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So wehren sich Patientenorganisationen gegen die Kostenbremse

FILE - A patient with COVID-19 lies on a bed with a ventilator in the intensive care unit at the la Timone hospital in Marseille, southern France, Thursday, Dec. 23, 2021. The World Health Organizatio ...
Ein Patient auf der Intensivstation.Bild: keystone

So wehren sich Patientenorganisationen gegen die Kostenbremse

Nicht nur Ärzte, Spitäler und Pflege lehnen die Kostenbremse im Gesundheitswesen ab. Auch die Patientenorganisationen warnen vor schweren Einschnitten.
04.06.2024, 15:30
Anna Wanner / ch media
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Die Zahlen im Gesundheitswesen sind erdrückend. Seit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes 1996 haben sich die Kosten, die über die Krankenkasse abgerechnet werden, vervielfacht. Von 10,8 Milliarden Franken sind sie auf über 40 Milliarden Franken pro Jahr angewachsen.

Wegen des allgemeinen Bevölkerungswachstums ist der Anstieg pro Kopf zwar nicht so arg: Die Kosten haben sich etwa verdoppelt. Die Mitte-Partei will dieser Entwicklung aber jäh ein Ende setzen: Mittels Kostenbremse sollen die Akteure im Gesundheitswesen gemassregelt und zu Einsparungen gezwungen werden. Am Sonntag stimmt die Bevölkerung über die Vorlage ab.

Die Kostenbremse gäbe künftig vor, dass die Ausgaben für Gesundheitsleistungen nicht stärker wachsen dürfen als die Gesamtwirtschaft, als die durchschnittlichen Löhne. Sobald die Gesundheitskosten leicht über der Lohnentwicklung liegen, müssten die Akteure im Gesundheitswesen Massnahmen ergreifen.

Demografie als grosser Treiber der Kosten

Ärzte, Spitäler und Pflege haben sich früh gegen diese starre Lösung gewehrt. Sie veranschaulichen die Problematik unter anderem damit, dass damit Willkür Tür und Tor geöffnet werde: Nicht der Bedarf ist für die Versorgung der Bevölkerung entscheidend, sondern die Konjunktur. Dazu der Vergleich: Wäre die Kostenbremse 2000 eingeführt worden, wäre heute über ein Drittel der Leistungen aus der Grundversicherung nicht gedeckt.

Weiter führt die demografische Entwicklung zwingend zu einem Konflikt: Die Alterung der Bevölkerung schreitet voran - und mit ihr die Gesundheitskosten. Die Zahl der Menschen im Erwerbsalter sinkt, die Zahl der über 65-Jährigen und über 80-Jährigen steigt deutlich. Nur wachsen auch die Kosten pro Kopf ab 50 Jahren markant, dann setzen chronische Krankheiten und mehrfach Erkrankungen ein. Bei 20- bis 64-Jährigen rechnet das Bundesamt für Statistik mit Gesundheitskosten von 2733 Franken pro Kopf und Jahr (2021), für 65- bis 79-Jährige sind es 7921 Franken. Für über 80-Jährige 14'177 Franken.

Wer also über die Kostenentwicklung regulieren will, der kommt schnell an eine Grenze. Alleine wegen der Demografie müsste die Kostenbremse kurzfristig aktiviert werden. Das ruft nun auch Patientenorganisationen auf den Plan: Die Stiftung Patientenorganisation (SPO) warnt vor der Annahme der Initiative: «Sie würde auf dem Buckel der Schwächsten ausgetragen, auf jenem der Patientinnen und Patienten», sagt Susanne Hochuli, Präsidentin der Stiftung und frühere Aargauer Gesundheitsdirektorin.

Hochuli legt dar, dass auch sinnvolle Reformen Zeit brauchen, bis sie umgesetzt sind – und wirken. Die Kostenbremse lasse das aber nicht zu. «Es ist absehbar, dass die mächtigen Akteure im Gesundheitswesen bei einem Sparauftrag ihre Pfründen sichern.» Leidtragende seien letztlich jene, die sich nicht wehren können – nämlich die Patienten.

Angst vor einer Zweiklassenmedizin

Sukkurs erhält Hochuli auch von Betroffenen. Eine von ihnen ist Ute Studer. Die 60-Jährige leidet an Multipler Sklerose und Diabetes. Sie kennt das Gesundheitswesen als Patientin, aber auch als Mitarbeiterin bei einer Krankenversicherung und später in einem Ärztenetz. «Wir haben in der Schweiz einen privilegierten Zugang zu Therapien, diesen sollten wir nicht aufs Spiel setzen.»

Hochuli und Studer sind beide überzeugt, dass eine Unterfinanzierung von Gesundheitsleistungen fatale Folgen haben würde: Leistungen sind nur garantiert, wenn im System für eine bestimmte Behandlung gerade noch genügend Budget ist - oder man diese selbst bezahlen kann. Ob dadurch Kosten einzusparen wären, sei keineswegs so klar, sagt Susanne Hochuli: «Wer eine Therapie benötigt, sie aber nicht erhält, verschleppt eine Krankheit und hat später höhere Behandlungskosten.»

Nichts tun, ist aus Sicht der Patientenvertreterinnen aber auch keine Lösung. Beide setzen sich für eine stärkere Grundversorgung und Patienten-Empowerment ein. Erst wenn eine informierte Patientin über Vor- und Nachteile einer Behandlung entscheiden kann, wird sie auf Doppelspurigkeiten und Überversorgung reagieren können, sagt Ute Studer.

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