des Weiteren soll sich die Studentin in einem Uni-Chat kriegskritisch geäussert haben. Tage danach hat die Polizei die Wohnung von Krivtsova gestürmt, wie CNN berichtet. Die Beamten sollen die junge Frau mit einem Vorschlaghammer bedroht haben. Für die Frau ein Indiz, dass es sich bei den Männern um Personen der Wagner-Gruppe handelte. Denn: Der Vorschlaghammer hat sich bei der paramilitärischen Organisation als ein Instrument der Einschüchterung etabliert.
In einem berüchtigten Video, das der jungen Frau bekannt war, haben die Söldner einen Aktivisten mit einem Hammer hingerichtet. In der Beschreibung des Videos steht: «Der Verräter erhielt die traditionelle Wagner-Strafe.»
Danach ist Krivtsova auf den Polizeiposten gebracht worden. Es war nicht ihre erste Konfrontation mit der Polizei. Bereits im Mai ist die junge Frau verwarnt worden, weil sie Antikriegsplakate verteilte.
Nun steht die Studentin in der Wohnung ihrer Mutter in der Region Archangelsk in Nordrussland unter Hausarrest – jeder ihrer Schritte wird nachverfolgt. Alle Kommunikationsmittel sind ihr verboten worden. Die Mutter vermutet, dass ihre Tochter von einem Kommilitonen verraten wurde.
Krivtsova droht wegen Diskreditierung der russischen Armee und Rechtfertigung von Terrorismus eine bis zu zehnjährige Haftstrafe.
Die junge Frau sei zudem auf die Terrorliste gesetzt worden, auf der Mitglieder des IS, Al-Qaida oder der Taliban stehen.
Olesya Krivtsova ist am 26. Dezember verhaftet worden. Der Prozess steht noch aus. Alexei Kichin, ihr Anwalt, geht davon aus, dass das Gerichtsverfahren in Form eines Schauprozesses stattfinden wird, der darauf abzielt, anderen kriegskritischen Stimmen Angst einzujagen.
Doch die kritischen Stimmen seien in der Region Archangelsk ohnehin schon verstummt. Gegenüber CNN sagt die Mutter der angeklagten Tochter:
Im Staatsfernsehen wird die junge Frau bereits zum Gespött. Der örtliche Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Alexander Novikov, nannte Krivtsova öffentlich eine Närrin, die an die Front nach Donbass geschickt werden soll, damit sie den militärischen Kampf mit eigenen Augen sehen könne.
Ihr Fall ist nicht der erste dieser Art. Dem unabhängigen Menschenrechtsbeobachter OVD-Info zufolge sind in Russland mindestens 61 Menschen wegen des Vorwurfs der Rechtfertigung von Terrorismus im Internet angeklagt worden, bei 26 Fällen kam es zu einer Verurteilung.
Sie ist mutiger als 99% ihrer Landsleute.
Chapeau.