Der Anstieg der Krankenkassenprämien belastet die Schweizer Bevölkerung. Am nächsten Sonntag wird über zwei Volksinitiativen abgestimmt, die das Problem auf unterschiedliche Weise angehen wollen: Die Mitte-Partei will den Anstieg der Gesundheitskosten bremsen, die SP die Prämienlast bei zehn Prozent des verfügbaren Einkommens deckeln.
In den letzten Umfragen sieht es für beide Initiativen nicht allzu gut aus. Die Kostenbremse dürfte fast sicher abgelehnt werden, und bei der Prämienentlastung ist der Trend negativ. Darauf deutet auch eine am Montag veröffentlichte Umfrage des Online-Vergleichsportals Bonus.ch hin. Demnach wollen 53 Prozent die Prämienentlastungs-Initiative annehmen.
Allerdings ist die Zustimmung in der Westschweiz und im Tessin deutlich grösser als in der Deutschschweiz. Damit verstärkt sich die Vermutung, dass das Ständemehr eine zu hohe Hürde für die SP-Initiative sein könnte. Abgerechnet wird am Sonntag, eine Überraschung ist nach wie vor möglich. Wahrscheinlich aber bleibt, dass sich nichts ändern wird.
In der Fachwelt gibt es ohnehin Zweifel an der Wirksamkeit der Initiativen (jene der SP betreibt reine Symptombekämpfung). Doch das Problem verschwindet nicht. Durch die alternde Bevölkerung und den medizinischen Fortschritt, etwa durch exorbitant teure Medikamente für seltene Krankheiten, werden die Krankenkassenprämien weiter ansteigen.
Hinzu kommen Fehlanreize und andere Missstände, die die Kosten zusätzlich in die Höhe treiben. Das Schweizer Gesundheitswesen krankt in verschiedenen Bereichen. Allein in den letzten Tagen sind dazu mehrere Meldungen und Berichte etwa in der Sonntagspresse erschienen. Sie zeigen exemplarisch, dass in der Gesundheitspolitik einiges schiefläuft.
Pillen, Tropfen und Spritzen sind in der Schweiz deutlich teurer als in anderen europäischen Ländern. In den letzten Jahren wurde der Preisunterschied tendenziell kleiner, doch nun hat die Differenz wieder zugenommen. Das zeigt der neuste Preisvergleich, den der Branchenverband Interpharma und der Kassenverband Santésuisse am letzten Freitag vorgestellt haben.
Besonders krass ist der Unterschied bei den Nachahmerprodukten, die eigentlich die Kosten dämpfen sollen. Generika kosten im Ausland nur halb so viel wie in der Schweiz. Die in unserem Land sehr mächtige Pharmabranche aber findet stets Ausflüchte, um tiefere Preise zu verhindern. Vor drei Jahren torpedierte sie im Parlament ein Referenzpreissystem.
Ärztinnen und Ärzte wehren sich ebenfalls häufig gegen Massnahmen zur Kostensenkung. Die Kostenbremse-Initiative etwa bekämpfen sie mit der Warnung vor Rationierungen oder langen Wartezeiten. Ihr Engagement ist jedoch nicht immer altruistisch. Das zeigt eine Reportage in der «NZZ am Sonntag», die auf einen üblen Missstand hinweist.
Demnach sollen Ärzte vor allem in privaten Institutionen von Patienten ein Zusatzhonorar in bar für eine «Vorzugsbehandlung» fordern. Das widerspricht dem ärztlichen Berufsethos und dem Prinzip der solidarischen Krankenversicherung, ist aber offenbar «gang und gäbe». In der «NZZ am Sonntag» ist von «griechischen Zuständen» die Rede, also von Korruption.
Es sind Ärzte selbst, die sich über diese Abzockerei aufregen, wenn auch anonym. «Einige von uns haben den moralischen Kompass verloren», heisst es unter anderem. Der Gesundheitsökonom Heinz Locher meint dazu nur: «Zu viele profitieren, deshalb ändert niemand was. Aber wenn sich sogar die Ärzte darüber aufregen, muss es schlimm sein.»
Allerdings haben auch Patienten häufig eine überrissene Anspruchsmentalität. In der «Sonntagszeitung» liess sich ein Arzt anonym zitieren: «Oft kommen sie für jeden Nonsens und fordern unbegründete Untersuchungen, Blutentnahmen, Röntgen bei Bagatellsachen. Im Sinne von: Ich zahle ja meine Prämien, dann hast du auszuführen.»
Nicht selten wird erst «Dr. Google» konsultiert, worauf man eine entsprechende Behandlung erwartet. «Manchmal fühlen wir uns mehr als Dienstleister. Der Patient kommt und sagt, was er möchte», heisst es dazu. Wer nicht spurt, riskiert negative Online-Bewertungen. Es mögen «Ausreisser» sein, doch mit den steigenden Prämien wachsen die Ansprüche.
Im Kanton Genf hat die Krankenkasse Agrisano in diesem Jahr eine «Schallmauer» durchbrochen. Sie hat in der Grundversicherung eine Jahresprämie von 11’252 Franken offeriert – für eine erwachsene Person mit einer Franchise von 300 Franken plus Unfallversicherung. Dies berichtet die «Sonntagszeitung» in ihrer aktuellen Ausgabe.
Es handelt sich um ein Extrembeispiel aus dem Kanton mit den teuersten Krankenkassen. Dennoch könnten Jahresprämien von 10’000 Franken schon bald keine Seltenheit mehr sein. Experten gehen von einem Prämienwachstum von rund drei Prozent pro Jahr aus. Wenn die Verbilligungen nicht mithalten, bekommen das immer mehr Versicherte zu spüren.
Ein weiteres Problem sind strukturelle Defizite, wie die zu vielen Spitäler. Abhilfe ist nicht in Sicht. «In der Politik fehlt es an Kräften, die Massnahmen zum Durchbruch verhelfen könnten, um das Prämienwachstum zu stoppen. Dazu kommen die Lobbyisten, die alles hintertreiben», sagte Gesundheitsökonom Locher gegenüber der «Sonntagszeitung».
Sein Kollege Tilman Slembeck von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur griff im Interview mit der NZZ zu einem prägnanten Vergleich: «Im Moment ist es im Schweizer Gesundheitswesen wie auf den deutschen Autobahnen. Jeder kann einfach Vollgas geben.» Er setzt auf Kostenwachstumsziele und Versorgungsnetze.
Solche Ziele stehen im Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative. Er enthält allerdings keine konkreten Massnahmen für den Fall, dass sie nicht eingehalten werden. Und zu den Versorgungsnetzen wurde ein Projekt im Berner Jura gestartet. Es ist aber nur ein Anfang. Eine nachhaltige Kur für das kranke Gesundheitswesen ist in weiter Ferne.
Wir bezahlen jährlich mehr Krankenkassenprämien, damit
a) Die Pharmaindustrie jedes Jahr mehr verdient
b) Die Ärzte jedes Jahr mehr verdienen
c) Die Versicherungen mehr verdienen (oder weniger Verlust machen, wobei sie ja gleichzeitig weiter schöne Löhne bezahlen)
Bei Geld ist's halt immer so: Es löst sich nicht in Luft auf, sondern fliesst von A nach B. Und hier fliesst es von uns in ein System von Profiteuren.
Das kann gestoppt werden. Sobald die Bürger (per Wahlzettel) und Bürgerlichen endlich aufhören, das System zu stützen.
...was ist mit Werbung / Makler etc für Krankenkassen? Wie viele Prämien fliessen dahin?
In dem man einen Kostendeckel bestimmt, die Politik wird dann gezwungen etwas zu unternehmen. Ihr glaubt etwa nicht, dass für den Mittelstand und die an der Armutsgrenze lebenden ständig steigende Steuern sehen werden?
Das wird nicht passieren, weil der Mittelstand kein Geld mehr für Konsumgüter haben wird, was wiederum der FDP und SVP sehr weh tun wird.