Der türkische Präsident Erdogan gibt seine Blockade des NATO-Beitritts von Schweden auf. Das bestätigte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Montagabend bei einer Pressekonferenz im Vorfeld des NATO-Gipfels in Vilnius. Erdogan habe bei einem Treffen mit dem schwedischen Regierungschef Ulf Kristersson zugestimmt, das Beitrittsprotokoll so bald wie möglich dem türkischen Parlament vorzulegen.
Es sei ein «historischer Tag», an dem die Sicherheit aller NATO-Alliierten gestärkt würde, so der NATO-Generalsekretär.
Kurz zuvor sah es noch anders aus: Vor seinem Abflug in die litauische Hauptstadt, wo sich am Dienstag und Mittwoch die 31 Staats- und Regierungschefs der NATO treffen, trieb Erdogan den Preis für sein Einlenken unvermittelt in die Höhe. «Öffnet erst den Weg für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, und dann öffnen wir den Weg für Schweden», sagte Erdogan. Diese Verknüpfung der türkischen EU-Beitrittsambitionen mit dem schwedischen NATO-Beitritt kam für die allermeisten Beobachter überraschend.
Bislang hatte die Türkei stets darauf gepocht, dass Schweden härter gegen mutmassliche PKK-Terroristen vorgehe. Nun verlangte Erdogan plötzlich etwas, das mit der NATO an sich gar nichts zu tun hat.
Was genau Erdogan zum Umdenken gebracht hat und ob es sich von Anfang an bloss um ein politisches Manöver handelte, um bei den NATO-Alliierten seine Machtposition zu demonstrieren, bleibt vorerst offen. Laut Stoltenberg hat Schweden in einem gemeinsamen Statement mit der Türkei aber mehrere Zugeständnisse gemacht.
So wird Stockholm mit Ankara einen neuen «Sicherheitspakt» abschliessen, der die Bekämpfung von Terrorismus verstärken soll. Ausserdem bekennt sich Schweden dazu, sich in der EU für die Wiederbelebung der türkischen Beitrittsverhandlungen, der Modernisierung der Zollunion sowie der Visa-Liberalisierung einzusetzen. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel kündigte nach einem bilateralen Treffen mit Erdogan an, man habe Möglichkeiten erkundet, die Kooperation voranzubringen und der gemeinsamen Beziehung neuen Schwung zu verleihen.
Wie viel die guten Worte wert sind, wird sich zeigen. Die seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der EU sind seit geraumer Zeit an einem toten Punkt angelangt. Einerseits wegen Erdogans konstantem Abbau der Rechtsstaatlichkeit. Spätestens aber seit dem Jahr 2020, als der türkische Präsident Tausende von Migranten zum Sturm auf die griechische Grenze losschickte.
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine reichten die beiden bislang neutralen skandinavischen Länder Schweden und Finnland im vergangenen Jahr einen Antrag zum NATO-Beitritt ein. Während Finnland im April offiziell das 31. Mitglied der Allianz wurde, blieb der Beitritt Schwedens durch die Türkei blockiert.
Erdogan kritisierte insbesondere den Umgang Schwedens mit Angehörigen der auch in der EU als terroristisch eingestuften kurdischen Rebellenorganisation PKK. Bis wann der NATO-Beitritt Schwedens nun vollzogen sein wird, hängt vorerst am türkischen Parlament. Erdogan habe sich aber engagiert, den Antrag «so schnell wie möglich» voranzubringen, so NATO-Generalsekretär Stoltenberg. (aargauerzeitung.ch)