Wladimir Putin opfert weiterhin zehntausende Soldaten, um ukrainisches Gebiet zu annektieren. 1625 Militärangehörige starben oder verletzten sich im Durchschnitt jeden Tag der letzten Woche. Die Wochenverluste liegen zwischen 9000 und 12’000 Menschen. Das ist Rekord und zehnmal so viel wie zu Beginn des Krieges.
Auch die Kriegsmaterialverluste steigen in Rekordhöhen. Doch nur so kann Russland weitere Gebiete der Ukraine einnehmen. Dies vorwiegend südlich von Pokrowsk. Auch die von der Ukraine kontrollierten Gebiete in der Region Kursk werden immer kleiner. Rund die Hälfte davon hat Russland seit August zurückerobert.
1994 unterzeichneten die USA, Russland und Grossbritannien sowie die Ukraine, Belarus und Kasachstan das Budapester Memorandum. Die Ukraine verpflichtete sich dabei, sämtliche Nuklearwaffen, die sie noch aus Sowjetzeiten besass, zu vernichten oder aufzugeben. Als Gegenleistung erhielt der junge Staat Sicherheitsgarantien wie die Achtung der Souveränität und der bestehenden Grenzen.
Während die Ukraine ihren Teil der Abmachung erfüllte, hielt sich Russland bekanntlich nicht an seine Versprechen, annektierte 2014 die Krim und marschierte 2022 endgültig in die Ukraine ein. Dass Putin und seine Schergen seit Kriegsbeginn immer wieder mit einem Nuklearschlag drohen, könnte angesichts des Budapester Memorandums zynischer nicht sein – ist aber effektiv. Damit gelang es Moskau immer wieder, die westlichen Verbündeten, namentlich Deutschland, einzuschüchtern. Mehr dazu hier.
Als weitere Einschüchterungstaktik unterzeichnete Wladimir Putin nun eine neue Doktrin. Darin werden die Bedingungen für den Einsatz von Nuklearwaffen neu definiert. Laut den Bestimmungen kann Russland jetzt Nuklearwaffen auch als Abschreckung gegen Bündnispartner militärischer Gegner einsetzen. Die letzte Entscheidungsgewalt obliegt dabei dem Präsidenten.
Immer wieder zielen Russlands Angriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine. Damit soll die Moral gebrochen werden – doch nicht nur das.
Die heftigen Drohnenangriffe vom letzten Sonntag zielten unter anderem auch auf Infrastruktur, welche für die Sicherstellung der drei verbleibenden Atomkraftwerke in der Ukraine benötigt wird. Russland riskiert damit eine Nuklearkatastrophe vom Ausmass von Fukushima oder Tschernobyl – so die Einschätzung des Nuklearexperten Shaun Burnie von Greenpeace gegenüber dem Guardian.
Atomkraftwerke sind ebenfalls auf eine Stromversorgung angewiesen. Fällt diese aus, droht die Instabilität der Anlagen.
Kreml-Sprecher Peskow verneint es zwar, fünf «Insider» haben der Nachrichtenagentur Reuters aber Informationen zugespielt, nach denen Wladimir Putin bereit sei, mit Donald Trump über einen Waffenstillstand in der Ukraine zu verhandeln. Putin soll dabei darauf beharren, dass der Konflikt entlang der aktuellen Frontlinien eingefroren wird. Verhandlungsspielraum gäbe es östlich von Saporischschja, Cherson und bei Charkiw und Mykolajiw.
Verhandeln will Putin ausschliesslich mit Donald Trump. Der Schachzug ergibt Sinn. Der kommende US-Präsident hat vollmundig das Ende des Ukrainekriegs versprochen. Und das, noch bevor er als Präsident vereidigt werde. Um sich als glorioser Friedensengel und Halter seiner Versprechen zu präsentieren, wird Trump zugetraut, dem russischen Präsidenten grosszügige Zugeständnisse zu machen. Ausserdem gilt Trump als aussenpolitisch ungeschickt. Seine «Deals» und Alleingänge sind berüchtigt.
So unterzeichnete er 2020 ein Abkommen mit den Taliban, welches später von Trumps ehemaligem Sicherheitsberater H.R. McMaster als «Abtretungsvereinbarung» bezeichnet wurde. Es gilt als der Ursprung des Kollapses der afghanischen Regierung und der erneuten Machtübernahme der Taliban. Seither verschlechterte sich die humanitäre Lage im Land massiv. Diverse Menschenrechte, beispielsweise der Schulbesuch von Mädchen, wurden unter den Taliban eingeschränkt.
Auch der Austritt der USA vom Iran-Nuklear-Deal (JCPOA) während Trumps erster Präsidentschaft gilt als Fehler. Iran hat seither viel Uran von «fast waffenfähiger Qualität» angereichert. Damit sei das Land fähig, mehrere Nuklearwaffen zu produzieren – wenn es denn wolle, warnt Rafael Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), immer wieder.
Angesichts der Lage, auch hinsichtlich der Neuwahlen in Deutschland, ändert sich der Ton auch in Kiew: «Wir verzichten nicht auf die Rechte der Ukraine auf ihr Territorium», betonte Wolodymyr Selenskyj bei einer Rede vor dem ukrainischen Parlament, «doch vielleicht muss die Ukraine jemanden in Moskau überleben, um ihre Ziele zu erreichen und das gesamte Staatsgebiet wiederherzustellen.»
Mit «jemanden» ist selbstredend Wladimir Putin gemeint. Selenskyj appelliert damit an die Geduld und spricht die Möglichkeit an, die Kontrolle über einige der besetzten Gebiete so lange den russischen Besatzern zu überlassen, bis Putins grosses Pult neu besetzt wird.
In welche Richtung sich Russland in der Post-Putin-Ära entwickelt – und wann es so weit sein wird –, steht indes in den Sternen. Bei einem möglichen Machtkampf oder einem Regimewechsel in Moskau würden aber sowohl die diplomatischen als auch die militärischen Karten neu gemischt.