Soll Netflix die Royals verklagen? Oder die BBC? Wegen Aufmerksamkeits-Beraubung? Oder wie der «Guardian» schrieb: «Prince Andrew hat ‹The Crown› schon jetzt ruiniert.» Tja, schlecht gelaufen. Denn was Prinz Andrew am vergangenen Samstagabend im TV-Interview von sich gab – und was seither geschah –, war weit explosiver, als es die seit Sonntag erhältliche dritte Staffel von «The Crown» auch nur ansatzweise sein kann.
Alle möchten ein anderes Leben: Die Queen würde lieber Pferde züchten als Queen zu sein; Prinz Philip hat eine Midlife-Krise, weil diese Prinzenrolle nun einmal einfach nichts Rechtes ist für einen rechten Mann; Prinzessin Margaret wäre lieber Queen als bloss Schwester der Queen; Prinz Charles möchte einfach gern seine Camilla lieben dürfen und sonst nichts; seine Schwester Anne wäre lieber Thronfolgerin als bloss Schwester des Thronfolgers ...
Die einen möchten mehr, die andern weniger, die einen greifen deswegen zur Flasche, die andern zur Männertherapiegruppe und jede Generation käut die Probleme ihrer Vorgänger wieder als wäre sie eine träge Herde schottischer Hochlandrinder.
Die Blase, in der sich in «The Crown» alle befinden, ist gross und golden und manchmal kratzt die Realität wie eine räudige Katze gefährlich mit ihren scharfen Krallen daran und bringt sie beinah zum Platzen. Allerdings sind die Hochs und Tiefs der Royals jetzt weit weniger spektakulär als in den ersten beiden Staffeln.
Da erlebten wir die blutjunge Queen, Liebe, Krönung der Liebe, Krönung, Betrug, den alles überragenden Churchill, die Profumo-Affäre, Margarets Liebesdrama, den crazy Onkel, der wegen einer geschiedenen Amerikanerin auf den Thron verzichtete und mit den Nazis sympathisierte ... Und alles raffiniert miteinander verflochten, gegeneinander geschnitten und in aller Herrlichkeit auch gnadenlos entlarvend. Es war einmal ein Drehbuch zum Niederknien.
Das neue ist leider so schlapp wie das Rennpferd der Queen in Ascot. Es will einfach nicht mehr gewinnen! Und das, obwohl jetzt mit der sarkastischen Olivia Colman die amtierende Oscargewinnerin 2019 im Serien-Sattel sitzt. Und neben ihr die wie immer zugleich nobel und latent irr agierende Helena Bonham Carter als Margaret. Aber mindestens die Folgen 5, 6 und 7 sind gnadenlos langweilig. Und dies trotz Mondlandung und unentwegter Fettnäpfe, die von den Royals so gern frequentiert werden.
Die Jahre zwischen 1964 und 1977 sind, wenn man der Serie glaubt, eine Epoche routinierter Depression. Die auch die Drehbuchautoren zu befallen haben scheint. Schleppend, pathetisch, ist das. Nur Grossbritannien selbst geht es noch schlechter als seinen Royals. Aber kümmert sie das wirklich? Und leider, leider wissen wir: Das Beste kommt erst noch. Irgendwann. Margaret Thatcher (Gillian Anderson!). Charles und Diana und Camilla und der Tod. Andrew und Fergie und vielleicht ja auch Jeffrey Epstein, der – so ein Palastsprecher 2011 – Andrew geholfen habe «zu entspannen».
Eins der Highlights von Staffel drei ist der zweistündige TV-Dokfilm über die Royals, den die BBC am 21. Juni 1969 ausstrahlte. Da werden sie gefilmt, wie sie vor dem Fernseher sitzen und sich selbst in irgendeiner Nachrichtensendung zuschauen. Und wie sie krampfhaft versuchen, eine ganz normale Familie zu spielen. An jenem 21. Juni schauten ihnen 37 Millionen Briten dabei zu.
Bei der Bevölkerung kam der Film damals nicht einmal so schlecht an, in der Presse dagegen sehr. Und die Royals hassten die bissigen Voice-Over-Kommentare der BBC-Crew im Stil von «Die Monarchie drückt sich nicht in der Macht aus, die der Souverän innehat, sondern in der Macht, die sie allen andern verweigert» so sehr, dass sie den Film nach einer einzigen Zweitausstrahlung 1977 in irgendwelche unauffindbaren Giftschränke verbannen liessen.
Prinz Andrew ist am Samstag vor dem «Crown»-Start ganz abgehobene Arroganz, bornierte Dekadenz, absolute Empathielosigkeit. Der «Guardian» spricht von «monströser Selbstgerechtigkeit und, offen gestanden, erstaunlicher Dummheit».
An seine eigene, vielfach belegte Vergangenheit als Partyprinz kann er sich nicht erinnern. Keine Ahnung, wie er zu diesem Titel gekommen ist. Mitgefühl mit Jeffrey Epsteins minderjährigen Opfern? Ist nicht in Sicht. Das kommt erst vier Tage später. Als er sich am Mittwochabend «für die vorhersehbare Zukunft» von allen öffentlichen Aufgaben zurückzieht. Weil er der «Arbeit seiner Familie» sonst zu sehr schade. Die Queen unterstützt seinen Rückzug.
Erinnert er sich im Interview, dass er Sex mit einer Minderjährigen gehabt haben soll? «I have no recollection of ever meeting this lady.» Wie sagte einst Bill Clinton über Monica Lewinsky? «I did not have sexual relations with that woman.» Doch, hatte er.
Ein Mann wie einer jener Soziopathen, denen wir in Filmen und Serien so gerne zuschauen, aber im echten Leben nicht. Selbst als stoischer Fan der britischen Monarchie möchte man dieser jetzt gerade gern die letzten Kerzen ausblasen. Da bleibt wieder viel an Goodwill-Arbeit zu tun für William und Kate und Harry und Meghan. Denn dieses Interview hat keine Chance, in einem Giftschrank zu verschwinden.
Und Netflix? Müsste sich vielleicht überlegen, die nächsten royalen Dekaden etwas schneller zu erledigen, um in der elend verzwickten Gegenwart anzukommen: Wie lange ist Lilibet noch an der Macht? Wird Biobauer und Aquarellmaler Charles vor ihr sterben? Wird ihm William als Thronfolger vorgezogen? Und was macht eigentlich Meghans unmöglicher Vater? Gründet er vielleicht eine WG mit Andrew? Der hat jetzt Zeit.
Ich konnte kaum glauben, was dieser Mann gerade für abgehobene und empathielose Dummheiten von sich gibt.