«Wünschen Sie mir Glück, wenn ich mit diesen hier auf Toilette will», beschliesst Loreen unser Zoom-Gespräch und macht ein letztes Mal mit ihren überlangen Fingernägeln eine Bewegung, die an ein Insekt erinnert, an eine Stabheuschrecke, eine Gottesanbeterin. Die Fingernägel, das haben wir zusammen herausgefunden, gehören zu ihrem starken mütterlichen Erbe. Doch dazu später.
Loreen wird heuer 40, hat als erste Frau zweimal den Eurovision Song Contest gewonnen, nämlich 2012 in Baku mit «Euphoria» und 2023 in Liverpool mit «Tattoo», ist Schwedin mit marokkanischen Wurzeln und kommt im März 2025, also kurz vor der Austragung des nächsten ESC im Rahmen ihrer grossen Europatournee, für ein Konzert in die Schweiz.
Ich hoffe, Sie freuen sich besonders auf Ihren Auftritt in Zürich, ich bin mir sicher, die ESC-Gemeinde hier wird sie als Vorbotin des Contests im Mai feiern.
Oh my God! Ach, die Schweiz! Das Land! Die Natur! Es ist sooo schön! Es ist, als läge das Paradies vor meinem Fenster! Die Berge! Die Ozeane!
Okay, wir haben vieles, aber Ozeane haben wir keine.
Wie nennt man das? Flüsse?
Seen und Flüsse. Natur ist sehr wichtig für Sie, auch für Ihre Kunst, oder?
Oh, ich bin in die Natur verliebt. In die Erde. Alles ist ein einziger Körper, und wenn man das endlich realisiert und wenn man sich Mutter Erde anschaut, auch wenn man über sie hinwegfliegt, ist sie sooo schön.
Mit bürgerlichem Namen heisst Loreen Lorine Zineb Nora Talhaoui und kam 1983 in Stockholm als erstes von sechs Kindern zur Welt. Ihre Mutter war mit vierzehn Jahren vor einer arrangierten Ehe in Marokko geflohen, in Stockholm verliebte sie sich in einen Marokkaner, als sie Loreen zur Welt brachte, war sie erst sechzehn.
Bereits Loreens Urgrossmutter war geflohen, nicht nach Europa, sondern nach Algerien, sie war sehr jung Witwe geworden und sollte wieder verheiratet werden. Um ihre Kinder aus erster Ehe ungestört und alleine gross ziehen zu können, verkleidete sie sich jahrelang als Mann.
Loreens Eltern trennten sich nach sechs Jahren und sechs Kindern, Jahren voller Armut und Schwierigkeiten. Danach heiratete die Mutter einen «grossen, gemütlichen» Schweden, «einen schwedischen Nikolaus», wie Loreen 2023 im «Guardian» sagte.
Während des ESC 2024 setzte sich Loreen gegen einen Boykott von Israel ein. Trotzdem wurde sie wegen ihres familiären Hintergrunds beschuldigt, eine Antisemitin zu sein.
Ihre Mutter, Ihre Urgrossmutter sind in Ihrer Biografie sehr wichtig. Und wenn Sie von ihnen erzählen, werden sie zu richtigen Amazonen. Tragen Sie deshalb auf der Bühne gerne Rüstungen und Fingernägel, die Säbeln gleichen?
Es braucht eine Frau, um eine Frau zu verstehen! Unterbewusst tue ich das sicher, ja. Sie wissen wie es ist: Manchmal kann man einfach nicht richtig erklären, wieso man sich fühlt, als würde man eine Rüstung tragen. Natürlich ist eine Rüstung auf der Bühne ein Ausdruck meines Inneren. Und dann ist da die Frage: Was ist eine Frau? Ist sie etwas Kleines, Niedliches oder ist da nicht auch das ganze Spektrum zwischen Verletzlichkeit und Macht? Wenn man das zeigen will, äussert es sich vielleicht in einer Rüstung. Es geht darum, einen klaren Kanal für seine Energie zu finden.
Sie lieben es, ganz banale Dinge poetisch zu umschreiben. Den ESC etwa nennen Sie einen «hub of love», eine Drehscheibe oder einen Hafen der Liebe.
Ja, das ist er. Es geht mir dabei nicht nur um Poesie, es geht mir auch um Physik. Mein Körper ist Energie. Alles ist Energie. Und wenn alles Energie ist, dann ist nichts wirklich solide. Und wenn nichts solide ist, dann ist auch alles irgendwie miteinander verbunden. Und jedes Gefühl, das ich in meinem Körper erzeuge, sende ich weiter. Der ESC ist eine Plattform für eine Show, die eine ganz bestimmte Energie in den Menschen freisetzt: Sie sind glücklich, aufgeregt, freudig, all das sind Energien. Wir sollten also fähig sein, gemeinsam eine Welle zu erzeugen. Rund um die Welt. Und es sollte möglich sein, mit dieser glücklichen Energie alle zu erreichen.
Und wie haben Sie in diesem energetischen Gebilde eigentlich Nemo erlebt?
Ich schaute mir Nemo an und dachte: Das ist so auf so schöne Art interessant! Diese Person ist sehr rein, sehr authentisch und ehrlich, man sieht das in ihren Augen. Ehrlichkeit und Authentizität sind heutzutage etwas sehr Wohltuendes, auf das man selbst unbedingt mit einer liebenden Energie reagieren will. Nicht mit einer verzerrten, entstellten. Nemos Kunst, Nemos Gefühle sind wahrhaftig.
Das klingt, als würde Nemo heilend wirken.
Ja! Ja! Die Menschen beklagen sich: Oh, die Welt ist so durcheinander, so verwirrend ...
Und mit jedem Tag mehr.
Ja, aber darauf habe ich eine Antwort: Es gab immer schon Kriege. Aber heute werden sie uns schneller bewusst gemacht, wir wissen sofort darüber Bescheid. Und deshalb reagieren wir auch schneller und stärker. Wir erwachen. Das ist gut. Weil wir sagen, wir wollen das nicht. Weil wir konstruktiven Widerstand üben. Aber was immer wir tun, wir sollten sicher sein, dass wir es aus einer positiven, nicht aus einer negativen Energie heraus machen. Heult für eine Weile, aber dann organisiert euch neu und ändert die Dinge zum Guten! Ohne Bitterkeit, ohne Zorn, seid achtsam, seid konstruktiv! Feuer erzeugt mehr Feuer, Aggression erzeugt mehr Aggression.
Sie selbst setzen sich seit Jahren für Menschenrechte ein, sie engagieren sich für die Erziehung von Mädchen in Afghanistan, sie haben während des ESC 2012 Oppositionelle in Aserbaidschan getroffen, sie haben kurz nach Kriegsausbruch Geld für die Ukraine gesammelt.
Ja, weil ich gesehen habe, dass es Hilfe braucht. Nichts ist mehr wert als ein Leben.
Haben Sie als ESC-Spezialistin einen Tipp für die Schweiz?
Der ESC ist in Zürich, oder?
Das steht noch nicht fest.
Nehmt einfach eure Visionen und eure Kultur und euer Essen ...
Na ja, auf das Essen würde ich jetzt nicht setzen.
Aber ihr habt Schokolade!
Genau, die wächst bei uns auf Bäumen.
(Lacht) Schon allein durch eure Strassen zu gehen, ist heilend! Überall bei euch ist das Paradies! Macht es wie letztes Jahr Liverpool, verbindet euch mit den Menschen, macht Musik und tanzt in den Strassen, geht zu Partys, habt Spass, je mehr, desto besser.
Aber zuerst ist Ihr Konzert. Machen Sie ein Duett mit Nemo?
Eine wunderbare Idee! Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Nemo sich freut, wenn die Verrückte anruft und fragt: «Hättest du Lust, ein Duett mit mir zu singen?»
Loreen tritt am 11. März 2025 im Zürcher X-TRA auf.
Due Urgrossmutter ist geflohen und verkleidete sich als Mann, die Mutter flüchtete vor einem Marokaner um mit 16 sich von einem eben solchen schwängern zu lassen und kriegt innerhalb von 6 Jahren in Armut 6 Kinder ?!
Waoo, das musst du dir zuerst mal geben.
Ein bisschen weniger Drogen wären sicher nich verkehrt ;-)