Auch wir bei watson erhielten diese Tage das Mail. Wie jedes Jahr, wenn das Thermometer zum ersten Mal langfristig auf über 28 Grad zu steigen droht. Bei uns kam es von Bürgi – Hockey-Bürgi. Er kennt nicht nur die Penalty-Killing-Quote aller Teams der Saskatchewan Junior Hockey League, er weiss auch, wie man am Morgen richtig lüftet. Und deshalb hiess der Betreff: «So überleben wir den Sommer im Büro ohne Streit».
Bürgis Email zeugt von einem unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen. Er geht davon aus, dass MitarbeiterInnen a) Emails lesen, b) das Gelesene verstehen und c) das dann sogar noch umsetzen. Und auch wenn es so wäre: Der Klimaanlagen-Konflikt ist trotzdem unausweichlich. Denn er ist die Mutter aller Kampfzonen.
Weltanschauungen, die Staatsangehörigkeit, das Geschlecht und auch die Religion kann man wechseln. Sogar aus einer Kultur kann man ausbrechen. Aber aus der eigenen Haut fahren, das kann man nicht. Und beim Stoffwechsel, da zeigen sich die wahren Unterschiede der Menschen. Das beweist ein repräsentativer Blick ins Grossraumbüro von Boden-Meier*, ihr Partner für trendige Laminat-, Plättli- und Steinböden in der Industrie Obere Ey in Dulliken.
*Boden-Meier ist natürlich rein fiktiv. Aber trotzdem repräsentativ. Ähnlichkeiten mit tatsächlich existierenden Personen sind rein zufällig.
Im flachen Industriebau hält es Beat von der Dispo kaum mehr aus: «Huere Souhitz!», flucht er hörbar. Seine Wetterstation (privat gekauft) signalisiert ihm, dass es in seiner Ecke um 11.45 bereits 26,7 Grad warm ist, und auch das erste Hemd ist schon durch: «So Freunde!», ruft er triumphierend durchs Büro, «ich zitiere jetzt us dä Wägleitung zur Verordnig 3 zum Arbetsgsetz vom SECO! Arbeitsphysiologisch gute Bereiche für Lufttemperaturen sind … »
Am anderen Ende des Raumes weiss Sandra, woher der Wind gleich weht. Von schräg hinter ihr aus der Mitsubishi Heavy Duty Aircon Jahrgang 1998. Patron Meier, der clevere Fuchs, hatte das Ding im Hitzesommer 2003 günstig bei einer Insolvenzversteigerung abgestaubt, als im ganzen Land die Klimaanlagen ausverkauft waren. Zusammen mit seinem Neffen hat er das Monstrum dann «rechtlich eher im Graubereich» installiert. Sandra holt noch einmal tief Luft. Es ist jedes Jahr dasselbe, nur dass sie heuer so clever war, die ausgefingerte Fernbedienung bereits im Februar verschwinden zu lassen.
Mit rotem Kopf marschiert Beat an ihr vorbei: «… Arbeitsphysiologisch gute Bereiche für Lufttemperaturen sind für Büroarbeit bei sitzender Tätigkeit während der warmen Jahreszeit 23 bis 26,5 Grad! Wosch jetzt diä huärä Fernbedienig?»
Die 21 Leute im Raum sind mucksmäuschenstill. Nur Stift Yannick, 17, mampft so selbstvergessen wie geräuschvoll Erdnuss-Flips. Beat stemmt die Hände in die Hüften und schaut sich um – ob ihm auch wirklich die volle Aufmerksamkeit gilt. Dann greift er triumphierend in die Gesässtasche und holt ein kleines schwarzes Kästchen hervor: «Zum Glück tenked mir vode Dischpo vorus! Temu isch dinn Fründ!».
*Piiip* – und nach ein paar Anlaufschwierigkeiten rauscht die Mitsubishi wie die Aare bei Hochwasser. Der eisige Luftzug reisst Yannick sogleich die Flipstüte aus den Fingern. Der Inhalt verteilt sich über den strapazierfähigen und druckfesten, dank 5G-Klicksystem einfach zu verlegenden und gottlob pflegeleichten und fleckenunempfindlichen Hochglanz Imperio-romano-Laminat mit umlaufender V-Fuge (auch geeignet für die Verlegung auf einer WW-Fussbodenheizung). Der Junge schaut aufgeschreckt hoch. Jetzt bleibt ihm nur noch die Capri Sonne. Oder würde Beat diese als Provokation erachten? Dieser kramt jedoch bereits in seinem Portemonnaie und überreicht Yannick würdevoll einen Zweifränkler: «Hier! Für deinen Verlust!»
Zurück am Arbeitsplatz wird Beat von Sandra empfangen: «Du Beat, so hani morn Nackestabi. Chasch nöd chli abädraiä?», fragt sie fast schon flehend. Beat will ein gnädiger Klimaanlagen-König sein. Doch auch seine Macht hat Grenzen: On-Off geht. Aber viele Knöpfe auf seiner Temu-Fernbedienung sind nur zum Schein: «Bi 25 Grad stelli ab!», verspricht er.
Als Beat nach dem Mittagessen um 13.47 selbstverständlich die Mitsubishi startet, vergehen nur wenige Sekunden, bis aus den Weiten des Büros ein *Piiip* ertönt und die Anlage wieder verstummt. Mit geschürzten Lippen und der Stirne in Falten gelegt, wirft Beat das Teil erneut an, nun aber kritisch den Raum scannend. Niemand nimmt Notiz von ihm. Das Team arbeitet stoisch weiter – auch Sandra, die aber seit Tagen nur noch mit Palästinenserschal dasitzt.
Als sich Beat wieder um den Auftrag der Gemeindeverwaltung Rickenbach kümmern will, geht die Anlage wieder aus. Beat schiesst hoch: «Dasch im Fall nöd luschtig! So en Hitzestau! Tamihösch! Chan au nüt defür, dass ich am wiitischte weg vo dere Kackalag hocke!».
«Söllemer Platz wechslä?», fragt Yannick.
«Und d'Magnetwand? Hä? Ohni d’Magnetwand chani nöd schaffe!»
Betroffene Stille.
«Wie wärs mal mit Excel?», rutscht es Lina raus.
Beats Kopf wird rot. An seinem Hals zeigen sich die Venen. Mit Venen-Beat, das weiss man bei Boden-Meier, ist nicht gut Parkettverlegen: «Seg ich dir, wie du dini Chundegspröch füere sötsch, hä! Hä! HÄÄÄ! Wänn häsch du sletscht mal en Uftrag inegholt? HÄÄÄ?».
Als Beat die Anlage wieder einschaltet, wagt es das Phantom von der Oberen Ey nicht mehr, sie abzuschalten.
Die Klimaanlagen-Situation bei Boden-Meier ist komplett aus den Fugen geraten. Hier wird schneller gefeuert als in einem Spaghettiwestern. Beat schätzt, dass mindestens fünf, wenn nicht sogar sieben verschiedene Fernbedienungen im Einsatz sind. Ein paar MitarbeiterInnen scheinen sich auch in sein Lager geschlagen zu haben – dies aber heimlich. Als eines Nachmittags einmal zu einer besonders wilden Piep-Orgie kam, klappte draussen auf dem Parkplatz sogar einmal der Kofferraum von Herbies Subaru hoch.
Über ein sophistiziertes Ausschluss-Verfahren versucht Beat nun schon seit Tagen zu eruieren, wer ihm alles dreinfunkt. Aber er kommt damit an seine Grenzen. Wer kann schon studieren bei 27 Grad.
Dunkle Wolken über Dulliken und auch bei Boden-Meier. Gearbeitet wird nur noch halbbatzig, die Arbeitsmoral ist im Keller. Jeder verdächtigt jeden und das Gerücht geht, Stift Yannick sei der einzige wirkliche Profiteur. Er beliefere beide Lager mit Fernbedienungen. Hinter seinem Rücken nannte ihn Hunziker gar einmal den Klimaanlagen-Kaschoggi.
Während Beat durch die Reihen patrouilliert, geht im Minutentakt die Mitsubishi an und ab. Doch Beat ist guten Mutes. Er hat den Kreis der Verdächtigen verkleinern können. Herbie beispielsweise hat sich ziemlich sicher auf die Seite seiner Gegner geschlagen. Er mag es warm – und er ist doch so stolz auf seinen Leinenzweiteiler, den er von seiner «Studienreise» aus Vietnam nach Hause gebracht hat . Auch wenn er vom vielen Waschen schon fast durchsichtig ist. Leinenzweiteiler hin oder her – immer wenn Herbie präsent ist, das ergaben Beats Berechnungen, wird die Mitsubishi besonders schnell abgeschaltet.
Und während Beat patrouilliert, kommt ihm die zündende Idee. Mit Ardas Leiter und einer Rolle Malerband stellt er sich unter die Klimaanlage. «Jetzt geht es aber zu weit Beat», meldet sich Sandra, die ahnt, was kommt. Sie hatte Beat schon lange als Rädelsführerin der Feindpartei in Verdacht. Doch so kurz vor dem Triumph lässt er sich nicht mehr beirren und klettert zielgerichtet ein paar Stufen hinauf. Oben möchte er endlich den Empfänger abkleben und damit sämtliche Fernbedienungen unschädlich machen. Ganz kurz kommt er sich vor wie die kleine Hexe, die allen anderen bösen Hexen die Fähigkeit des Hexens wegzaubert.
Doch auch Sandra geht nicht unvorbereitet in die Schlacht. Sie nimmt einen Kabelschneider aus ihrem Rollkorpus. Schon seit Tagen liegt er dort versteckt unter Hagebutten-Tee-Schachteln und Reiswaffeln.
Jetzt stehen sie da. Beat mit dem Malerband und Sandra mit dem Kabelschneider.
Es ist der dramatischste Standoff seit Nüssli vs. Rüefnacht im siebten Spiel der Playoffs 2009 zwischen Biel und Lausanne.
Und damit kehren wir zurück zur Realität und zu Hockey-Bürgi. Der rät nämlich – und hat recht damit:
Und wie geht’s weiter in Dulliken?
Dort grätscht ein Sommergewitter in den Showdown zwischen Beat und Sandra. Die Boden-Meier-Crew reisst sämtliche Fenster auf und schaut fasziniert den gewaltigen Wassermassen zu, die da herunterkommen. Und mit dem herrlichen Luftzug, der nun durch das Büro zieht, kühlen sich auch die Gemüter ab. Lina schaut Beat von der Seite aus an: «Trampolino Trimbach, fast 3000 Quadratmeter Lami.» Und dann händigt sie Beat ihre Fernbedienung aus.
«Scho gwüsst!», sagt dieser lächelnd und legt genussvolle eine Kunstpause: «Weisst du: Excel».
Mehr ausziehen hört schnell mal auf…
Kommt hinzu, dass Männer im Büro oft lange Hosen, teils sogar Langarmhemden tragen müssen, währenddessen Frauen in luftigen kurzen Sommerkleidchen rim laufen dürfen…