Wir haben Diana ja alle nicht persönlich gekannt. Und die wenigsten von uns dürften Kristen Stewart persönlich kennen. Aber von beiden hat die Welt Abertausende von stillen und bewegten Bildern inhaliert. Und da gibt es nun eine Überschneidung, die man nicht mehr aus dem Kopf kriegt, wenn sie einem einmal aufgefallen ist. Es ist dieses Ding mit der Körpersprache.
Bei beiden hat es sich im Lauf der Zeit etwas verflüchtigt, aber viele Jahre lang war es unübersehbar: Da fühlt sich eine Seele nicht wohl in ihrem Körper, von dem andauernd Bilder geschossen werden. Da ist jemand nicht am richtigen Ort zuhause. Die wahre Person und die von der Öffentlichkeit rezipierte, kritisierte, verschlungene, begehrte sind sich nicht eins. Beide wirkten gelegentlich wie Fohlen, die vom Marionettenspieler der Konvention geführt werden. Unsicher, ungelenk, unglücklich.
Dianas (kurzes) Glück begann, als sie sich vom britischen Hof trennte. Kristen Stewart blühte auf, als sie sich von den grossen Film-Franchisen befreite, sich dem Arthouse-Kino zuwandte und ihr Liebesleben klärte. Seit kurzem ist sie mit der Drehbuchautorin Dylan Meyer verlobt. So oft hat man sie noch nie lachen sehen.
Und jetzt ist die Schauspielerin also die Prinzessin. In Pablo Larraíns neuem Film «Spencer». Der Chilene Larraín ist Spezialist für schwierige, glamouröse Frauen in extrem schwierigen, extrem glamourösen Umständen. Tragik gepaart mit Schönheit in Chanel. Das war so in «Jacky», als er mit Natalie Portman als Jacqueline Kennedy die Ermordung von JFK nachempfand. Und das ist jetzt so in «Spencer». Allerdings geht es da nicht etwa um den Tod von Diana im Tunnel unter Paris, sondern um den Tod ihrer Ehe zu Charles. Um Dianas letztes Weihnachtsfest im eiskalten Klammergriff der royalen «Firma». Eine Inszenierung in vielen Akten und Kleidern vor der Kulisse von Schloss Sandringham.
Gedreht wurde selbstverständlich nicht auf oder auch nur in der Nähe von Sandringham, die Royal Family hat seit dem Netflix-Hit «The Crown» jedes Entgegenkommen gegenüber der Filmbranche abgebrochen. Gedreht wurde deshalb in Deutschland, in Hessen, Berlin und Brandenburg. Die typisch englische Landschaft ist eine deutsche. Und die grosse Palastküche, in der wir die militärisch geführte Zubereitung diverser Festtagsmähler sehen und wo Diana beim Chefkoch und in der Vorratskammer Zuflucht sucht, wurde in der Berliner Max-Schmeling-Halle aufgebaut.
Wir begegnen Diana, wie sie in ihrem Porsche Cabrio durch diese deutsch-englische Landschaft nach Sandringham fährt und dabei allerlei Prokrastinationsversuche unternimmt. Zu gross ist der Ekel nach zehn Jahren Ehe und Familie vor all den Ritualen und Spiessrutenläufen, vor der Fasanjagd und vor Charles' Geschenk, das für gewöhnlich etwas ist, was er bereits einmal Camilla geschenkt hat. Eine fiese kleine Psychofolter.
Und auch als sie schliesslich in Sandringham ist, bestehen ihre Tage aus lauter Fluchtbewegungen, inneren und äusseren. Sie identifiziert sich mit Ann Boleyn, die ihr Gatte, Henry VIII., köpfen liess, sie sucht das heruntergekommene Haus ihrer Kindertage auf, übergibt sich andauernd, kommt immer zu spät und verspeist in einer fantastischen Sequenz die Perlen, die Charles ihr und eben auch Camilla geschenkt hat.
Das irrlichtert alles zwischen Wahn und Wirklichkeit, der ganze Hof inklusive Presse ist eine einzige Überwachungsanlage, alles, selbst die Luft, wird für Diana zum Teil einer Verschwörung, der Gaslighting-Prozess ist radikal. Auch die immer anderen Kleider, die sie zu den diversen Mahlzeiten und Kirchgängen zu tragen hat, sind Teil der grossen Charade, in der sich eine Frau ganz zu verlieren droht.
Mitleid hat man mit ihr trotzdem nicht. Denn Stewarts Diana sägt selbst gewaltig an den Nerven der anderen, beide Seiten sind voneinander überfordert, die Royals haben sich dem Gebot «niemand steht über der Tradition» mit Leib und Leben unterworfen, Diana steht dagegen wie ein trotziges, in allzu viel Freiheit aufgewachsenes und sehr verwöhntes Kind. Nur mit ihren Kindern hat sie's gut.
Das Drehbuch zu «Spencer» stammt von Steven Knight, er ist der Mann, der «Eastern Promises» für David Cronenberg und alle Folgen von «Peaky Blinders» geschrieben hat. Einer also, der bestens Bescheid weiss über die mehr oder weniger subtilen Mechanismen von Macht und Gewalt und was sie so mit Körpern und Seelen anzurichten vermögen.
«Spencer» ist eine Diana-Meditation, eine moderne Film-Noir-Fassung einer Geschichte, von der wir alles zu wissen glaubten, und die in Larraíns und Knights Interpretation – einer kunstvollen und immer leicht künstlichen «Fabel nach einer wahren Tragödie» – plötzlich schmerzhaft viele Krallen und Klingen auszufahren vermag.
Kommt dazu, dass Kristen Stewart in «Spencer» nicht wie in «Personal Shopper» von einem Poltergeist heimgesucht wird. Nein, Diana scheint nun in die Schauspielerin eingefahren zu sein und so sehr von ihr Besitz genommen zu haben, dass Stewart weitgehend nicht mehr wiederzuerkennen ist.
Diese Diana ist keine Verkörperung im Sinne einer Imitation, sondern eine Heimsuchung, immer nah am Unheimlichen. Gespenstergleich. Horror. Und so weit von sich selbst oder wenigstens von einer realistischen Figurendarstellung weggewagt hat sich Kristen Stewart nie, Dianas Befreiungskampf ist zu einer neuen künstlerischen Befreiung der 31-Jährigen geworden.
Ach ja, Hinhören lohnt sich übrigens auch. Selten wurden so viele Spitzen derart minimalistisch verpackt. Und die Geschichte von den überzüchteten royalen Fasanen, die zu dumm zum Überleben sind und die gejagt werden müssen, weil sie sich sonst immer von Autos überfahren lassen, dürfte zu den komischsten Pointen des filmischen Britpop Royal gehören.
«Spencer» läuft ab dem 13. Januar im Kino.