Taira heisst eigentlich Yuliia Paiewska. Und Taira war eine Kriegsgefangene der Russen.
Eine ukrainische Heldin war die Militärsanitäterin bereits, bevor die russische Armee ihr Heimatland im Februar 2022 angegriffen hat. Doch das, was die 53-Jährige jetzt der Nachrichtenagentur «Associated Press» (AP) über ihren Einsatz in der belagerten Stadt Mariupol und ihre Tage in russischer Gefangenschaft erzählt hat, macht sie endgültig zu einer Ikone.
Tairas Geschichte, so wie sie die AP-Journalisten erzählen, ist eindrücklich und bedrückend. Es ist eine Geschichte, in der ein echter Prinz sowie ein äusserst brutaler Bösewicht vorkommen und in der eine Kamera und eine Heldin – die kein Schwarz-Weiss, sondern nur Menschlichkeit kennt – die Hauptrolle spielen.
Die Geschichte der AP geht so:
Taira war von 2018 bis 2020 Militärsanitäterin. Danach wurde sie wegen Rücken- und Hüftverletzungen demobilisiert. In der Folge wurde sie Mitglied der ukrainischen Mannschaft, die im April dieses Jahres hätte an den Invictus Games antreten sollen – einer Art paralympische Olympiade für kriegsversehrte Veteranen. Taira wollte im Bogenschiessen und Schwimmen antreten.
Doch es kam alles anders.
Schirmherr und Erfinder der Invictus Games ist der britische Prinz Harry. Und dieser plante nicht nur die Spiele im April 2022 durchzuführen, sondern auch in einer Netflix-Dokumentationsserie «inspirierende Persönlichkeiten» der Spiele zu porträtieren.
Taira hätte eine dieser «inspirierenden Persönlichkeiten» sein sollen. Darum erhielt sie vom britischen Prinzen 2021 eine Body-Cam ausgehändigt, um ihr Leben zu dokumentieren. Und als die russischen Streitkräfte im Februar einmarschierten, richtete sie das Objektiv auf ihr Tun im Krieg.
Mit der kleinen Kamera hat Taira 256 Gigabyte Aufnahmen von ihrer Arbeit im Krieg gemacht. Die Videos zeigen, wie Taira und ihr Team versuchen, die Verwundeten in der belagerten Stadt Mariupol zu retten.
Über die Einnahme von Mariupol sagt Taira der AP:
Tairas Videos sind erschütternd. Denn sie zeigen die Unmittelbarkeit des Krieges – und zeugen trotzdem von einem unbändigen Überlebenswillen der Menschen in der Ukraine.
Die Kamera läuft immer mit. Sie läuft, während Taira verwundete Soldaten behandelt – egal ob russische oder ukrainische. Die Sanitäterin nennt ihre Patienten jeweils «Sonnenschein». Das mache sie mit fast jedem, der in ihr Leben trete, sagt sie der AP. Für ihre Bereitschaft auch russischen Verwundeten zu helfen, wurde sie von ukrainischer Seite auch kritisiert.
Die Kamera läuft auch, als Taira den Tod eines Jungen miterlebt. In den Aufnahmen sieht man, wie die Sanitäterin nach dem Tod des Kindes weinend zusammenbricht, mit blutverschmierten Händen an die Wand gelehnt. Der AP sagt sie, dass dies einer der seltenen Kontrollverluste gewesen sei. Und sie fügt an:
Die Schwester des Jungen konnte die Sanitäterin mit ihrem Team übrigens retten. Sie ist nun eines der vielen Waisenkinder von Mariupol.
Um die wichtigen Zeitdokumente vor der russischen Armee zu schützen, übergibt Taira das gesamte Video-Material zwei Journalisten der AP – dem letzten internationalen Team in Mariupol.
Die Journalisten fliehen am 15. März aus der Stadt, wobei sie den Datenspeicher in einen Tampon stecken und ihn so durch 15 russische Kontrollpunkte schmuggeln.
Am nächsten Tag wird Taira von prorussischen Kräften festgenommen.
Nur Stunden bevor Taira gefangen genommen wird, zertrümmern russische Bomben das Theater von Mariupol – den Hauptbunker der Stadt. Hunderte Menschen sterben.
Taira versucht zu dieser Zeit Kinder, die sich bis dahin im Keller ihres Krankenhauses versteckt hielten, aus der Stadt zu schleusen. Doch russische Kontrollposten entdeckten die Sanitäterin bei ihrem Vorhaben. Der AP sagt sie:
Fünf Tage später geben russische Nachrichtensendungen bekannt, dass Taira gefangengenommen worden war, denn sie – ein Nazi – habe versucht, «getarnt aus der Stadt zu fliehen».
Drei Monate später tauchte Taira wieder auf, am 17. Juni. Dünn ist sie geworden und abgemagert, aber sie lebte.
Taira sei während dieser Zeit in einem Hochsicherheitsgefängnis eingesperrt gewesen, schreibt die AP. Ihre Zelle: drei mal sechs Meter gross mit zehn Feldbetten. Taira teilt sie sich mit 21 anderen Frauen.
Die AP-Journalisten schreiben: «Sie wählt ihre Worte sorgfältig, wenn sie über den Tag ihrer Gefangennahme spricht. Und sie ist sogar noch vorsichtiger, wenn sie über das Gefängnis spricht, aus Angst, die Ukrainer, die sich noch dort befinden, zu gefährden.» Aber immerhin spricht Taira in Kiew mit einem AP-Team.
Die Journalisten fragen Taira, ob sie sich noch schuldig fühle, da sie ihre Mitgefangenen zurücklassen musste. Sie antwortet:
Tatsächlich sind nicht nur die 21 Frauen aus Tairas Zelle, sondern noch hunderte, wenn nicht tausende andere Ukrainer in russischer Gefangenschaft. Der Bürgermeister von Mariupol habe kürzlich gesagt, dass allein in seiner Stadt 10'000 Menschen verschwunden seien.
Taira erzählt, dass die Gefangenen der russischen Propaganda ausgesetzt worden seien. Sie sei sogar gezwungen worden, die russische Hymne zu singen, bis zu 30-mal am Tag.
Zusätzlich seien die Gefangenen durch das schlechte Essen und die schlechten hygienischen Bedingungen zermürbt worden.
Das Schlimmste sei aber gewesen, dass die Gefängniswärter sie unter Druck gesetzt hätten, zu gestehen, dass sie Menschen mutwillig getötet habe. Sie habe dies aber nicht gestanden, darum habe man versucht, ihr Organhandel vorzuwerfen. Diese Anschuldigung sei aber völlig absurd gewesen: «Organe auf dem Schlachtfeld entnehmen – haben Sie eine Ahnung, wie kompliziert diese Operation ist?» Darum habe sie auch das nicht gestanden, sondern gesagt:
Irgendwann habe man sie zu einem scheinbar weiteren Verhör herausgepickt. Doch anstatt Taira zu befragen, hätten die Wärter sie gezwungen, ein Video aufzunehmen, in dem sie erklären sollte, dass es ihr gut gehe. Das habe sie gemacht, obwohl es eine «Lüge» gewesen sei. Kurz darauf sei sie freigelassen worden. Man habe sie sogar noch an dem Gefangenen vorbeigeführt, gegen den sie ausgetauscht worden sei.
Tairas Erzählungen decken sich mit anderen Erzählungen und Berichten. Und sie sind ein weiterer Beweis für die Kriegsverbrechen, die die russische Armee in der Ukraine begehen.
Taira hat Pläne für ihre Zukunft: Sie wolle zuerst wieder gesund werden, dann definitiv an den Invictus Games teilnehmen und danach ein Buch schreiben – und zwar darüber, wie man sich als Gefangener verhalten soll.
Auf die Frage, ob sie den Tod gefürchtet habe in russischer Gefangenschaft, sagt Yuliia Paiewska, dass sie ihren Peinigern jeweils gesagt habe:
(yam)
Solche Menschen gibt es auf beiden Seiten. Sie werden aber viel zu wenig gehört. Zu oft überwiegen Grusel und Gräueltaten.
Ich denke, der Welt ginge es besser, es gäbe mehr Yuliias als Putins oder sonstige Spinner.