Der ehemalige Lehrer (Walz) aus Minnesota und der Buchautor / Investor (Vance) aus Ohio versuchten 90 Minuten lang, die letzten noch verbliebenen unentschlossenen Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Weil zuvor Donald Trump von Kamala Harris regelrecht auseinandergenommen worden war, wurde die VP-Debatte mit grosser Spannung erwartet. Viele Experten glaubten, J.D. Vance werde wie Trumps Bulldogge auf Walz losgehen. Doch es kam anders.
Zwei erwachsene Menschen mit guten Manieren, aber unterschiedlichen Meinungen, treffen sich zu einem gesitteten Gespräch.
Nein.
Es ist im Gegenteil nicht vermessen zu sagen, dass der Vize-Kandidat einen regelrechten Anti-Trump-Auftritt hinlegte. Er wirkte menschlich, höflich, machte dem Gegner kleine Komplimente, gab Fehler zu, war nie ausfällig oder nervös, wirkte erwachsen und souverän.
Dies war nicht so erwartet worden. In Podcasts wirkt er nicht selten noch extremer als Donald Trump. Doch in dieser Debatte gelang es ihm immer wieder, nicht einmal uncharmant, sich um Vorwürfe zu schlängeln, seine extremen Ansichten zu kaschieren – und den Ball geschickt zum Gegner zurückzuspielen. Dabei spielte er wiederholt seine Karte als Kind der Unterschicht aus, als Kind, das es schaffte, den American Dream zu verwirklichen.
Galt J.D. Vance in diesem Wahlkampf bisher für Trump als Hypothek, konnte er seine Kritiker mit seinem Auftritt heute Abend Lügen strafen. Und er dürfte sich damit bereits für spätere Aufgaben in Stellung gebracht haben.
Walz wirkte engagiert, gleichzeitig aber deutlich nervöser und fahriger als sein Gegenüber. Des Öfteren verlor er sich in Details und Nebenschauplätzen – nur selten gelang es ihm dabei, wirklich zu punkten.
Schlecht debattierte Walz nicht: Auch er gab kleine Komplimente, zeigte gute Manieren, Fachkompetenz. In Sachen Souveränität war ihm sein Gegenüber aber mehr als nur eine Nasenlänge voraus. Zu selten wirkte Walz wie ein ruhiger Staatsmann, zu oft wie ein überengagierter und vor allem besorgter Vorstadtprimarlehrer – mit etwas unglücklicher Mimik.
Das war, entgegen der obigen Beschreibung, tatsächlich Tim Walz. Als Donald Trumps Umgang mit seiner Wahlniederlage diskutiert wurde, distanzierte sich Vance nicht entschieden davon. Er versuchte seinerseits, die Demokraten als eigentlich schlechte Verlierer darzustellen – weil diese betonten, Russland habe die Wahlen 2016 beeinflusst. «Dabei hat Putin damals einfach Facebook-Werbung für 500'000 Dollar gekauft», behauptete er.
Walz antwortete darauf: «Die Vorfälle im Kapitol waren nicht einfach nur Facebook-Werbung».
Was die Kandidaten zu den jeweiligen Themen sagten, kannst du hier nachlesen.
Nur am Rande.
Vance verstand es, die Story so umzudeuten, dass er sich um die amerikanische Mittelklasse sorge. Walz unterliess es, Vance für das Verbreiten dieser Lügenstory festzunageln. Er hätte hier energischer sein können, vielleicht auch müssen. Es blieb nicht der einzige Moment, bei dem Walz mit etwas zu wenig Biss einen Elfmeter verschoss. Präsident wird Walz wohl eher nicht. Für die ganz grosse Bühne scheint er nicht geschaffen.
Das Moderatorenteam musste deutlich weniger eingreifen. Den einen eigenartigen Moment gab es aber dann doch noch.
Beim Thema Einwanderung fiel Vance dem Moderatorenteam ins Wort. Und zwar so energisch, dass dieses verstummte. Danach erklärte er, wie einfach sich Ausländer per App eine Aufenthaltsbewilligung für die USA organisieren können. Mitten in den Erläuterungen, ruhig und sachlich vorgetragen, wurde Vance das Mikrofon stummgeschaltet.
Der Zeitpunkt kam sehr unglücklich. Als neutraler Zuschauer hätte man ihm gerne weiter zugehört. So wird der Vorfall zu Wasser auf die Mühlen derjenigen, welche beim politischen Prozess eine linke Medienverschwörung wittern.
Tatsächlich war die Debatte der beiden Vize-Kandidaten kein Feuerwerk der träfen Sprüche. Für den besten war am Ende eine Analystin des CBS zuständig. Sie sagte: «Wenn wir bei jedem ‹Da stimme ich mit dir überein› dieser Debatte einen Shot hinuntergestürzt hätten, lägen wir jetzt unter dem Tisch.»
J.D. Vance.
Er hatte die bessere Mimik, er war ruhiger, formulierte präziser, verständlicher und auf den Punkt. Er verlor sich dabei nicht in Details. Und als Walz berichtete, sein Sohn habe eine Schiesserei erleben müssen, zeigte er viel Mitgefühl. Und das tatsächlich glaubwürdig.
Ja.
Leider muss man es in dieser Deutlichkeit herausstreichen: Aber es war extrem angenehm, endlich wieder einmal eine politische Debatte verfolgen zu dürfen, in der sich der republikanische Kandidat nicht wie ein ungehobeltes Kind benahm.
Politische Debatten gehören zu jeder Demokratie und wenn sie gesittet ablaufen, haben die Zuschauer mehr davon.