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Die Wahl des neuen Bundespräsidenten in Österreich war in mehrfacher Hinsicht ein hoch interessantes Spektakel. Das finale Duell fand nicht zwischen Kandidaten der «klassischen» Rechten und Linken statt. Die waren in der ersten Runde schmählich gescheitert. Es standen sich der FPÖ-Mann Norbert Hofer und der «unabhängige» Grüne Alexander Van der Bellen gegenüber. Beide verkörpern politische Strömungen, die erst in den letzten Jahrzehnten aufgekommen sind.
Der hauchdünne Sieg Van der Bellens ist die zweite und fast wichtigere Erkenntnis. Nach dem ersten Wahlgang lag er klar hinter Hofer zurück. Das Ergebnis zeigt: Österreich ist ein tief gespaltenes Land mit zwei Lagern, die entgegengesetzte Vorstellungen verfolgen. Die Anhänger des «Rechtspopulisten» wählten ihn, weil er das Volk «versteht». Van der Bellens Wählerschaft hingegen sorgte sich um Österreichs Image in der Welt.
Vereinfacht gesagt fand bei unseren östlichen Nachbarn eine Konfrontation zwischen den Anhängern eines auf sich selbst bezogenen, rückwärts gerichteten Landes und den Verfechtern einer offenen, international vernetzten Gesellschaft statt. Die Österreich-Wahl wird so zum Exempel für eine politische Landschaft, in der die alten Gegensätze zwischen Links und Rechts ausgedient haben und neue Verwerfungen und Bruchlinien entstanden sind.
Der oft beschworene Niedergang der klassischen Volksparteien in Europa bietet dafür bestes Anschauungsmaterial. Die Sozialdemokratie wird vielerorts als Ansammlung von Nostalgikern wahrgenommen, die den «glorreichen 30 Jahren» nach dem Zweiten Weltkrieg nachtrauern. Bei den bürgerlichen Parteien sieht es ähnlich aus. Bestes Beispiel ist die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die persönlich beliebt ist, aber – ausser in der Flüchtlingskrise – nur den Status Quo verwaltet.
Die Menschen erkennen zunehmend, dass dies kein Rezept ist für die Herausforderungen in der heutigen Welt. Sie ist geprägt von einer Globalisierung, die nicht nur wirtschaftlich verstanden werden darf. Globalisierung steht auch für eine Welt, die immer mehr zum «Global Village» wird, in dem vermeintlich ferne Bedrohungen plötzlich vor der eigenen Haustüre auftauchen. Diese können real sein in Gestalt von Terroristen, aber auch diffus. Das betrifft in erster Linie die Digitalisierung, die unser Leben umwälzen wird.
Angesichts dieser Perspektiven manifestiert sich ein neuer Gegensatz in der Politik. Er verläuft zwischen Progressiven und Konservativen, oder besser noch zwischen Modernisten und Traditionalisten. Diese haben derzeit Aufwind, was die Wahlerfolge jener Parteien in Europa belegen, die man gemeinhin als Rechtspopulisten oder Rechtsnationale bezeichnet, obwohl sie in wirtschaftlichen und sozialen Fragen häufig einen Linksdrall aufweisen.
Sie propagieren ein Zurück in die eigenen Grenzen und die eigene Nation – ein Angebot, dem viele nicht widerstehen können, obwohl es bei genauer Betrachtung keine Antwort auf die geschilderten Herausforderungen bietet. Dabei sind diese Traditionalisten keineswegs rein isolationistisch, sie suchen durchaus den Kontakt zu Gleichgesinnten in anderen Ländern. Und sie bewundern vermeintlich starke «Führertypen» wie Wladimir Putin.
Letztlich passen die Traditionalisten nicht in das klassische Schema. Das zeigt sich anhand der Erfolge von Donald Trump und Bernie Sanders in den USA. So gegensätzlich sie auf den ersten Blick sein mögen, so verherrlichen doch beide die «gute alte Zeit», als Amerika noch ein Land der Möglichkeiten für alle war. Innovative Ideen? No way.
Darin manifestiert sich auch das Problem der Modernisten. Es fehlt ihnen häufig schwer, klare und überzeugende Konzepte zu entwickeln, mit denen sie gegen das simple Weltbild der Traditionalisten bestehen können.
In der Schweiz ist dies ebenfalls nicht zu übersehen. Kaum eine Partei überzeugt mit spannenden und visionären Ideen. Aussenpolitisch hat sich selbst Rotgrün weitgehend auf den Erhalt der bestehenden bilateralen Verträge zurückgezogen. Auch innenpolitisch ist das Bewahrende Trumpf. Das zeigen nicht zuletzt die jüngsten Erfolge der Bauernlobby. Die SVP will ohnehin nichts von einer offenen Schweiz wissen, und die SP agiert im Defensiv-Modus.
In der (neuen) Mitte sieht es nicht besser aus. Dabei wären die Grünliberalen prädestiniert als Modernisten-Partei. Bislang aber hatten sie kaum mehr zu bieten als eine unbrauchbare Energiesteuer-Initiative. Die Selects-Studie zu den Wahlen 2015 spricht Bände: Ausser in der Umweltpolitik trauen die Wähler der GLP in keinem Bereich wirklich etwas zu.
Die Mühen der Modernisten täuschen aber nicht darüber hinweg, dass ihr Potenzial beträchtlich ist. Auch das zeigt die Österreich-Wahl. Sie mobilisierte viele Menschen, die den Freiheitlichen Norbert Hofer in der Wiener Hofburg verhindern wollten, am Ende mit Erfolg. In der Schweiz spielte dieser Effekt bei der Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative. Auch sie löste eine enorme Mobilisierung aus, auch in diesem Fall mit positivem Ausgang.
Auch finden sich zunehmend Persönlichkeiten, die eine moderne Reformpolitik vorantreiben, etwa der neue österreichische Bundeskanzler Christian Kern, der italienische Ministerpräsidenten Matteo Renzi, der kanadische Premier Justin Trudeau oder der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Sie könnten eine Aufbruchstimmung erzeugen, sofern die Traditionalisten in den eigenen (linken) Reihen sie lassen.
Den Weg weist ein in den sozialen Medien häufig geteilter Kommentar der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit». Längst nicht alle Argumente überzeugen, ein Ausdruck wie Trash-Faschismus nervt einfach nur. Am Ende aber kriegt Verfasser Bernd Ulrich die Kurve: «Wenn die Liberalen anfangen sollten, zu kämpfen, dann werden sie gewinnen, denn Geschichte voranzubringen ist schwer, sie zurückzudrehen jedoch noch schwerer.»
Ulrich trifft einen wunden Punkt, wenn er diesen «Liberalen» empfiehlt, sich «von einer gewissen sozialen Abgehobenheit» zu verabschieden. Die progressiven, urban denkenden Modernisten müssen ihre linksintellektuelle Komfortzone verlassen und sich auf die ländlich-konservativen Traditionalisten einlassen. Es geht dabei nicht darum, Verständnis für diese Menschen zu entwickeln. Es geht darum, sie zu verstehen.
Dabei gilt die unverwüstliche Maxime des legendären chinesischen Militärstrategen Sunzi: Man muss seine Feinde kennen, wenn man sie besiegen will. Nur wenn man sich mit den Straches, Petrys, Le Pens, Wilders', Orbans, Kaczinskys und ihrem Anhang vertieft beschäftigt, kann man Strategien entwickeln, um vor allem jenes Segment zu überzeugen, dass zwischen Moderne und Tradition hin und her schwankt und häufig den bewahrenden Kräften zuneigt.
Vom alten
Links-Rechts-Schema muss man sich dabei verabschieden. Damit ist kein
Staat und keine Politik mehr zu machen.