Eine «Migrationswende» einzuleiten, war eines, wenn nicht das zentrale Versprechen, mit dem der damalige deutsche Oppositionsführer Friedrich Merz Ende letzten Jahres in den Wahlkampf zog.
Nach dem Attentat von Aschaffenburg, bei dem im Januar ein psychisch kranker Afghane zwei Menschen tötete, verschärfte der Christdemokrat den Ton noch einmal: Werde er Kanzler, werde es «von Tag eins an» ein «faktisches Einreiseverbot» für illegale Flüchtlinge geben, und zwar auch für solche, die ausdrücklich um Asyl in Deutschland bäten.
Seit Dienstag ist Merz Kanzler. Am Mittwoch kündigte der neue Innenminister Alexander Dobrindt an, worin die «Migrationswende» bestehen soll: 2000 bis 3000 zusätzliche Bundespolizisten will der bayrische Christsoziale an die Grenzen schicken.
Vor allem aber sollen künftig auch Personen, die in Deutschland um Asyl bitten, an den Grenzen der Bundesrepublik zurückgewiesen werden. 2015 hatte die damalige Kanzlerin Angela Merkel eine Weisung erteilt, die dies ausschloss; diese hat Dobrindt nun zurückgenommen. Von einem «Einreiseverbot», wie Merz es im Wahlkampf ankündigte, reden der neue Kanzler und seine Parteikollegen allerdings nicht mehr.
Kontrollen an den Grenzen zu sämtliche Nachbarländern hatte bereits Dobrindts sozialdemokratische Vorgängerin Nancy Faeser im letzten September eingeführt, offenbar mit Erfolg: Zwischen dem 16. September 2024 und dem 6. April seien 34'000 unerlaubte Einreisen registriert und 23'000 Personen zurückgewiesen, sagte Dieter Romann, der Chef der deutschen Bundespolizei, am Mittwoch bei einem Auftritt mit Dobrindt.
Bei den Abgewiesenen handelte es sich allerdings ausschliesslich um Personen, die keinen Asylantrag in Deutschland stellten. Auch solche zurückzuweisen, die um Asyl bäten, verstosse gegen europäisches Recht, meinen die Kritiker der Dobrindtschen Pläne. Dobrindt will die Zahl der Zurückweisungen nun «nach und nach» hochfahren; Kinder und Schwangere sollen davon ausgenommen sein.
Sollte der Christsoziale seine Pläne umsetzen, dürften Friktionen mit Deutschlands Nachbarländern programmiert sein: Polen und Österreich haben bereits angekündigt, Personen, die in Deutschland um Asyl gebeten hätten, nicht zurückzunehmen.
Irritiert äusserte sich am Mittwoch auch das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement: Systematische Zurückweisungen verstiessen gegen geltendes Recht. Die Schweiz bedaure, dass Deutschland diese Massnahmen ohne Absprache getroffen habe. Man prüfe nun die Auswirkungen und denke seinerseits über Massnahmen nach.
Dabei gilt die Kooperation mit der Schweiz eigentlich als Modell, das Deutschland gern auch andernorts einführen würde: An der deutsch-schweizerischen Grenze gibt es bereits jetzt gemischte Patrouillen, die auch auf Schweizer Staatsgebiet stattfinden.
Die relativ weitreichende Zusammenarbeit dürfte auch erklären, warum es an diesem Abschnitt der deutschen Grenze besonders viele Zurückweisungen gibt: Im letzten Jahr waren es rund 11'000.
Sein Ziel sei «Humanität und Ordnung», sagte Dobrindt am Mittwoch, wobei er Letztere stärker gewichten wolle, als dies bisher der Fall gewesen sei. Allerdings strebe er dabei eine enge Abstimmung mit Deutschlands Nachbarländern an, um diese nicht zu überfordern.
Was aus seinen Plänen wird, bleibt abzuwarten: Während CDU und CSU zu glauben scheinen, es genüge, die Nachbarstaaten über die eigenen Massnahmen zu informieren, könnte ihr sozialdemokratischer Koalitionspartner auf mehr Abstimmung mit den Nachbarn pochen.
Zudem bleibt abzuwarten, wie Merz und Dobrindt reagieren werden, sollte tatsächlich erheblicher Gegenwind aus dem europäischen Ausland kommen. An gröberen Konflikten mit Partnerländern kann Berlin angesichts der gegenwärtigen geopolitischen Lage kaum interessiert sein, zumal das Migrationsproblem ohnehin etwas an Dringlichkeit verloren hat: Seit dem Herbst 2023 hat sich die Zahl der Asylsuchenden und Migranten in Mitteleuropa mehr als halbiert. (aargauerzeitung.ch)
Es bräuchte schnelle Verfahren, konsequente Rückführungen, eingeschränkte Bewegungsfreiheit für Nicht-Rückführbare und konsequenter und automatischer Verlust des Aufentaltsrechts bei Gewaltdelikten.