«Baby Reindeer» ist die Nummer eins in den weltweiten Netflix-Charts, die Kritiken überschlagen sich mit Lob und wahrscheinlich wird die Serie für den wichtigen Fernsehpreis Emmy nominiert. «Baby Reindeer» kriegt viel Aufmerksamkeit derzeit, vermutlich viel mehr, als geplant war.
Denn das grosse Echo, das die Geschichte über eine Stalkerin hervorruft, hat nun direkte Folgen für die echte Welt.
«Baby Reindeer» basiert auf der wahren Geschichte von Richard Gadd, der die Hauptrolle spielt und als Autor fungierte. In der Serie nennt er sich Donny Dunn und schildert sein Verhältnis zu einer Frau, die ihn jahrelang verfolgte. Der Handlungsstrang fliesst später mit einer anderen Episode in Gadds Leben zusammen: Ein einflussreicher TV-Autor vergewaltigte den aufstrebenden Comedian mehrfach.
All das ist mehr oder weniger so passiert, wie in der Serie dargestellt. Und das bedeutet: Die Menschen, die die Taten in der Serie begehen, existieren wirklich. Die Folge: Im Internet begann eine digitale Grossfahndung nach den realen Vorbildern der Stalkerin und des Vergewaltigers.
Am Montag postete Autor Richard Gadd in seiner Instagram-Story einen Aufruf an übereifrige Zuschauerinnen, wie unter anderem der Hollywood Reporter berichtete:
Das Statement wollte offenbar einen Erdrutsch einfangen, der schon lange losgerollt war, wie sich am Dienstag herausstellte. Der Sean Foley aus dem Post von Richard Gadd ist ein Theater-Regisseur und Comedian, der auch fürs Fernsehen arbeitete. In Alter und Berufsstationen ähnelt er der Figur des Vergewaltigers aus der Serie – und das wurde ihm zum Verhängnis.
Bei X teilte Foley den Aufruf von Richard Gadd und schrieb in einem weiteren Beitrag:
Police have been informed and are investigating all defamatory abusive and threatening posts against me.
— sean foley (@SeanFoleyJ) April 23, 2024
In den Beiträgen unter dem Post finden sich jedoch weiterhin Kommentare wie: «Sie sollten gegen dich ermitteln, Mann.» Schwarmintelligenz im Internet kann mächtig sein, aber sie basiert in diesem Fall auf puren Spekulationen. Und die sind ausser Kontrolle geraten.
So «fahndeten» Fans im Internet auch nach dem realen Vorbild der Stalkerin Martha Scott, die von Jessica Gunning verkörpert wird. Fans wollen sie etwa bei einem Auftritt des echten Richard Gadd erkannt haben – an ihrer Lache.
Am Mittwoch gab die Schauspielerin Jessica Gunning ein Interview, in dem sie Spekulationen als «ziemlich traurig» bezeichnet. Sie verleiht Gadds Forderungen nach mehr Vernunft weiteren Nachdruck:
Die Suche nach Parallelen in Lebensläufen, optischen Ähnlichkeiten oder dergleichen läuft ohnehin ins Leere. In einem Interview mit «GQ» erklärte Gadd, dass er etwa das reale Vorbild von Martha bis zur totalen Unkenntlichkeit anonymisierte: «Wir haben uns viel Mühe gegeben, sie so zu tarnen, dass sie sich selbst wohl nicht wiedererkennen würde.»
Die Serie ist beeindruckend und auch erschreckend. Der Drehbuchautor hat sich wirklich was überlegt. Nichts mit oberflächlichem der ist absolut unschuldig und gut und der andere durch und durch böse. Die Serie ist mir nachgegangen. Narürlich gibt es viele Stalker, die nichts anderes wollen, als den anderen zu verletzen, ängstigen und das Leben zur Hölle zu machen.