Ich war gerade einmal 18 Jahre alt, als ich als Immobilienwirtschafterin zu arbeiten begann. Wenn ich damals jemandem bei einer Abnahme zusätzliche Kosten berechnen musste, weil etwas mit der Wohnung nicht in Ordnung war, erhielt ich oftmals eine sehr aggressive Reaktion. Viele dachten sich wohl: So eine junge Frau, was will die mir schon erzählen – das weiss ich sowieso besser.
So erlebte ich das an einer Wohnungsabnahme mit einer Frau, die alleinige Mieterin war. Bei unserem Treffen war ihr Partner anwesend. Die Dame hatte die Wohnung nicht ausreichend geputzt, am Kühlschrank waren einige Dinge kaputt und auch an den Wänden hatte es Flecken – all dies notierte ich im Protokoll. Der Mann fuhr mich bereits da an und fragte, was ich denn überhaupt so lange vor mich her kritzle, und sowieso solle ich mich beeilen, die beiden müssten noch an einen Termin. Als ich erklärte, dass die Wohnung nochmals gereinigt werden müsse und die kaputten Dinge verrechnet werden, wurde der Partner der Mieterin laut und mir gegenüber ausfällig.
Er sagte, ich hätte in meinem zarten Alter ja sowieso keine Ahnung. Und, dass ich einem erwachsenen, gestandenen Mann (er meinte wohl sich selbst) meinen Respekt erweisen müsse. Was mir einfalle, zu behaupten, es sei nicht sauber. Seine Frau würde schon 30 Jahre länger Wohnungen putzen als ich und wisse darum bestimmt besser, was sauber ist und was nicht. Der gestandene Mann kam mir immer näher, ohne seine Lautstärke der Distanz zwischen seinem Mund und meinem Ohr anzupassen. Währenddessen fuchtelte er wie wild mit seinem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum. Ich hatte zeitweise Angst, dass er bald handgreiflich werden würde. Ich bat ihn dann darum, sich doch zu beruhigen – schliesslich würde ich auch nur meinen Job erledigen. Solche Konfrontationen gehören halt dazu.
Ich finde, ich habe durch meinen Beruf Selbstbewusstsein dazugewonnen. Dadurch, dass man ständig mit fremden Menschen spricht, lernt man, sich durchzusetzen. Zu Beginn habe ich viele Aussagen von Kunden sehr persönlich genommen – mit der Zeit merkte ich, dass diese Interaktionen rein geschäftlich sind und nichts mit mir als Person zu tun haben.
Komische Situationen gibt es auch bei Wohnungsbesichtigungen: Hier trifft man sich ja mit einer wildfremden Person, um ihr eine Wohnung zu zeigen. Dabei kommt es immer wieder vor, dass man jemandem anmerkt, dass er zuvor Drogen konsumiert hat, oder man riecht beispielsweise eine Alkoholfahne – morgens um 10 Uhr. Das ist dann jeweils etwas unangenehm für mich. Die sind mir aber weitaus sympathischer als die Glüstler, die mir unangebrachte Fragen stellen: «Ach, Sie gehören hier hoffentlich auch gleich zur Wohnung dazu, oder?» Alte Männer, junge Männer, und auch Männer, die IN DIESEM MOMENT gerade zusammen mit ihrer Ehefrau eine Wohnung besichtigen.
Regelmässig denke ich mir: «Was seid ihr für Menschen?», wenn ich eine Wohnung abnehme. Es gibt solche Kandidaten, die nicht einmal ihr abgelaufenes Essen aus dem Kühlschrank entfernen und dann ernsthaft behaupten, die Wohnung sei sauber. Sowieso steht die Küche häufig im Zentrum der Diskussion: Jemand stritt sich mit mir darüber, ob der Dampfabzug sauber sei oder nicht – währenddessen tropfte mir das Fett herunter auf mein Protokoll auf der Herdplatte. Es gibt wirklich nichts, was es nicht gibt. Wir hatten Fälle, bei denen Mieter das gebrauchte Frittieröl aus dem Fenster in den Innenhof kippten, oder eine Frau, die alle ihre leeren Milchkartons kurzerhand aus dem Fenster warf.
Bevor ich als Immobilienbewirtschafterin angefangen habe, war mir nicht bewusst, wie viele Messies es gibt. Dort stinkt es dann wie die Pest aus der Wohnung und es werden ganze Zimmer mit Abfall gefüllt. Das entdecken wir normalerweise, weil sich ein Nachbar über den üblen Geruch aus dem oberen Stock beschwert. Was auch erstaunt, ist, dass man es vielen Menschen gar nicht geben würde, dass sie so hausen. Wenn man sich die Bilder der verdreckten Wohnung ansieht und dann das Familienfoto auf dem Bewerbungsschreiben sieht, ist man perplex.
Mein Job hat definitiv mein Bild der Menschheit verschlechtert oder besser gesagt korrigiert. Es gibt einfach jede Menge schräge Leute, die nicht zu begreifen sind. Immer wieder habe ich deshalb aber auch lustige Begegnungen. Sei es die Dame, die mich fragte, ob sie in einem Zelt «einmal probeschlafen» könne, um die ausgeschriebene Wohnung «besser zu spüren». Oder die Spezialisten, die sich wirklich auf jede einzelne Wohnung in einem Kanton bewerben – unabhängig von Grösse, Preis und Standort.
Ich bin seit 5 Jahren in meinem Beruf. Angefangen habe ich damit, weil ich keinen Bock mehr hatte, jeden Tag im Büro zu sitzen und eine eintönige Arbeit verrichten zu müssen. Weil eine Freundin dann in die Immobilienbranche wechselte, tat ich es ihr gleich. In meinem Job bin ich viel unter Menschen und erlebe jeden Tag etwas Neues. Es fühlt sich nie an, als würde die Zeit nicht vergehen – ganz im Gegenteil: Die Zeit rennt einem davon.
Ebenfalls zum Arbeitsalltag gehören die Senioren und Stubenhocker, die den ganzen Tag nichts anderes zu machen scheinen, als ihre Nachbarn bei der Verwaltung anzuschwärzen. Wenn Herr Meier zum 4. Mal diese Woche anruft, um mir zu verklickern, dass dieser graue VW schon wieder auf dem Besucherparkplatz stehe und gestern übrigens schon wieder die Familie aus dem dritten Stock zu laut aus der Ausfahrt hinaus gerast sei, muss ich höflich bleiben.
Egal, wie sehr jemand nervt, ich muss immer zuhören, Verständnis zeigen und mich für die Information bedanken. Wieso interessiert es Sie, ob Ihr Nachbar sein Fenster gekippt hat im Winter? Sie bezahlen ja nicht seine Heizkosten. Es ist mir herzlich egal, ob Herr Leuenberger die Wäsche 10 Minuten zu spät aus der Waschmaschine genommen hat, und es interessiert mich auch nicht, dass er sein Waschmittel jeweils auf der Maschine stehen lässt. Wirklich. Absolut. Null.
Wie zuverlässig die Menschen zu einem Termin erscheinen, ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Im Kanton, in welchem ich früher arbeitete, tauchten 40 Prozent der Interessenten nicht einmal auf zum Termin. Jetzt arbeite ich woanders, wo die Wohnungen knapper sind – hier erscheinen alle. Die würden sich hier sogar noch ausziehen, wenn das ihre Chancen auf eine Zusage seitens der Verwaltung erhöhen würde.
(anb)
Schönes Fazit der Grundhaltung von Immobilienbewirtschaftern in grossen Verwaltungen. Hatte leider das "Vergnügen"mich Jahrelang mit einem Krawall-Nachbarn rumzuschlagen, und die Verwaltung jeweils so 🤷♂️.
Getreu nach dem Motto: Wer ein Problem hat soll halt kündigen, die neuen Bewerber würden sich ja sogar ausziehen für eine Wohnung.