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So reagiert man in Russland auf den Cherson-Rückzug: Schlecht

Besürzte Gesichter am Mittwochabend in der Talkshow «Abend mit Wladimir Solowjow».
Besürzte Gesichter am Mittwochabend in der Talkshow «Abend mit Wladimir Solowjow».bild: rossija 1

So reagiert man in Russland auf den Cherson-Rückzug: Schlecht

11.11.2022, 19:5813.11.2022, 07:48
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Am Mittwoch hat der russische Verteidigungsminister den Rückzug ans linke Dnjepr-Ufer befohlen. Die Entscheidung wurde taktisch begründet. Die westlichen Medien sehen den Schritt als positiv für die Ukraine an; in Russland würde man anderes erwarten. Tatsächlich ist die Stimmung in Russland aber getrübt – auch namhafte Propagandisten wirken unzufrieden.

«Schwierige Entscheidung»

In der Talkshow «Abend mit Vladimir Solowjow» spricht der besagte Moderator am Donnerstagabend von einer schwierigen Entscheidung, die der Kommandeur der Spezialoperation machen musste. Dafür brauche es einen «mutigen Mann». Die Stimmung während der Sendung ist getrübt; Solowjow diskutiert mit seinen Gästen über verlorene, länger andauernde Kriege.

Dabei spricht einer der Gäste vom «grossen Sieg» im Ersten Weltkrieg, als man das Land erfolgreich «befreit habe». Nein, man habe damals Finnland nicht verloren, sondern den Finnen die Unabhängigkeit geschenkt. Solowjow entgegnet, man habe überhaupt nichts befreit, gewonnen oder geschenkt. Man habe schlicht und einfach verloren, genauso wie im Russo-Japanischen Krieg.

Für einen Top-Propagandisten sind das ungewöhnlich klare und harte Worte. Normalerweise geht das russische Narrativ in Richtung glorreiche Vergangenheit. Dass Solowjow gerade jetzt diese eher unangenehmen Themen auspackt, könnte durchaus als Hieb in Richtung Moskau gedeutet werden.

Im Übrigen darf aber die Propaganda-Leier auch hier nicht fehlen: Das Verteidigungsministerium habe absichtlich gewartet mit dem Rückzug. Dies, um den Demokraten mit der Nachricht nicht bei den Midterms zu helfen. Ob dahinter wirklich etwas steckt, ist fraglich.

Kein Kommentar, aber doch ein grosser Kommentar

In einer anderen Talkshow des de-facto Staatssenders NTW vom Donnerstag weigert sich Moderator Norkin, seine eigene Meinung zum Thema zu sagen, denn: Äussert er sich positiv über den Rückzug, gilt das als Aufruf zur Verletzung der territorialen Integrität Russlands, was verboten ist. Äussert er sich negativ, wäre das öffentliche Verunglimpfung der russischen Armee, was im selben Gesetzesartikel auch verboten ist. Beides würde eine jahrelange Haftstrafe mit sich ziehen.

Damit schneidet Norkin ein heikles Thema an: Die zunehmend schwindende Redefreiheit in Russland. Die Sendung geht anschliessend in normalem Ton weiter, der «Schaden» ist jedoch bereits angerichtet. Auf Twitter wurde die übersetzte Aufzeichnung des Vorfalls bereits über 1000 Mal geteilt.

Bestürzung bei Nationalisten gross

Auch im russischen Telegram ist die Stimmung am Boden. Der grosse Milblog-Kanal «Rybar» beschreibt den Rückzug als «traurige und frustrierende Realität». Solche privaten Blogs sind trotz der nationalistischen Einstellung meist direkter und weniger von Propaganda geprägt. Darum erklärt «Rybar» den Lesern auch direkt, wer für den Verlust von «föderalem Territorium» verantwortlich sei: Die Beamten, die den Führern des Landes jahrelang vorgegaukelt hätten, alles sei in bester Ordnung.

Interessanterweise wird der Rückzug mehrheitlich aus politischer Sicht kritisiert, auf taktischer Ebene scheint der Entschluss sinnvoll zu sein. Es geht dabei mehr um die Einmischung der Politik, die nun zur Misere geführt habe.

Die Bilder von der Front, die gerade die Runde auf Twitter und Telegram machen, dürften die Launen in Russland auch nicht gerade heben. Die Soldaten haben Cherson fluchtartig verlassen; vom koordinierten Rückzug sei nichts zu sehen. Auf seinem Telegramkanal schimpft ein russischer Soldat in einem Video über die Ausrüstung, die man habe, und über die Leute, die die Soldaten wieder nach Cherson schicken wollen:

In einem anderen Video ist zu sehen, wie Soldaten zu Fuss eine provisorische Brücke überqueren. Die grosse Brücke ist zu diesem Zeitpunkt bereits unbrauchbar gemacht worden.

In Rot: eine provisorische Pontonbrücke. Im Hintergrund zu sehen ist die (ausserhalb des Bildes) zerstörte Antonowski-Brücke.
In Rot: eine provisorische Pontonbrücke. Im Hintergrund zu sehen ist die (ausserhalb des Bildes) zerstörte Antonowski-Brücke. bild: twitter
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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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MartinZH
11.11.2022 20:50registriert Mai 2019
Ist es nicht paradox, in welcher Gesellschaft die Russen – inkl. propagandistische Scharfmacher im TV – leben?

„Moderator Norkin kann seine Meinung zum Thema nicht sagen, denn: Äussert er sich positiv über den Rückzug, gilt das als Aufruf zur Verletzung der territorialen Integrität Russlands, was verboten ist. Äussert er sich negativ, wäre das öffentliche Verunglimpfung der russ. Armee, was im selben Gesetzesartikel auch verboten ist.“

Beides würde eine jahrelange Haftstrafe nach sich ziehen.

Man kann davon ausgehen, dass viele Russen noch merken werden, in welcher paradoxen Welt sie leben.
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butlerparker
11.11.2022 22:04registriert März 2022
Als ich die Szenen der feiernden, befreiten Menschen in Kherson gesehen habe, schoßen mir die Tränen in die Augen.

"Leute," dachte ich, "Ihr habt Eure Freheit wirklich hart verdient"
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Martin Baumgartner
11.11.2022 21:07registriert Juni 2022
Was ist der Unterschied zwischen Vladimir Solowjow und einen Joghurt?
Der Joghurt hat Kultur!
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