Ein 34-jähriger Fluglotse sitzt auf dem Militärflugplatz Meiringen in einem abgedunkelten Raum vor seinem Radarsystem. Das Gerät trägt den Namen Quadradar und stammt aus der Zeit des Kalten Krieges. Der Lotse starrt auf einen kreisrunden Bildschirm, auf dem zwei Punkte auftauchen. Jede Radarumdrehung aktualisiert die Positionsdaten in einer zweidimensionalen Darstellung. Alle fünf Sekunden bewegen sich die zwei Punkte deshalb ruckartig vorwärts.
Es handelt sich um zwei F/A-18-Kampfjets, die auf der Piste 10 Richtung Osten gestartet sind. Zuerst hebt der Fluglehrer ab, dicht gefolgt von seinem Schüler. Der Abstand beträgt nur 15 Sekunden. Die beiden Jets bilden eine Patrouille. Sie steigen zusammen auf, um ein feindliches Flugzeug über dem Sustenhorn abzuschiessen – so lautet das Briefing dieser Luftkampfübung.
Hintereinander stechen sie in eine dichte Wolkendecke. Der zweite Jet koppelt deshalb sein Radarsystem mit dem ersten. So kann er diesem durch die Wolken folgen, ohne ihn zu sehen.
Das funktioniert aber nur, wenn die beiden Jets ungefähr im gleichen Winkel aufsteigen. Doch der vordere Jet startet zu steil, der hintere zu flach. Die Radarverbindung bricht ab. Die zwei F/A-18 donnern dicht hintereinander durch die Wolken, ohne einander zu sehen.
Auf dem Bildschirm am Boden ruckeln die zwei Punkte immer näher zusammen. Wenn sie sich mehr als 1,6 Meilen annähern, kann das Radarsystem die beiden Jets nicht mehr genau unterscheiden. Die Punkte verschmelzen.
Der hintere Pilot meldet per Funk, dass er die Radarverbindung verloren hat. «Break Lock» heisst das Problem in der Fachsprache. Der Fluglotse kennt es nur aus der Theorie. Denn in der Schweizer Praxis ist es noch nie vorgekommen.
Auf seinem Bildschirm befinden sich die zwei grünen Pünktchen gefährlich nahe beieinander. Doch mehr kann der Lotse nicht erkennen. Im Gegensatz zu einem modernen Radargerät zeigt der Quadradar keine Flughöhen, keine Flugzeugidentifikationen, keine Geschwindigkeiten, keine Karten, keine Abflugrouten, keine Navigationspunkte, keine geografischen Referenzen, keine Luftraumgrenzen und auch keine Mindesthöhen an.
Der Fluglotse will die Kollisionsgefahr entschärfen, indem er den beiden Jets unterschiedliche Flughöhen zuweist. Im Briefing vor dem Start lernen die Piloten und der Fluglotse die entsprechenden Angaben auswendig. Die sichere Flughöhe über den Alpen beträgt hier 4000 Meter über Meer. In der Fliegersprache: Flight Level 150.
Der Fluglotse hatte vermutlich die richtige Zahl im Kopf, doch er spricht eine andere Angabe ins Funkgerät: Flight Level 100, was 3000 Metern über Meer entspricht. «Ich habe mich versprochen», wird er in seiner ersten Einvernahme zum Untersuchungsrichter sagen.
Er bemerkt seinen Fehler offenbar kurz danach. «Shit, das geht ja gar nicht», soll er gemäss Zeugen gerufen haben. Doch er kann die F/A-18 auf ihrem Irrflug nicht mehr erreichen. Er hat den Piloten bereits angewiesen, die Funkfrequenz zu wechseln, und die Kommunikation an «Batman» übergeben, so heisst die Einsatzzentrale in Dübendorf.
Der Fluglotse aus Meiringen greift zum Telefon, um «Batman» zu alarmieren. Direkte Kommunikationsverbindungen gab es nicht. Er muss sich über einen Ringruf in der Zentrale melden. Wertvolle Zeit verstreicht. Die Flugsicherung kann nur noch den ersten Jet erreichen.
Dieser dreht eine Runde. Der Pilot sieht aus dem Cockpit schwarzen Rauch über dem Vorder Tierberg aufsteigen. Dort ist der Jet seines Kollegen zerschellt. Der 27-jährige Pilot war auf der Stelle tot.
Die Untersuchungsrichter erkennen nach wenigen Monaten ein Sicherheitsproblem bei der Luftwaffe. Deshalb schreiben sie dem Kommandanten einen Brief. Sie bemängeln, dass das Radargerät nicht alle nötigen Details anzeige. Durch die zweidimensionale Darstellung könne der Fluglotse die Höhe der Kampfjets nicht genau bestimmen.
Als Sofortmassnahme schlagen die Untersuchungsrichter deshalb vor, ein Radargerät der neuesten Generation anzuschaffen – «insbesondere mit der Möglichkeit der Darstellung der Flugobjekte in 3D».
Ein neues Radarsystem – genannt Mals Plus – war sowieso in Planung. Nach dem Unfall kommunizieren die Behörden, dass dieses nun in Meiringen priorisiert eingeführt werde. Das Problem schien damit gelöst zu sein.
Doch nun zeigen Recherchen von CH Media: Das alte Überwachungsradar wurde zwar tatsächlich abgeschaltet. Das Gerät steht nun im Fliegermuseum in Dübendorf. Doch ein neues Radarsystem für den Abflug ist nicht in Betrieb. Die Fluglotsen am Boden sehen heute also weniger als am 29. August 2016, als die F/A-18 im Gebirge zerschellte.
Die Flugsicherungsbehörde Skyguide bestätigt auf Anfrage: «Testflüge für ein neues Radar haben gezeigt, dass die Anforderungen an ein modernes Radarsystem in Meiringen schwierig technisch umsetzbar sind, auch aufgrund der besonderen Topografie. Es besteht weiterhin die Absicht, in den kommenden Jahren ein moderneres Radarsystem in Betrieb zu nehmen.»
Das Radarsystem Mals Plus ist in Meiringen noch nicht eingeführt. Es handelt sich um eine Standardlösung aus Deutschland, die für Abflüge in den Schweizer Alpen gemäss den Tests untauglich ist. Das neue Präzisionsradar eignet sich nur für Anflüge.
Nochmals Skyguide: «Es ist korrekt, dass den Lotsen in Meiringen kein Rundsuchradar mehr zur Verfügung steht.» Der Abflug der Kampfjets werde seit Ende 2018 deshalb nicht mehr mit einem Radar überwacht. «Es steht kein anderes Sicherheitsnetz zur Verfügung», sagt ein Skyguide-Sprecher.
Die Untersuchungsrichter hatten nach dem Unfall noch eine weitere Sofortmassnahme vorgeschlagen. Die Fluglotsen in Meiringen sollten direkte Verbindungen zu den verantwortlichen Personen in Dübendorf erhalten. Doch auch diese Forderung blieb unerfüllt.
Zwar ersetzte die Armee das Kommunikationssystem. Doch sie richtete dabei keine direkten Verbindungen zu einzelnen Arbeitsplätzen ein. Sie prüfte solche Verbesserungen zwar, doch sie verwarf diese wieder. Denn sie fand keine geeignete technische Lösung.
Als die Untersuchungsrichter ihre Forderungen aufstellten, hatte Russland die Krim bereits besetzt. Mit dem Überfall der Ukraine im Februar 2022 veränderte sich die Sicherheitslage jedoch grundlegend.
Die Schweizer Luftwaffe erhielt plötzlich eine neue Bedeutung. Meiringen ist ein wichtiger Militärflugplatz für die Schweiz. Er dient als zweiter Einsatzstandort für die Sicherung des Weltwirtschaftsforums in Davos. Es handelt sich dabei um einen Ernsteinsatz der Luftwaffe, bei dem die Kampfjets bewaffnet sind.
Der Unfall von 2016 zeigt, dass ein Versprecher zu einem Absturz führen kann. Der Lotse passte seine Argumentation vor Gericht zwar an. Er gab an, der habe die Höhenangabe absichtlich gemacht, weil er in erster Priorität die Flieger trennen wollte. Für Kollisionen mit dem Boden sei er gar nicht zuständig. Heute scheint diese Aussage zu stimmen. Die Behörden haben die Verfahren nach dem Unfall nämlich angepasst.
Doch dem Fluglotsen half das nicht. Das Militärgericht tat seine neuen Aussagen als Schutzbehauptungen ab und verurteilte ihn wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe. Die veralteten Arbeitsinstrumente stufte es lediglich als schuldmindernd ein. Den überlebenden Piloten hingegen sprach es frei.
Am Donnerstag beginnt nun der Prozess vor der zweiten Instanz, dem Militärappellationsgericht, das in Aarau tagen wird. Die Militärjustiz ist für den Fall zuständig, weil der Pilot ein Angehöriger und der Lotse ein Beauftragter der Armee ist.
Der Staatsanwalt, genannt Auditor, fordert ein schärferes Urteil. Vor erster Instanz hatte er Freiheitsstrafen verlangt: zwölf Monate bedingt für den Fluglotsen und neun Monate bedingt für den Piloten.
Der Lotse kämpft weiter für einen Freispruch. Der erstinstanzliche Schuldspruch fiel zwar relativ mild für den heute 42-Jährigen aus. Doch damit ist seine Berufslaufbahn blockiert. Seit dem Unfall fühlt er sich nicht mehr in der Lage, Flugzeuge durch den Schweizer Himmel zu dirigieren.
Skyguide steht zwar bis heute hinter ihm. Doch er arbeitet nicht mehr an der Front, sondern in der Ausbildung, in der Skyguide Academy. So kann er der nächsten Generation von Flugverkehrsleitern mitgeben, was sie besser machen können.
Auch die Gewerkschaft Helvetica unterstützt ihren Kollegen. Auf Anfrage teilt sie mit: «Er hat durch seine Mitarbeit bei der fachlichen Untersuchung des Unglücks selbst einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit geleistet. Dafür danken wir ihm.»
Aber auf den Lotsen zu zielen ist natürlich schweize... äh... einfacher.
Hauptursache bleiben aber falsche Prozesse bei der Luftwaffe. Es müsste beim Briefing klar definiert werden, wie sich welcher Pilot bei einem Verlust des Radarkontaktes zu verhalten hat.
Und es ist tatsächlich so, dass primär der Pilot dafür verantwortlich ist, nicht gegen feste Hindernisse wie Berge zu fliegen. Wenn ihm nicht bewusst war, dass FL100 in den Alpen keine sichere Flughöhe ist, war er definitiv nicht bereit für diesen Flug, und somit trifft eventuell auch den Fluglehrer eine Schuld.