Rette sich, wer kann: Als die Taliban in Kabul einfallen, herrscht auf dem internationalen Flughafen das blanke Chaos. Tausende versuchen, mit den letzten Maschinen das Land zu verlassen. Verzweifelte Menschen klammern sich am Montag sogar an ein rollendes C-17 Globemaster Transportflugzeug. Als das Flugzeug in den Himmel steigt, fallen zwei Menschen in den Tod.
Mehr Glück hatten hunderte afghanische Flüchtlinge, die sich am Sonntagabend auf dem Rollfeld befanden. Als die Beladung der C-17-Transportmaschine mit dem Rufnamen «Reach 871», läuft, klettern sie kurzerhand über die nur halb geöffnete Luke des Flugzeuges der US-Luftwaffe, das normalerweise maximal 130 Soldaten transportiert. Die Flüchtlinge hatten offenbar eine Ausreisegenehmigung.
Die amerikanische Crew der C-17 zeigte Herz: Anstatt die Flüchtlinge mit Waffengewalt aus dem Laderaum zu vertreiben, lassen sie so viele Menschen wie möglich in den Frachtraum. «Die Besatzung entschied sich für diesen Weg», sagte ein Sprecher der Air Force zum Portal Defenceone.
This footage from Kabul airport — Afghans desperately trying to board a C-17 airlifter from the Gulf. #Afghanistan pic.twitter.com/c8s5ZsB3cs
— Alex Macheras (@AlexInAir) August 15, 2021
Dichtgedrängt wie in einer Sardinenbüchse quetschen sich die Flüchtlinge – darunter viele Frauen und Kinder – in den 26 Meter langen und 5,5 Meter breiten Laderaum der C-17-Transportmaschine. Rund 640 Personen werden gezählt, als die Maschine Stunden später auf der Luftwaffenstützpunkt Al Udeid Air Base in Katar landet.
Zum Vergleich: In normaler Bestuhlung (Bild unten) fasst ein C-17 rund 130 Soldatinnen und Soldaten. Dennoch ist es für die Transportmaschine kein Problem, mit derart vielen Personen an Bord zu starten. Denn das Flugzeug ist für eine Nutzlast von 78 Tonnen ausgelegt und kann sogar zwei Panzer gleichzeitig transportieren.
Was auffällt: Auf dem Bild sind praktisch keine Gepäckstücke zu sehen. Es scheint, als seien die Menschen ohne Hab und Gut in eine fremde Welt geflüchtet. Was mit den Leuten nun in Doha geschieht, ist noch ungewiss. Die USA wollen laut Berichten mit Katar ein Abkommen abschliessen, welches die Aufnahme von bis zu 8000 Afghanen regelt.
Nach dem Start in Kabul melden sich die Piloten wie gewohnt bei der Luftüberwachung. Der Flugkoordinator fragt dabei die Crew, wie viele Menschen an Bord sind (siehe Audiofile unten). Die Piloten schätzen zuerst, dass 800 Leute im Laderaum sind.
«Wie viele Leute, denken Sie, sind in ihrem Flugzeug? 800? Holy… Holy Cow … ok … ». In der Unterhaltung wird auch nach den Nationalitäten der Passagiere gefragt: «Sind es Amerikaner?», die Antwort ist nicht zu hören, aber die Reaktion: «Okay». Dann wird der Pilot nur noch gefragt, um welche Zeit das Flugzeug in Doha landen werde.
Offenbar verliessen Sonntagnacht gleich mehrere mit hunderten Flüchtlingen vollgepackte C-17 Kabul. Laut Defenseone transportieren einige sogar noch mehr Personen als auf dem Bild oben.
640 Personen im Laderaum eines Flugzeuges klingen nach viel. Aber vor 30 Jahren schrieb Israel Luftfahrtgeschichte. Innerhalb von 36 Stunden wurden mehr als 14'000 äthiopische Juden aus dem krisengeschüttelten Äthiopien in einer Luftbrücke nach Israel ausgeflogen.
#History: Operation Solomon, the air evacuation of 14,000 Ethiopian Jews to #Israel, occurred on this day, on May 24, 1991. It set a world record for passengers per aircraft when a 747 carried 1,086 passengers on one flight. pic.twitter.com/oGx3m6gfbs
— jayxenos (@jayxenos) May 24, 2020
Am 24. Mai 1991 wurde im Rahmen dieser Evakuierungsmission auch ein Flug durchgeführt, der bis heute im «Guiness Buch der Rekorde» zu finden ist. An Bord der EL AL Boeing 747 (die im regulären Betrieb für maximal 480 Fluggäste ausgelegt ist) wurden auf einem einzigen Flug mehr als 1000 Menschen nach Israel befördert. Die genaue Zahl ist bis heute unklar, die Angaben schwanken zwischen 1088 und 1137 Menschen an Bord.
Die Bilder Kabul erinnern an das amerikanische Desaster in Vietnam. Am 10. März 1975 hatte der kommunistische Vietcong einen an sich begrenzten Vormarsch auf die Hauptstadt Saigon begonnen. Doch nach dem Rückzug der US-Army brach die einheimische, südvietnamesische Armee zusammen – nichts konnte die Miliz aufhalten. Tausende Vietnamesen versuchten vor den Kommunisten zu flüchten. Einigen gelang es, wie in Afghanistan mit Transportmaschinen aus dem Land zu flüchten.
Arme Menschen, arme Welt!
Und alle, die finden, die Männer hätten gefälligst gegen die Taliban zu kämpfen. Und sie würden das im Fall bis zur letzten Patrone machen. Nein würdet ihr nicht. Kein vernünftiger Mensch stellt sich mit Opas Karabiner gegen eine hochgerüstete Miliz.
Mich nimmt ja Wunder, wie gross die Schnittmenge zwischen denen ist, die denken, die Afghanen sollten kämpfen, und denen, die eine Corona-Impfung eine Zumutung finden.