Die letzte AHV-Reform ist noch nicht in Kraft, da prüft der Bundesrat bereits neue Modelle zur Sicherung der künftigen Renten. Den Auftrag hat er vom Parlament gefasst: Bis Ende 2026 muss er eine neue Vorlage zur «Stabilisierung der AHV bis 2040» vorlegen. Das Parlament diktiert weitere Eckpunkte, etwa dass die AHV bis 2050 nachhaltig und generationengerecht finanziert sein müsse.
Seit Jahren schwirrt die Idee umher, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Das bedeutet: Werden die Menschen älter, müssen sie auch länger arbeiten. Als konkretes Projekt liegt die Renteninitiative des Jungfreisinns vor. Sie fordert Rentenalter 66 für beide Geschlechter und einen Mechanismus, der bei einer höheren Lebenserwartung automatisch ansteigen soll – jährlich maximal zwei Monate.
Verschiedene europäische Länder kennen solche Modelle bereits. Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Italien, die Niederlande, Portugal und Schweden passen das Rentenalter automatisch an die Lebenserwartung an.
Frappant: Die Schweiz startet aus einer komfortablen Lage. Alle genannten Länder ausser Finnland kennen bereits heute höhere Rentenalter als 65 - wobei der Automatismus bisher erst in Italien und Portugal greift. Als Vorteile dieses Systems gelten Transparenz und Fairness gegenüber der jüngeren Generation.
Der Bundesrat legt in einem neuen Bericht die Möglichkeiten für die Schweiz aus. Klar ist: Die Kopplung an die Lebenserwartung ist ihm zu einseitig. Denn sowohl die Lohnsumme als auch der Altersquotient beeinflussen die Finanzen der AHV stark. Der Altersquotient bemisst, wie viele Erwerbstätige für eine Rentnerin aufkommen müssen.
Wie stark diese Faktoren die Bilanz beeinflussen, zeigte sich gerade in den letzten zwanzig Jahren stark, als sich die AHV aufgrund der Zuwanderung und höherer Löhne nicht wie befürchtet verschuldete.
Der Bundesrat kritisiert darum: Wer sich alleine auf die Lebenserwartung stütze, erhöhe das Rentenalter möglicherweise überproportional. «Eine Anpassung auf der Grundlage eines einzigen Kriteriums ist nicht sinnvoll, vielmehr müssten mehrere Kriterien berücksichtigt werden.» Der Faktor Lohnsumme bilde die wirtschaftliche Entwicklung und der Faktor Altersquotient die demografische Entwicklung zusätzlich ab. Sie sollten auch in die Rechnung einfliessen. Nur werden solche Modelle «äusserst komplex in der Handhabung», wie der Bundesrat schreibt.
Als Alternative schlägt er vor, dass Parlament oder Regierung die automatische Erhöhung des Rentenalters aussetzen könnten, wenn es angesichts der Finanzlage nicht zwingend notwendig ist.
Ein drittes Modell des Bundesrats öffnet den Fächer komplett: Es sieht vor, dass der Bundesrat bei einem absehbaren Defizit dem Parlament verschiedene Massnahmen vorschlagen muss. Neben dem Rentenalter wären auch Anpassungen bei der Rente, beim Bundesbeitrag, den Lohnbeiträgen oder dem Anteil der Mehrwertsteuer denkbar. Auch die Idee eines zweistufigen Mechanismus, wie sie der Bundesrat in der Reform 2020 vorsah, wird wieder aufgewärmt.
Die Kritik an der Initiative des Jungfreisinns ist auch institutioneller Natur. So schreibt der Bundesrat: Der Automatismus müsse auf Gesetzesstufe, nicht auf Verfassungsstufe festgelegt werden. Dadurch hätte der Gesetzgeber einen grösseren Handlungsspielraum und könnte schneller eingreifen.
In seinem Fazit ist der Bundesrat überraschend deutlich, wenn er schreibt: Die Erhöhung des Referenzalters sei ein «wichtiges Thema». Die steigende Lebenserwartung stelle das gesamte Vorsorgesystem auf eine harte Probe. «Diese Thematik muss in die nächste AHV-Revision einfliessen.» Um im zweiten Gedanken wieder etwas abzuschwächen: Es sei «in jedem Fall schwierig», sinnvolle Kriterien für einen Automatismus festzulegen. Ein einziges Kriterium erachtet er als «nicht sinnvoll».