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Kostenbremse-Initiative der Mitte: Gerhard Pfister gegen Yvonne Gilli

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«Arena» zur Kostenbremse-Initiative: Mitte-Pfister greift Ärzte-Präsidentin an

Es ist ein mühevoller Kampf. Mit aller Kraft werben die Mitte-Vertreter in der «Arena» für ihre Kostenbremse-Initiative. Auf der Gegnerseite wird vor einer Zweiklassenmedizin gewarnt, für die Befürworter ist dies «pure Angstmache».
01.06.2024, 02:4401.06.2024, 19:49
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Es war mal wieder ein munterer Auftakt in die all-freitägliche Politrunde in Zürich-Nord. Dabei wollte Sandro Brotz, bevor es offiziell losging, lediglich die Mikrofone testen.

Trotz oder vielleicht gerade wegen des strömenden Regens richtete sich die Aufwärmfrage des «Arena»-Moderators an die Sommerferienpläne der geladenen Politikerinnen und Politiker.

Als Erster war Gerhard Pfister an der Reihe. Er bleibe zu Hause, liess der Mitte-Präsident verlauten. In diesem Jahr stehe jedoch das 30-Jahre-Hochzeitsjubiläum an, «deswegen wird im Herbst die Hochzeitsreise wiederholt».

Gerhard Pfister, hier bereits in seinem Element, darf sich auf einen zumindest privat angenehmen Herbst freuen.
Gerhard Pfister, hier bereits in seinem Element, darf sich auf einen zumindest privat angenehmen Herbst freuen. bild: srf

Mitte-Ständerat Erich Ettlin nahm den Ball sogleich auf. Er sei 29 Jahre mit seiner Frau verheiratet. Bei Elisabeth Baume-Schneider sind es 33 Jahre, «mit demselben Mann», wie die SP-Bundesrätin präzisierte. Bereits einen Schritt weiter ist Yvonne Gilli; die Präsidentin des Ärzteverbands ist geschieden.

Nicht mithalten in Sachen Hochzeits-Superlative konnte Marc Rüdisüli. Der Präsident der Jungen Mitte – Jahrgang 1998 – erzählte dafür von seinen Sommerferien. «Diese beginnen mit dem OpenAir St.Gallen», so der Thurgauer. «Ich gehe aber nicht wegen der Musik, sondern wegen den Leuten.»

Mitte-Jungpolitiker Marc Rüdisüli freut sich auf drei tolle Tage im Sittertobel.
Mitte-Jungpolitiker Marc Rüdisüli freut sich auf drei tolle Tage im Sittertobel.bild: watson

Als dann zu Eheschliessungen und Urlaubsplänen alles gesagt war, gelangte der Fokus der Sendung zum eigentlichen Thema, der Kostenbremse-Initiative der Mitte. Anbei das komplette Line-up:

Für die Initiative warben:

  • Gerhard Pfister, Mitte-Präsident
  • Erich Ettlin, Mitte-Ständerat/Obwalden
  • Marc Rüdisüli, Präsident Junge Mitte

Gegen die Vorlage votierten:

  • Elisabeth Baume-Schneider, Bundesrätin und Vorsteherin Innendepartement
  • Yvonne Gilli, Präsidentin Verband Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH
  • Hannes Germann, SVP-Ständerat/Schaffhausen

Fehlende Einigkeit

  • 32,6 Milliarden Franken für Spitalleistungen.
  • 14,5 Milliarden Franken für Alters- und Pflegeheime.
  • 13,7 Milliarden Franken für Arztbesuche.

Auf die drei wichtigsten Leistungserbringer des Schweizer Gesundheitswesens entfallen rund zwei Drittel der gesamthaften Gesundheitskosten. Diese betrugen im Jahr 2022 gemäss Bundesamt für Statistik 91,5 Milliarden Franken.

Im Jahr 2022 wurde das Gesundheitswesen zu 60 Prozent von Privathaushalten finanziert. Dies schlägt sich unter anderem auf die Krankenkassenprämien nieder. Nach 2023 und 2024 (5,4 respektive 8,7 Prozent) steigen diese gemäss Prognose des Vergleichsdienstes Comparis auch 2025 deutlich an: um durchschnittlich 6 Prozent.

Viel zu viel, so der Tenor der Schweizer Bevölkerung. Im Sorgenbarometer der Credit Suisse lag das Thema Gesundheit/Krankenkassen 2023 auf Rang eins. Eine nicht repräsentative watson-Umfrage mit 4700 Teilnehmenden zeigt: Für 82 Prozent sind die steigenden Krankenkassenprämien eine Belastung.

Auch im «Arena»-Studio waren sich die Gäste einig: So kann es nicht weitergehen. Nur was des Rätsels Lösung betrifft, herrschte ganz und gar kein Gleichklang.

Die Zweiklassenmedizin

Geht es nach Mitte-Präsident Gerhard Pfister, wäre eine Annahme der Kostenbremse-Initiative am 9. Juni ein Schritt in die richtige Richtung. Das Schweizer Gesundheitssystem sei zu einem Kartell geworden, «wo alle Akteure eigentlich ein Interesse haben, dass sich nichts ändert, weil dies für sie besser ist».

Gerhard Pfister (Mitte): «Kartell bricht man nicht auf, indem man Massnahmen prüft»

Video: srf/arena

Der Gegenvorschlag des Parlaments sei nutzlos, weil dort zunächst nur Massnahmen geprüft würden. Pfister fährt fort:

«Entschuldigung, ich bin zu lange in der Politik. Ich weiss: Wenn man etwas prüft, dann will man etwas nicht tun. Dann prüfe ich zwanzig Jahre lang und bin dann weg.»

Es brauche eine Verfassungsbestimmung. Sie zwinge das System, einzugreifen, wenn die Gesundheitskosten mehr als 20 Prozent stärker steigen als die Löhne.

Zum erwähnten Kartell gehörten die Ärzte, aber auch die Politikerinnen und Politiker, so Pfister. Stichwort Gesundheitslobbying. «In dieser Frage sind alle Akteure im gleichen Spital krank.»

Kostenbremse-Initiative
Die Initiative der Mitte verlangt, dass die Kosten für die obligatorische Krankenversicherung an die Lohn- und Wirtschaftsentwicklung gekoppelt werden. Steigen die Gesundheitskosten mehr als 20 Prozent stärker als Löhne und Wirtschaft, müssen Bund und Kantone eingreifen. Wie dieser Eingriff aussieht, lässt die Initiative offen.

Auch die Kostenbremse-Initiative lehnen Bundesrat und Parlament ab. Der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments sieht vor, dass der Bundesrat alle vier Jahre Ziele für das maximale Kostenwachstum in der obligatorischen Krankenversicherung festlegt und bei zu starkem Wachstum Massnahmen prüft. Er kommt zustande, wenn die Initiative abgelehnt und kein Referendum ergriffen wird.

Mit ihren Ansichten, wie das Problem der ausufernden Gesundheitskosten zu lösen sei, stehen Pfister und die Mitte ganz nach Dichter Ludwig Uhland jedoch allein auf weiter Flur.

Keine andere Partei hat im Parlament für die Volksinitiative der Mitte gestimmt. Der Bundesrat ist gegen das Vorhaben, die Kantone, die Ärzte- und die Spitalverbände ebenfalls.

Für SVP-Ständerat Hannes Germann geht die Initiative der Mitte «komplett in die falsche Richtung». Der Blick liege zu einseitig auf den Kosten. In den vergangenen Jahren habe sich hinsichtlich der Dämpfung der Gesundheitskosten im Parlament zudem einiges getan. Germann sagt:

«Ich verstehe, dass die Initiative eingereicht worden ist, sie hätte jetzt aber auch zurückgezogen werden können.»

Im Einklang mit der Haltung des Bundesrats und des Parlaments monierte der Schaffhauser SVP-Ständerat Abstriche in der Qualität, sollte die Kostenbremse-Initiative angenommen werden.

«Die Alten würden es büssen, der medizinische Fortschritt würde zurückgebunden.» Germann befürchtet eine Rationierung der Leistungen, eine Entwicklung in Richtung Zweiklassenmedizin. «Schauen Sie nach Deutschland oder Frankreich, wie lange Sie auf eine Operation warten. Das will ich nicht.»

Auch FMH-Präsidentin Yvonne Gilli sieht die Kostenübernahme in der obligatorischen Krankenversicherung in Gefahr. Wenn Menschen krank würden und eine Leistung nicht mehr gedeckt sei, heisse es dann:

«Bezahle das aus deinem eigenen Sack oder schliess eine Zusatzversicherung ab. Das ist das, was wir meinen mit Zweiklassenmedizin.»

Yvonne Gilli (Präsidentin FMH): «Es ist zynisch, zu sagen, die Prämienlast würde dann kleiner»

Video: srf/arena

Germann fragte die Befürworter der Vorlage in der «Arena» rhetorisch: «Wer über 65 mit chronischer Krankheit kriegt irgendwo eine Zusatzversicherung? Vergessen Sie doch das.»

Hannes Germann (SVP): «Die Initiative ist sehr unfair gegenüber schwächeren und älteren Menschen»

Video: srf/arena

Mit der Drohung einer Zweiklassenmedizin kann Gerhard Pfister wenig anfangen. Der Mitte-Präsident sprach von purer Angstmache. In der Grundversicherung könne man ohne jegliche Qualitäts- und Leistungseinbusse fünf bis sechs Milliarden Franken einsparen. Zur FMH-Präsidentin sagte er sichtlich genervt:

«Frau Gilli, so geht es einfach nicht.»

Pfister legte mit weiteren Zahlen nach. Gemäss einem Bericht von SRF würden 10 bis 15 Prozent der ambulanten Leistungen zu Unrecht verrechnet. Es gäbe zudem Ärzte, die für einen Tag 28 Arbeitsstunden abrechnen würden. «Frau Gilli, da müssen Sie als Verantwortliche der Ärzte in Ihrem eigenen Laden aufräumen.»

Gilli bleibt entspannt und erklärt die 28-Stunden-Tage dadurch, dass eine Leistung möglicherweise von mehreren Leistungserbringern erbracht worden sei. Oder es handle sich um Betrug, solche Fälle seien juristisch zu verfolgen.

Ein gemütlicher Abend

Ist der Kampf um die Kostenbremse-Initiative schon ausgefochten? Glaubt man den in dieser Woche publizierten Umfragen, ist eine Annahme der Vorlage eher unwahrscheinlich.

In der zweiten SRG-Erhebung wollten 54 Prozent der Befragten die Volksinitiative der Mitte bestimmt oder eher ablehnen. Dieser Wert ist seit der ersten SRG-Umfrage um 13 Prozent gestiegen. Die Zahlen von Tamedia und 20 Minuten zeigen ein ähnliches Bild.

Selbst bei der Basis der Mitte sagen nur 56 Prozent eher Ja oder Ja. Darauf angesprochen, wendete Mitte-Präsident Pfister nicht ganz zu Unrecht das späte Datum der «Arena» zur Kostenbremse-Initiative ein.

In zehn Tagen sei Abstimmungssonntag, viele hätten ihr Stimmcouvert bereits ausgefüllt und abgeschickt. Bei einem früheren Sendetermin hätte er «vielleicht noch den einen oder anderen überzeugen können».

Unterschiedlich lange Spiesse
Das Kampagnenbudget des Ja-Lagers beträgt ca. 300'000 Franken, das der Gegner rund 2,5 Millionen Franken.

Wie alle Vertreterinnen des Nein-Lagers verbrachte auch Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider einen eher entspannten Abend. Die Initiative der Mitte bringe ein wichtiges Thema auf den Tisch, die starre Verknüpfung der Gesundheitskosten mit der Lohnentwicklung sei jedoch nicht korrekt.

Die SP-Bundesrätin wirbt für den Gegenvorschlag des Parlaments, überlässt an diesem Abend aber anderen die Show. Zum Beispiel Hannes Germann. Der SVP-Ständerat ist sich seiner Sache absolut sicher: «Das Volk wird niemals einer Vorlage zustimmen, die einen Abbau bei den Leistungen und Qualitätseinbussen vorsieht.»

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193 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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N. Y. P.
01.06.2024 06:23registriert August 2018
Seit 20 Jahren wird debattiert. Es nützt nichts. Auch die gestrige Arena bringt nichts. Das übliche Gewäsch. Kostenbremse? Also, ob die Prämien jährlich 7 oder 6 % steigen, soielt keine Rolle.

Lobbyisten raus aus den Wandelhallen, Mandatsverbot im Parlament, Einheitskasse, der Bund diktiert der Pharma die Medipreise, und wir müssen nicht jedes verdammte Jahr die neusten Maschinen in den Spitälern anschaffen, auch Spitzenmedizin kann mal 3 - 5 Jahre "innehalten".

Meine Prognose: in den nächsten Jahren 8 - 12% pro Jahr.
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Walser
01.06.2024 04:20registriert Februar 2018
Der Pfister hat recht. Ein Wunder dass er sich gegen die Lobbies in Stellung bringt. Mutiger Mann. Hut ab. Würde mich nicht wundern, wenn er deswegen intern angegriffen wird.
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Frank Kraschinsky-Rickenbacker
01.06.2024 06:39registriert Mai 2024
Mir ist es egal, ob die Krankenkasse 5%, 8% steigt, wenn der Lohn im gleichen Masse steigt sowie auch die Renditen in der PK. Wenn die Kosten schneller steigen als sie Löhne und Guthaben, dann wird die arbeitende Bevölkerung verarmt. Wenn es den Reichen gut geht, geht es uns allen gut, haben uns SVP und FDP gesagt. Jedoch werden die Reichen immer reicher und von irgendwo her muss der Gewinn der Reichen herkommen.
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