Tuvalu geht unter. Nicht heute, aber bald – da sind sich die Bewohner sicher. Die Landfläche liegt im Mittel 1,5 Meter über dem Meeresspiegel. Dieser steigt in dieser Region des Südpazifiks um 3,9 Millimeter pro Jahr. Das ist doppelt so viel wie im weltweiten Durchschnitt. Laut wissenschaftlichen Studien werden die drei Inseln und sechs Atolle spätestens 2100 unbewohnbar. Die Anzeichen deuten aber darauf hin, dass es früher sein wird.
Gab es auf der Hauptinsel Funafuti aufgrund von Überschwemmungen früher einmal pro Monat eine gesperrte Strasse, passiert das nun wöchentlich. An manchen Stellen liegen Fahrwege bereits permanent unter Wasser. Die Einwohner klagen über Stürme. Die gab es zwar schon früher, aber nicht so oft. Und stärker seien sie geworden. Die traditionelle Taro-Wurzel kann wegen der Versalzung des Bodens nur noch in Behältern angepflanzt werden.
Auf dem Papier sieht die Lage weit weniger dramatisch aus. Zwischen 1971 und 2014 wuchs die Fläche des Landes um 2,9 Prozent. Sedimentablagerungen durch die Strömung machen es möglich. Immerhin 74 Prozent der Küstenabschnitte sind davon betroffen. Wie lange dieser Effekt dem Meeresanstieg die Stirn bieten kann, ist umstritten. Ausserdem entspricht dieser Landgewinn nicht einer Vergrösserung der bewohnbaren Zone, betonte der ehemalige Premierminister Enele Sopoaga immer wieder.
Zwei der neun bewohnten Inseln von Tuvalu sind bereits drauf und dran, unterzugehen. Die Landesstruktur verändert sich – auch hinsichtlich der Bevölkerung. Den knappen Platz teilen sich heute etwa 11'000 Einwohner. Bleibt die Geburtenquote aber weiter konstant, werden es 2050 20'000 sein. Eine Entwicklung, die das Problem nicht entschärft. Im Gegenteil.
Aufgrund der bereits heute sichtbaren Effekte des Klimawandels, beschäftigt man sich auf Tuvalu seit längerem mit konkreten Massnahmen. Wie schwierig es ist, diese umzusetzen, zeigen Fälle anderer Inseln. Zum Beispiel der Carteret-Inseln.
Die Carteret-Inseln befinden sich nördlich der Salomonen und gehören zu Papua-Neuguinea. Die sieben Atolle befinden sich höchstens 1,5 Meter über Meer. Was hier passiert, sind Vorboten der Probleme, die auf Tuvalu zukommen.
Bis 2006 lebten ungefähr 2600 Einwohner auf den Carteret-Inseln. Mit Dämmen und Mangroven-Aufforstung bekämpften sie jahrelang das Meer. Bis es irgendwann nicht mehr ging. Seit 1994 holte sich das Meer 50 Prozent der Landfläche, Trinkwasserreservate werden regelmässig mit Salzwasser verunreinigt, Landflächen für den Gemüseanbau gibt es kaum mehr. Auf der Hauptinsel Han, so ist auf Wikipedia nachzulesen, soll es tatsächlich noch ein paar Palmen geben. Das Salzwasser wird auch ihnen bald den Garaus machen.
2005 erhielten die Bewohner der Carteret-Inseln als weltweit erste Menschen den Status von Klimaflüchtlingen. Das Medienecho war gross und die Ideen für Umsiedelungsprojekte zahlreich. Doch die Reporter sind abgezogen und passiert ist seither wenig. Die Regierung von Papua-Neuguinea kümmert sich kaum um die verarmte Region. Die Atollbewohner sind nach einem zehnjährigen Bürgerkrieg nicht das einzige Problem des gebeutelten Landes.
Die Einwohner der Carteret-Inseln haben deshalb die Selbsthilfegruppe Tulele Peisa gegründet und einen umfassenden Umsiedlungsplan für 1700 Atollbewohner erstellt. Doch es mangelt an Geld. Und am Willen der Regierung, die mit Korruption zu kämpfen hat. Bis im Jahr 2018 gelang es Tulele Peisa gerade mal, 14 Familien umzusiedeln. Als 2017 eine finnische Delegation die Inseln besuchte, stellte sie fest, dass trotz des schwindenden Platzes mehr Menschen denn je dort wohnen. Die Bevölkerung habe sich gar verdoppelt. Ausharren bis zum letzten Sturm.
Dieses Schicksal will man in Tuvalu umgehen. 2006 schlug der pensionierte Wissenschaftler Don Kennedy vor, die gesamte Bevölkerung auf die höher gelegene Fidschi-Insel Kioa umzusiedeln. Diese war in den 50er-Jahren komplett von Siedlern aus Tuvalu gekauft worden.
Die Infrastruktur auf Kioa entspricht allerdings nicht dem gewünschten Standard. Investitionen in Millionenhöhe müssten getätigt werden. Und wieder die Frage: Wer soll das alles bezahlen? Geht es nach dem tuvalustämmigen Kennedy, wären es die Verursacher des Klimawandels – die Industriestaaten. Doch dass China, die USA oder auch Australien den Geldbeutel öffnen, ist illusorisch. Eher ist es umgekehrt. In Tuvalu wird auch die Option geprüft, ob ein Landkauf in Australien ein Ausweg für die Bevölkerung sein könnte.
Die Fälle von Tuvalu und den Carteret-Inseln zeigen, wie schwierig es ist, Menschen koordiniert umzusiedeln. Auch wenn es nur ein paar Tausend sind. Erwartet werden in den nächsten Jahren aber nicht nur ein paar tausend Klimaflüchtlinge. Die Schätzungen dazu gehen zwar weit auseinander. Sicher ist aber: Es sind Millionen.