Ich hatte einen Plan. Podcasts hören, den Soundtrack von «Dirty Dancing» hören, aus dem Fenster schauen, durchatmen. Damit mein Plan super aufgeht, gönne ich mir ein Erste-Klasse-Billett. Kostet ja nur eine Seele, ein Bein und eine dritte Säule, die ich nicht habe. Sorry, Papa.
Wir schweifen ab.
Ich muss jedenfalls nach Lausanne. Das dauert von Zürich aus etwas mehr als zwei Stunden. Ich freu mich drauf. Me-Time ist zurzeit rar.
Ich setze mich in ein leeres Abteil. Kein Wunder. Bin schweizerischer als schweizerisch schon 20 Minuten vor Abfahrt am Gleis. Geil. Ein Abteil für mich. Platz und Raum für Gedanken. Und verdammt laute Musik.
Kurz vor Abfahrt ist es vorbei mit der Leere. Es ist sogar so vorbei, dass mich drei Seniorinnen fragen, ob sie sich zu mir setzen dürfen. Sicher, sag ich, lächle gequält und mache Platz.
Der Anfang ist hart. Sie reden über den Turnverein, das «Lismer-Stübli», über ihre Wandergruppe und darüber, wo man das beste Gemüse bekommt.
Ich will grad meine Kopfhörer montieren, als S1, Seniorin 1, loslegt: «Also der Fritz, ich sags euch, ein sturer Cheib.» Warum denn, will S2, Seniorin 2, wissen. Fritz, erfahre ich, erfahren alle, kommt bei ihr wisst schon was einfach nicht zum Abschluss. «Nach zehn Minuten mag ich einfach nicht mehr», sagt S1. Ihre Freundinnen lachen und nicken zustimmend.
Ich kann nicht anders und lächle mit.
Ab da sind S1, S2, S3 und ich die besten Freundinnen auf der ganzen Welt.
S1 und Fritz sind eben noch gar nicht lange zusammen. Er ist der Präsident vom Schützenverein. Sie als «Fäschtnudle» ist in allen anderen Vereinen aktiv und so habe sie Fritz schon lange gekannt. Gefunkt hat es aber erst an Silvester. Seit da, sagt sie, geniessen die beiden sehr schöne Tage und noch viel schönere Nächte «wenn Sie wüssed, wie ich meine».
S2 ist schon sehr lange mit ihrem Mann zusammen. Sie haben drei erwachsene Töchter, zwei Enkelinnen und drei Enkel. Der Mann weiss leider nichts davon. «Er ist leider im Altersheim und dement.» Ich sage, dass mir das leid tut. Sie sagt, das ist das Leben. Sie will dieses feiern und nicht traurig sein. Sie haben so viel Schönes erlebt. Und eine so schöne Familie gegründet. Das könne ihr keine Krankheit nehmen.
S2 wohnt jetzt alleine in einer Alterswohnung. Ganz nah vom Alters- und Pflegeheim, wo ihr Mann ist. Sie besucht ihn alle zwei Tage. Seit Jahren bringt sie ihm ein Stück Apfelwähe von seinem Lieblingsbäcker. Seit Jahren isst er es, ohne etwas zu sagen. Er sei nie der Mann der grossen Worte gewesen. Es sei aber dennoch einfach schön, bei ihm zu sein. Auch wenn er bereits an einem anderen Ort ist, sagt S2, kann sie ihre Verbindung fühlen.
Sie holt ihr Handy hervor und zeigt mir Bilder. Ihr Mann im Rollstuhl, ihre Töchter, ihre Enkelkinder, ihre Schwiegersöhne. Sie strahlt vor Liebe und ich weine aus Rührung.
S3, Seniorin 3, sorgt für Auflockerung. Sie ist alleinstehend. Sie war drei Mal verheiratet. Ob es da kein Chrüsimüsi gebe, wenn man so oft anders heisst, frage ich. Alle lachen. Sei schon nicht ganz ohne. Den Namen des letzten Mannes hat sie einfach behalten. Das, obwohl er einfach ab ist, sagt sie. In den Ferien hat er sich fremdverliebt. In die Reiseleiterin.
Doofe Kuh, sag ich. «Es Nüttli», sagt S3. Alle lachen.
Das ist aber schon acht Jahre her, erfahre ich. Die ersten paar Jahre hat S3 rein gar nichts von Männern wissen wollen. «Sind doch alles Schafseckel!» Ich sage, dass ich Männer mag. Und dass es Gute gäbe. Und ich ihr so einen wünsche. Sie sich auch, sagt sie. Sie hatte «ein paar Geschichten». Aber nichts Ernstes.
Okay, Situationships machen also auch vor dem Alter nicht Halt.
Die Fahrt dauert nur noch 23 Minuten. Ich frage meine eigenen Golden Girls, was sie anders machen würden, wenn sie die Zeit nochmal zurückdrehen könnten.
S1 sagt, sie würde viel weniger arbeiten und viel weniger drauf geben, ob die Wohnung perfekt geputzt ist. Ausserdem würde sie nicht mehr so sparsam leben und sich viel mehr gönnen.
S2 sagt, sie würde alles genau gleich machen. Sie würde ihren Mann in allen nächsten Leben wieder heiraten. «En Schönere und Bessere chas gar nöd gäh!»
S3 bereut, dass sie bis ins hohe Alter nur mit ihren Ehemännern Sex hatte. «Wissen Sie, das haben wir so gelernt. Alles andere war ja sehr unanständig.» Ich lache. Die Golden Girls auch. «Erst nach der letzten Scheidung habe ich mit diesem unverbindlichen Liebemachen angefangen. Jetzt habe ich Angst, dass ich zu wenig Zeit habe, alles aufzuholen, das ich verpasst habe.»
S3 sagt, sie meine es nicht ganz ernst.
Wir stossen an. Aufs Leben, die Liebe und den Sex.
Dann klingelt das Handy von S1. Fritz ist dran. «Was hät dä Dokter gseit?», schreit sie laut rein. «WAAAS?»
S1 guckt etwas ratlos. «Ahaaaa, es Beckebodetraining und was für e Pumpi? AHHH, ES VAKUUMPUMPETRAINING, was isch denn das?»
Und so, ganz kurz vor dem Ziel, kann dann sogar ich den Seniorinnen etwas mitgeben. Ich erklär ihnen zuerst die Vakuumpumpe und dann meine ganz grosse Liebe.
mann/frau verabschiedet sich ja nicht automatisch aus dem (sex) leben, nur weil man ein gewisses alter überschritten hat. lasst uns das leben in jedem alter geniessen 🍀.
Mit dem gesparten Rest kannst du dann für Sandro Swaf Dosen kaufen in Lausanne