Einst waren die Parolen der Wirtschaft für das Schweizer Stimmvolk fast ein Dogma. Was gut ist für die Unternehmen, ist gut für alle, lautete die Devise. Und viele folgten ihr. Damals galt der Direktor des Schweizerischen Handels- und Industrievereins, kurz Vorort genannt, als eine Art achter Bundesrat. Nach seiner Pfeife tanzten viele in Bern.
Der Vorort heisst heute Economiesuisse und ist nur noch ein Abklatsch seiner einstigen Grösse. Im Gleichschritt mit dem Verband hat auch die Wirtschaft als Ganzes an Einfluss verloren. Die Zeiten sind vorbei, als das Stimmvolk ihr beinahe blind folgte. Erste Warnsignale waren die Annahme der Abzocker- und der Masseneinwanderungsinitiative.
Diese Volksentscheide reflektierten das Unbehagen über eine globalisierte Manager-Elite, die sich – und ihre Vergütungen – an den Weltmärkten ausgerichtet und von den bodenständigen Schweizer Werten abgekoppelt hatte. In beiden Fällen konnte der «Schaden» durch eine zahnlose oder stark verwässerte Umsetzung limitiert werden.
Das Misstrauen gegenüber der Wirtschaft aber ist geblieben und hat sich zuletzt verstärkt. Dafür verantwortlich sind vor allem die Frauen. Sie verhalfen im letzten November der Konzernverantwortungsinitiative zum Volksmehr und damit zum Achtungserfolg. Und ihretwegen wäre am Sonntag fast das Freihandelsabkommen mit Indonesien abgestürzt.
Dabei hatte es keine nennenswerte Nein-Kampagne gegeben. Parteien und NGOs hielten sich zurück, nachdem der Bundesrat beim Palmöl Zugeständnisse in Sachen Nachhaltigkeit herausholen konnte. Den Frauen genügte dies offenbar nicht. Sie stimmten laut der Tamedia-Nachbefragung zu 55 Prozent mit Nein. An ihnen wäre der Vertrag gescheitert.
«Wir haben Gegenwind erwartet. Das Ausmass der Nein-Stimmen ist jedoch etwas höher als wir gehofft haben», sagte Christoph Mäder, Präsident von Economiesuisse. Auch dem Tessiner Mitte-Nationalrat und Gewerbeverbands-Präsidenten Fabio Regazzi gibt das knappe Resultat «zu denken». Für die FDP ist das Resultat ein «Anlass zur Sorge».
Die Freisinnigen betonen «die zentrale Bedeutung des Freihandels für den Wohlstand in der Schweiz». Tatsächlich ist die Schweiz eines der am stärksten globalisierten Länder der Welt, sie verdient jeden zweiten Franken im Aussenhandel. Vielen Frauen und jüngeren Menschen genügt dies nicht mehr. Sie legen Wert auf ökologische und soziale Leitplanken.
Das bedeutet potenzielles Ungemach für weitere Handelsverträge etwa mit Malaysia, das in Sachen Palmöl für die Schweiz eine viel grössere Bedeutung hat als Indonesien. Oder das Abkommen mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Bereits im August 2019 war eine Einigung in den Verhandlungen mit der Efta vermeldet worden.
Ein Vertragstext aber liegt bis heute nicht vor. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) begründet dies mit «unterschiedlichen Interpretationen» in gewissen Passagen. Der Verdacht liegt nahe, dass es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Für Probleme sorgen könnte Brasilien, dessen rechtspopulistischer Präsident Jair Bolsonaro davon gar nichts hält.
Bolsonaro hat den Amazonas-Regenwald, der für die weltweite Klimaregulierung eine unentbehrliche Rolle spielt, zur Abholzung für die Fleisch- und Sojaproduktion freigegeben. Solche Produkte wollen die Mercosur-Länder vermehrt in die Efta exportieren. Das macht griffige Nachhaltigkeits-Regeln wie beim Indonesien-Abkommen zur Herausforderung.
Das Seco schiebt auf seiner Website die Verantwortung auf die Konsumenten und Importeure ab: «Sie können durch ihre Nachfrage steuern, welche Produkte importiert werden. Das Angebot jedenfalls besteht.» Gleichzeitig deutet es an, dass die Schweiz beim Mercosur keine Konzessionen herausholen konnte, die jenen von Indonesien entsprechen.
Das wäre ein schlechtes Omen für die wahrscheinliche Volksabstimmung. Die Opposition dürfte wesentlich entschlossener auftreten als beim Indonesien-Vertrag. Bäuerliche Kreise und NGOs werden das Abkommen bekämpfen, ebenso SP und Grüne. Nette Worthülsen und Lippenbekenntnisse zum Schutz des Regenwalds werden nicht ausreichen.
Ohne Nachhaltigkeit wird beim Freihandel nichts mehr gehen. Gleichzeitig muss sich die Wirtschaft überlegen, wie sie die Frauen «zurückholen» kann. Denn die Gründe für ihr Misstrauen gehen tiefer. Sie wurzeln in der Tatsache, dass die Schweiz beim Thema Gleichstellung alles andere als vorbildlich ist. Frauen werden immer noch benachteiligt.
Das gilt für Löhne, Karrierechancen oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Denn das schweizerische Wirtschaftssystem ist nach wie vor auf den Vollzeit erwerbstätigen Mann ausgerichtet. Der Kulturwandel ist im Gang, aber eher in Zeitlupe als mit Vollgas. Auch in Bereichen wie Altersvorsorge oder Steuersysteme sind die Frauen im Nachteil.
Da passt es gut, dass exakt am Weltfrauentag ein rein weibliches Komitee die Volksinitiative zur Einführung der Individualbesteuerung lanciert hat. Diese gilt als wichtiges Element für die Gleichstellung. Der auffälligste Name ist die frühere CVP-Bundesrätin Ruth Metzler-Arnold, die seit ihrer Abwahl 2003 kaum noch politisch in Erscheinung getreten war.
Jahre später steigt sie nun wieder in den Ring. Es ist ein deutliches Signal an die Männer und die Wirtschaft, dass die Frauen nicht länger auf die Gleichstellung warten wollen. Das gilt es zu bedenken, wenn über die nächsten Wirtschaftsvorlagen abgestimmt wird.
gerade am Weltfrauentag derart absolute Erklärungen zu treffen ist ... ... ironisch ...
Nun ist aber Frauentag. Das Geschlecht von Wählerlinnen, Journalistinnen, Politikerinnen, VRinnen, CEOinnen, Pflegerinnen ... Hast Du weibliche oder männliche Geschlechtsteile ... ist diese Frage sexistisch?
Selbstverständlich ist sie das.
Bin ich alt? Bin ich weiss? Bin ich Mann?
I do not care.
Man kann es immer drehen und wenden wie man will. Aber man sollte vor allem auch etwas anderes können: Ergebnisse akzeptieren. Das scheint vielen Menschen inzwischen sehr schwer zu fallen.