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Ukraine-Krieg: Wieso Russen dieses Rohr in Jekaterinburg anbeten

Nachbildung der Pipeline in der russischen Stadt Jekaterinbzug
Selfies mit dem Rohr: In der russischen Stadt Jekaterinburg ist eine Nachbildung der Pipeline ausgestellt, durch die Soldaten in Kursk hinter die feindlichen Linien schlichen.Bild: Imago/Tass

Putins Trojanisches Pferd im Ukraine-Krieg: Warum die Russen dieses Rohr anbeten

Mitte März starteten russische Soldaten in der Region Kursk einen Überraschungsangriff durch eine Gaspipeline. Das Rohr, durch das sie krochen, steht nun kurz vor der Heiligsprechung.
31.03.2025, 22:1031.03.2025, 22:10
Ivan Ruslyannikov / ch media
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Monatelang besetzte die ukrainische Armee die russische Region Kursk. Nachdem sich die Ukrainer von dort hatten zurückziehen müssen, unternahm der Kreml vieles, damit die Russen die Demütigung und Schande der vielen bis dahin erfolglosen Versuche, den Feind aus der kleinen Stadt Sudscha zu vertreiben, vergessen zu machen.

So verbreitet die russische Propaganda eine heldenhafte Geschichte darüber, wie russische Soldaten im März 2025 innerhalb eines Gasrohrs kilometerweit hinter die feindlichen Linien marschierten. Mitte März wurde der Überraschungsangriff von den Ukrainern entdeckt, wie erfolgreich er letztlich war, ist unklar. Das Gasrohr ist inzwischen jedoch fast heiliggesprochen. Sein Fragment wird in der Nähe von Tempeln ausgestellt, Legenden und Gedichte werden darüber geschrieben.

In Jekaterinburg beispielsweise wurde eine 16 Meter lange Kopie dieses Rohrs in der Nähe der Hauptkirche installiert. Während der Eröffnungszeremonie verglich der örtliche Bischof Jewgeni Kulberg den Weg der russischen Soldaten durch dieses Rohr mit einem «Eintauchen in die Unterwelt». Hunderte Menschen mit russischen Fahnen und Bildern von Jesus Christus versammelten sich in der Nähe dieses Rohrs. Während der Ausstellung in Jekaterinburg wurden weisse Tauben durch das Rohr geschickt.

Mit dem Rohr verkaufte Putin nicht nur eine Propagandageschichte an seine Bevölkerung, sondern sendete auch ein Signal an den Westen: Durch russische Rohre kann nicht nur Gas, sondern auch Soldaten geschickt werden.

Iwan Filippow, Analyst im Bereich der russischen Propaganda, stellt fest: «Das Gasrohr ist heute für die russische Militärpropaganda das, was das Holzpferd für den Trojanischen Krieg war.» Er vermutet, dass dieses Rohr wirklich heiliggesprochen oder auch an der Siegesparade am 9. Mai teilnehmen könnte.

Gleichzeitig weist Filippow darauf hin, dass es keine wirklichen Beweise für die strategische Wirksamkeit dieses Rohrs während des Rückzugs der ukrainischen Armee aus der Region Kursk gibt. Der Angriff durch die Pipeline sei im Wesentlichen ein «Fleischangriff» gewesen, nur unterirdisch. Ein «Fleischangriff» ist eine russische Taktik im Ukraine-Krieg, bei der massenhaft Soldaten in verlustreichen Wellen auf feindliche Stellungen geschickt werden.

Pipeline Jekaterinburg
Beliebtes Fotomotiv in Jekaterinburg: das Rohr.Bild: Imago/Pavel Lisitsyn

Wenn sich die ukrainische Armee nicht aus Sudscha zurückgezogen hätte, so Experte Filippow, wäre es gut möglich, dass die Öffentlichkeit nie von der «gewagten Operation des russischen Militärs» erfahren hätte.

Der Geheimdienst sucht nach Spitzeln

Dass der Weg durch das Gasrohr für die russischen Soldaten tatsächlich ein «Fleischangriff» war, auf den das Verteidigungsministerium häufig zurückgreift, zeigt sich auch an der Art der Verletzungen der Beteiligten. Armeesanitäter, die in der Behandlung von chemischen Vergiftungen erfahren sind, haben die Kämpfer in ihre Feldlazarette eingeliefert.

Die längere Exposition gegenüber dem Gasrohr hatte schwerwiegende Folgen: Bei den Opfern wurde eine Schädigung von fast 90 Prozent der Lunge diagnostiziert. Die zum Korrosionsschutz der Rohre verwendeten Substanzen verursachten schwere Vergiftungen.

Während die russische Öffentlichkeit durch die Geschichte über das Rohr abgelenkt ist, werden Einwohner von Sudscha vom Föderalen Sicherheitsdienst (FSB) zum Verhör vorgeladen, um ihre mögliche Rekrutierung durch die ukrainische Armee zu überprüfen. Ausserdem ist es den Einwohnern der Region Kursk verboten, öffentlich über den russischen Beschuss von Sudscha zu sprechen.

«In Kursk wurden wir zu einer «Psychotherapie» gebracht», sagte ein Bewohner einem russischen Online-Medium. Die Menschen seien befragt worden, wie sie gelebt hätten, als ein Teil der Region Kursk unter ukrainischer Kontrolle stand. Auch über die Beziehungen zur ukrainischen Armee seien sie befragt worden, ob sie Hilfe von den Ukrainern in Anspruch genommen haben oder nicht. «Sie haben nach einer Art von Agenten gesucht», so der Bewohner weiter.

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8 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ELMatador
01.04.2025 06:20registriert Februar 2020
Können wir international UN/Nato etc. Putin jetzt endlich mal als Aggressor / Psychisch instabiler / Grössenwahnsinniger Diktator bezeichnen?


Russland hat unprovoziert den Donbass und die Krim eingenommen. Russland hat unprovoziert einen Krieg gestartet, mit dem Ziel die Ukraine einzunehmen!
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Haarspalter
01.04.2025 03:28registriert Oktober 2020
Handel mit Russland als Trojanisches Pferd des 21. Jahrhunderts.

So so.

Man darf dreimal raten, welches PR-Genie im Kreml diese Botschaft in die Welt hinausposaunen lässt.

(PS: Ein mancher, der sein Rohr am liebsten heiligsprechen lassen möchte.)
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Quaerentius
01.04.2025 06:50registriert Mai 2022
Scheint eher ein Rohrkrepierer gewesen zu sein! Der “Angriff“ wurde von den Ukrainern entdeckt und die beteiligten russischen Soldaten haben jetzt alle Lungenschäden von den Giften in den Rohrwänden! Und sowas wird mit dem Trojanischen Pferd verglichen!
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