Die Schweizerische Nationalbank (SNB) entscheidet diese Woche über ihren Leitzins. Sie hat es mit einer negativen Jahresinflation zu tun: Im Mai lagen die Konsumentenpreise leicht tiefer als ein Jahr zuvor. Fallen sie noch stärker, hat die Schweiz keine stabilen Preise mehr, sondern Deflation. Viele Betriebe hätten sinkende Einnahmen und zugleich inflationsbereinigt steigende Schulden.
Aktuell hat die SNB ihren Leitzins bei 0,25 Prozent. Alle Experten glauben laut Umfrage der Nachrichtenagentur Bloomberg, dass sie tiefer geht – die Frage sei nur, wie tief?
Einige wenige Experten glauben, um einen halben Prozentpunkt, gleich in den negativen Bereich hinein. Dort war sie zuletzt Ende 2014, dann senkte die SNB Anfang 2015 auf minus 0,75 Prozent und stellte damit den weltweit tiefsten Leitzins der Welt. Erst mit der Corona-Inflation stiegen die Zinsen wieder über die Null-Linie.
Die grosse Experten-Mehrheit glaubt jedoch an eine historische Premiere: Dass die SNB dorthin geht, wo sie bisher nie gegangen ist in ihrer 119-jährigen Geschichte: auf die Null. Auf ihren bisherigen Reisen in den negativen Bereich und heraus hatte sie diese immer übersprungen. Jetzt wäre sie erstmals da angelangt.
Wie tief auch immer – die Leitzinsen und damit die Hypothekarzinsen liegen wieder sehr tief. Zum Beispiel lag beim Hypothekenberater Moneypark das günstigste Angebot für eine 10-jährige Hypothek bei 1,19 Prozent. Laut der Bank Raiffeisen sieht es mehr und mehr danach aus, dass wieder eine «längere Phase tiefer, wenn nicht sogar negativer Zinsen bevorsteht».
Damit erhält der Immobilienmarkt noch mehr Schub – genau im mittlerweile 25. Jahr mit fast durchgehend steigenden Preisen für Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser. In den 1990er-Jahren hatten die wenigsten an einen solchen Boom geglaubt. Die Schweiz erlebte eine Rezession mit sinkenden Eigenheimpreisen, Bankenpleiten, mehr Betreibungen und Warnungen vor einem «Desaster». Doch ums Jahr 2000 herum fingen sich die Preise.
Es folgte eine Erholung der Preise bis 2010, danach ein Boom. Die Schweizerische Nationalbank begann, vor Übertreibungen zu warnen: «Der Immobilienmarkt befindet sich in der Gefahrenzone. Das Risiko einer Korrektur ist gross.» Mit Corona stiegen die Zinsen wieder. Die Preise stiegen danach langsamer, doch zu starken Rückgängen kam es letztlich nicht. Seitdem geht es wieder kräftig hoch.
Wie in der Schweiz ging es in den allermeisten industriellen Ländern zu und her, wobei oft noch in deutlich grösserem Ausmass. Steigende Mieten und Eigenheimpreise sind globale Phänomene, weil dahinter vor allem zwei mächtige globale Entwicklungen stehen, sagt der Immobilienprofessor Christian Hilber von der Universität Zürich im Interview: das Auslaufen der sogenannten Verkehrsrevolution und – noch wichtiger – eine zunehmend restriktive Raumplanung.
Früher habe die Schweiz wie alle Industrieländer noch mehr Strassen und Schienen gebaut, Mobilität sei dadurch günstiger geworden. Städte konnten sich so nach aussen ausdehnen – und Wohnen blieb erschwinglich. Irgendwann, ungefähr in den 1970ern, war es damit vorbei. Dann kam laut Hilber die restriktive Raumplanung hinzu – und damit das häufig unerreichte Ideal vom dichten Bauen. Hilber sagt: «Bauen wurde noch schwieriger und noch teurer.»
Und damit wurde hierzulande so ziemlich jedes Eigenheim teurer, jedes Haus, jede Wohnung. Der Immobilienberater Wüest Partner hat die Daten zu dieser Entwicklung gesammelt, indem er die in Inseraten geforderten Preise erfasst. Dabei zeigt sich. Für Einfamilienhäuser wurden im ersten Quartal von 2025 im Vergleich zum Jahr 2000 durchschnittlich 98 Prozent höhere Preise verlangt. Es gab also über 25 Jahre hinweg fast eine Verdoppelung.
Noch weit stärker in die Höhe ging es in den Kantonen Zug mit 173 Prozent, Genf mit 166 Prozent und Basel-Stadt 160 Prozent. Weit zurück blieben hingegen Graubünden, Appenzell Ausserrhoden und Glarus mit 56, 50 und 23 Prozent. Zum Vergleich: die Konsumentenpreise sind seit 2000 nur um 15 Prozent gestiegen, die Löhne nur um 30 Prozent.
Beinahe gleich hoch wie bei den Einfamilienhäusern ist der Preisanstieg bei den Eigentumswohnungen: nämlich 94 Prozent. Doch bei den Kantonen ergibt sich ein etwas anderes Bild – zumindest auf den ersten Blick. Appenzell Ausserrhoden hat auf einmal den grössten Preisanstieg.
Dahinter steht jedoch ein statistischer Effekt: Im ersten Quartal 2000 wurden im Kanton offenbar sehr günstige Wohnungen angeboten, im zweiten Quartal dann nicht mehr. Vergleicht man die heutigen Preise mit dem zweiten Quartal 2000, kommt Appenzell Ausserrhoden auf einen Anstieg von 85 Prozent – also weniger als im landesweiten Mittel.
Sonst stehen die gleichen Kantone weit oben – wie Genf, Zug und etwas dahinter Zürich. Luzern liegt deutlich über dem landesweiten Schnitt. Wie in der übrigen Schweiz werden die Preise durch den kriselnden Bau gestützt. Private schrecken vor der zunehmenden Regeldichte zurück, sagt Raiffeisen-Chefökonom Fredy Hasenmaile: «Immer mehr Leute fragen sich, ob sie sich das antun wollen.»
Zu den Kantonen mit unterdurchschnittlichen Preisanstiegen für Eigenheime zählen Solothurn und Basel-Landschaft. Der Aargau liegt ungefähr auf dem nationalen Durchschnitt, zuletzt zogen die Preise jedoch stärker an. Mittlerweile weichen Menschen aus den Nachbarkantonen auf den Aargau aus. Bei der Aargauischen Kantonalbank sagt Chefökonom Marcel Koller: «Der Kanton spürt Druck von allen Seiten, von Basel, Zürich, Zug und Luzern.»
Die Schweiz lebt nun seit einem Vierteljahrhundert mit steigenden Immobilienpreisen. Wie lange kann das so weitergehen? Wohl noch lange, ist die Antwort von Immobilienprofessor Hilber. Denn die Schweiz werde wohl durch die einschränkend wirkende Raumplanung weiter zu wenig bauen. Hilber: «Wir sind heute so aufgestellt auf der Angebotsseite, beim Bau, bei der Raumplanung, dass die Preise und die Mieten weiter steigen werden. Es wird eher noch schlimmer.»
Der Lohn muss ja nicht zum Leben reichten !
🤷♂️