Ausnahmezustand an der Ostsee, Teile der Hansestadt Wismar sind am Donnerstag und Freitag Sperrgebiet. Polizei und Sicherheitskräfte riegeln das Gebiet um den alten Holzhafen ab. Im dortigen Technologiezentrum tagt der Ostseerat. Unter anderem trifft die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ihre Amtskolleginnen und Amtskollegen von neun anderen Ostseestaaten.
Die internationale Organisation, die vor mehr als 30 Jahren gegründet wurde, sollte ursprünglich mehr Frieden, Sicherheit und Wohlstand in den Ostseeraum bringen. Die Themen sind aktueller denn je. Denn das Treffen in Wismar wird von der russischen Invasion in der Ukraine überschattet.
On our way from the #NATO Ministerial in #Oslo to the Council of the Baltic Sea States - Looking forward to meeting the rest of the #BalticSea gang in Wismar! #CBSS@TobiasBillstrom @larsloekke @GLandsbergis @thordiskolbrun @andrispelss pic.twitter.com/dnwwCApxxv
— Außenministerin Annalena Baerbock (@ABaerbock) June 1, 2023
Ursprünglich gehörte auch Russland zum Ostseerat. Nach dem Beginn seines Angriffskrieges musste Kreml-Chef Wladimir Putin ihn verlassen. Seit Jahrhunderten war der russische Einfluss im Ostseeraum eine wichtige sicherheitspolitische Konstante für die Grossmacht. Schon mit dem Ende des Kalten Krieges begann sie zu schwinden und inzwischen existiert sie nicht mehr. Denn im vergangenen Jahr strebten auch Schweden und Finnland in die NATO. Die Ostsee ist nun ein NATO-Meer.
Das stellt Russland vor erhebliche Sicherheitsprobleme. Und es rückt die Region insgesamt wieder ins Zentrum geopolitischer Spannungen.
Die Ostsee hat eine belebte Geschichte hinter sich, die oft von Kriegen zwischen Ost und West geprägt war. Auf dem Meeresgrund liegen noch immer zahlreiche Minen, chemische Waffen und Schiffswracks aus dem Zweiten Weltkrieg. Das macht die Ostsee heute zu einem der dreckigsten Meere weltweit.
Einst war die Ostsee Fischern und Bernsteinhändlern vorbehalten. Aber durch ihre Bedeutung für Handels- und Seewege waren ihre Ufer früh umkämpft. Es war der russische Zar Peter der Grosse – in dem Putin ein Vorbild sieht –, der im Grossen Nordischen Krieg von 1700 bis 1721 Schweden besiegte und damit das Russische Zarenreich als europäische Grossmacht und die russische Vorherrschaft im Ostseeraum etablierte.
Diese Vorherrschaft wollte der sowjetische Machthaber Josef Stalin im Winterkrieg ab 1939 mit seinem Angriff auf Finnland ausbauen. Die sowjetische Armee musste sich nach dem erbitterten Widerstand der Finnen zurückziehen, aber Stalin rang dem Kriegsgegner trotzdem ein Zugeständnis ab: die Neutralität Finnlands. Diese endete erst mit Putins Überfall auf die Ukraine.
Nach dem Sieg über Nazi-Deutschland konnte die Sowjetunion ihren Einfluss über den Ostseeraum weiter ausbauen. Die baltischen Länder waren Teil der Grossmacht und im Warschauer Pakt wurden Polen und die DDR sowjetische Satellitenstaaten. Das machte die Ostsee für die Grossmacht auch zu einem wichtigen ökonomischen Faktor. Die Sowjetunion wickelte hier mehr als 20 Prozent ihrer Warenexporte ab.
Für viele Länder in der Region lösten die sowjetische Unterdrückung und die Bedrohung durch die Atommacht ein Trauma aus, das bis heute anhält. Ein Beispiel dafür ist Schweden: Im schwedischen Vokabular gibt es das Wort «Rysskräck», welches laut Duden die Angst vor Russland beschreibt.
Es war der Abend des 28. Oktober 1981, der diese Angst befeuerte. Schwedische Fischer entdeckten das gestrandete sowjetische U-Boot S-363 in Gåsefjärden, nahe der Schären-Insel Senoren, rund 30 Kilometer vom Marinehafen Karlskrona entfernt. Daraufhin änderte Schweden seine Verteidigungspolitik, Militärstützpunkte wurden reaktiviert und auf der strategisch-wichtigen Insel Gotland befinden sich seitdem wieder schwedische Truppen. Im Oktober 2014 ereignete sich ein weiterer Vorfall in schwedischen Gewässern. Ein beschädigtes russisches U-Boot tauchte in der Nähe von Stockholm auf. Vor allem vor dem Hintergrund der Krim-Annexion durch Russland weckte das in Schweden erneut Ängste.
Doch nicht nur Schweden hat Angst. Die baltischen Staaten und Polen warnen seit Jahrzehnten davor, dass Putin bereit ist, seine aussenpolitischen Ziele auch militärisch zu erreichen. Deswegen wurden sie nicht von der NATO einverleibt, wie Russland es oft erzählt. Sie strebten in die NATO, um im Notfall auf Augenhöhe mit Russland verhandeln zu können. Noch heute sagen Menschen in Estland: Wer nicht am Tisch sitze, lande auf der Speisekarte und werde von Putin gefressen.
Deshalb sind die Entwicklungen im Ostseeraum nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht mit dem Expansionsstreben des Westens zu erklären, sondern mit dem Sicherheitsbedürfnis der ost- und nordeuropäischen Staaten. So entschieden sich Schweden und Finnland erst zu einem NATO-Beitritt, nachdem Putin die Ukraine überfallen hatte. Demnach hat Putin selbst das westliche Militärbündnis indirekt gestärkt.
Die Ostsee ist nun ein NATO-Meer und das birgt natürlich auch neue Herausforderungen. Es geht für das westliche Bündnis jetzt darum, die Hoheitsgewässer von neun NATO-Mitgliedsstaaten zu schützen und gleichzeitig die Seewege in internationalen Gewässern zu sichern. Es waren auch die Sprengungen der Nordseepipeline Nord Stream 2, die dem Westen gezeigt haben, wie verwundbar Pipelines und Unterwasserkabel in der Ostsee sein können.
Putin dagegen steckt in einem sicherheitspolitischen Dilemma. Russland hat keine Verbündeten mehr an der Ostsee und nur noch zwei Zugänge – Sankt Petersburg und die russische Exklave Kaliningrad zwischen Polen und Litauen. Nur der Hafen von Kaliningrad ist das ganze Jahr über eisfrei – ein strategischer Albtraum für den Kreml.
Seit Kriegsbeginn hat die NATO ihre Präsenz im Ostseeraum noch einmal gestärkt. So sind etwa deutsche oder französische Fregatten, Minenjagdboote und auch U-Boote im Ostseeraum aktiv, um die NATO-Nordflanke zu sichern und um Aufklärung zu betreiben. Zuletzt ging der US-Flugzeugträger «USS Gerald R. Ford» – das weltgrösste Kriegsschiff – im Oslofjörd vor Anker. Eine Demonstration der Stärke und ein Signal an Putin, dass die NATO den Ostseeraum kontrolliert.
Aus vielen Gründen dürfte das dem Kreml-Chef ein Dorn im Auge sein. Einerseits sieht er historisch die Ostsee in der Einflusszone eines Grossrusslands – zu dem nach seinem Verständnis auch die Ukraine, Belarus und das Baltikum gehören. Andererseits hat er der NATO-Übermacht auf See nicht wirklich etwas entgegenzusetzen.
Im Vergleich zu den russischen Land- und Luftstreitkräften ist die russische Marine eher schwach. Putins einziger Flugzeugträger – die «Admiral Kusnezow» – ist seit 2018 in der Reparatur und nicht einsatzfähig. Der Kreml hat jedoch die Fregatte «Admiral Grigorovich» – vielleicht das modernste russische Kriegsschiff – in die Ostsee verlegt. Ausserdem habe die russische Marine in Sankt Petersburg und bei Kaliningrad signifikante See- und Luftstreitkräfte und an Land Raketenstellungen, die ernst zu nehmen seien, heisst es aus Kreisen der Bundeswehr.
Doch Russland ist sich auch seiner momentanen Verletzlichkeit in der Ostseeregion bewusst und reagiert mit Drohungen – vorwiegend mit Atomwaffen. In Belarus möchte Putin welche stationieren, und der Kreml droht auch mit einer Verlegung der Massenvernichtungswaffen nach Kaliningrad, obwohl die meisten Experten längst davon ausgehen, dass diese schon dort stationiert sind.
Natürlich steigert die Militarisierung des Ostseeraums auch die Gefahr von Zwischenfällen in und über dem Binnenmeer. Die NATO lässt sich von den russischen Drohungen nicht beeindrucken. Regelmässig fangen NATO-Kampfflugzeuge russische Maschinen über der Ostsee ab. Als Reaktion auf die Provokationen liessen die Amerikaner im März 2023 zwei strategische Bomber des Typs B-1B in Richtung Sankt Petersburg fliegen, bis russische Kampfjets sie abfingen.
Immer öfter kommt es über der Ostsee zu solchen militärischen Muskelspielen, die die Alarmrotten der Luftwaffe zu Einsätzen zwingen. Bisher sind sie stets glimpflich und ohne Zwischenfälle ausgegangen. Doch eines ist klar: Die geopolitischen Spannungen gefährden den Frieden, auch im Ostseeraum.
Überall können die Schergen von Putin nicht sein, dafür ist selbst die russische Armee mit all ihren Söldnern und sonnstigen Verbrechern zusammen.
Wenn die Nato, egal wo, intervenieren müsste, wäre schnell fertig.
😳 kaum verstellbar dass es noch schwächer geht