Nein, in der Schule habe er von dieser Geschichte gar nichts erfahren, sagt Dimitri Krebs. Und auch niemand aus seinem Freundeskreis. «Ich glaube, die meisten, die so alt sind wie ich, haben noch nie davon gehört, dass in der Schweiz in den 1940er-Jahren Menschen erschossen wurden. Das fand ich krass». Dabei ist diese Geschichte mehr als eine Fussnote, sie sagt einiges über das Wesen und die Aussendarstellung der Schweiz aus.
Während des Zweiten Weltkriegs lässt sich ein junger Rumtreiber ohne Geld, der von einer Sängerkarriere träumt, in St.Gallen mit den Nazis ein. Damit ist Ernst Schrämli zunächst nicht allein. Doch er spioniert, liefert dem Feind strategische, aber unbedeutende Dokumente und Granaten, wird entdeckt. Weil sich der Wind dreht und klar wird, dass die Alliierten den Krieg gewinnen, lässt die Schweiz ihn und 16 andere als «Landesverräter» hinrichten. Um die weisse Weste zu wahren. Indes die Waffenlieferung an die Nazis von Emil Bührle im grossen Stil weiterlaufen.
So die Kurzfassung dieses historischen Falls, den Niklaus Meienberg und Richard Dindo 1976 in ihrem Dokumentarfilm «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» aufarbeiteten. Fast 50 Jahre später folgt nun der Spielfilm «Landesverräter» von Regisseur Michael Krummenacher. Prominent besetzt mit Fabian Hinrichs, Luna Wedler, Stefan Gubser. Und mit einem Neuling ohne jegliche Schauspielerfahrung in der Hauptrolle: Dimitri Krebs, der sich zum Gespräch als «Dimi »vorstellt.
Wie hat es der schlaksige 27-Jährige, der lässig mit Shirt und Goldkette dasitzt wie zum Feierabendbier und regelmässig ein «mega» vor Worte setzt, geschafft, für dieses Prestigeprojekt besetzt zu werden? Über die Musik, erzählt Krebs. Er spiele Schlagzeug zusammen mit einem alten Freund des Regisseurs, der verzweifelt jemanden für die Rolle gesucht habe. «Dann habe ich ein Mail von einer Casting-Agentur erhalten. Ich dachte zuerst, das wäre Spam. Anschliessend ging es für ein paar Wochen nach London, in die Schauspielschule. Warum Michael exakt mich ausgesucht hat, weiss ich nicht. Ich habe nie gefragt», sagt er lachend.
Krebs spielt Schrämli charismatisch als rastlosen Geist, der nie ganz bei sich selbst ist und viel dafür tun würde, aus dem ständig schaffenden, bünzligen St.Gallen zu entkommen. Die Mutter ist gestorben, der Vater verachtet ihn. Aufgewachsen in Heimen wird er von einem Vormund betreut. Der Film selbst bleibt allerdings in seiner Figurenzeichnung oft vage und sprunghaft, wird grell und symbolisch, wo dezent besser gewesen wäre. Vor allem die Gesangspassagen wirken sehr deplatziert. An Krebs, der sein Bestes gibt, liegt es nicht, dass «Landesverräter» zwar wichtig, aber kein Meisterwerk ist.
Selbst nach dem Dreh weiss der Schauspieler nicht recht, wie sympathisch ihm seine Figur sein soll. «Auch nachdem ich seine gut geschriebenen Briefe aus dem Gefängnis gelesen habe, bleibt für mich schleierhaft, was das für ein Mensch war. Sicher einer, der von verschiedenen Einflüssen getrieben und sehr kindlich war. Er wollte ja berühmt werden und sich nicht in der Fabrik krumm arbeiten. Für dieses Ziel hintergeht er andere Leute, fordert seine Freundin Gerti auf, abzutreiben. Aber er ist auch so, weil er nie Nähe oder Liebe erfahren hat und gelernt, wie Zusammenhalt funktioniert.»
Anders als Krebs, der behütet aufgewachsen ist. Er musiziert in seiner Freizeit (unter anderem in der Nelly-Furtado-Coverband Nelly Schweiz) und arbeitet hauptberuflich in einer Jugendpsychiatrie. Zudem studiert er seit 2019 soziale Arbeit. Im Gespräch wirkt Krebs wie ein ruhiger, geerdeter, fast schüchterner Typ. Einer, der die Dinge mit gelassenem Gleichmut auf sich zukommen lässt. Einmal rutscht ihm ein «Scheisse» heraus, auf das sofort ein «oh, sorry» folgt.
Noch schwieriger als die Sexszenen mit Luna Wedler waren für Krebs die emotionalen Ausbrüche seiner Figur: «Das geht völlig gegen meine Natur. So aufbrausend zu sein und herumzuschreien, das mache ich nie, vor allem nicht vor so vielen Leuten am Set.» Dafür habe er etwas Essenzielles beim Drehen eines Films («eigentlich eine völlig verrückte Sache») gelernt: Mit Druck umzugehen. «Man muss sich aktiv rausnehmen und sagen, wenn man mal fünf Minuten für sich braucht. Auch wenn dann mal hundert Leute am Set warten und das vielleicht 2000 Franken kostet. Das traut man sich am Anfang natürlich nicht.»
Wie fühlt sich der Introvertierte in diesem exponierten Beruf? Werden wir ihn in Zukunft noch öfter auf der Leinwand sehen? Krebs sagt, er würde sich Anfragen schon anhören, aber nichts aktiv suchen. Jetzt sei er mit «Landesverräter» eine öffentliche Figur. Ob er auch eine bleiben wolle, habe er noch nicht entschieden: «Ich mag meine Privatsphäre und fände es nicht so cool, wenn ich über mich Sachen in der Zeitung lesen müsste, die nichts mit dem Film zu tun haben.»
Und was denkt er, der einer Generation angehört, die von Landesverrätern nie etwas gehört hat, was der Film für die Gegenwart zu sagen hat? Bei dem Thema blitzen seine Augen auf: «Ich hoffe, dass die Leute sich wieder bewusst werden, dass die Schweiz nicht einfach deshalb so reich ist, weil unter unserem Boden Geld wachsen würde. Wir sind sehr um unser Image besorgt, während unter dem Deckmantel der Neutralität so viele schmutzige Geschäft betrieben werden. So wie Ernst Schrämli eine schwierige Figur ist, ist auch die Schweiz ein sehr ambivalentes Land.»
«Landesverräter» läuft jetzt im Kino.