Es muss sich für Eva Herzog angefühlt haben wie eine Heimkehr. Als die junge Grüne Jo Vergeat ihr Grossratspräsidium feierte, kehrte die Basler Ständerätin für einen Abend in den Schoss ihrer Politfamilie zurück. Sie habe gelöst gewirkt und gescherzt, erzählt eine Politikerin, die da war. «Wie immer, wenn sie in Basel ist.» Dort, wo ihr von den Linken kaum jemand öffentlich widerspricht und wo sie unter Bürgerlichen so geschätzt wird, dass diese jetzt gar für sie einen Bundesratssitz reklamieren. Für einen Platz in der Landesregierung eint sich die Region, die sich sonst gerne mit sich selbst beschäftigt.
Das ist das Biotop, das sich Eva Herzog mit harter Arbeit geschaffen hat, und nicht selten musste sie dafür selbst hart sein: zu sich, aber auch zu anderen. Über ein Dutzend Menschen standen diesem Porträt Pate, darunter eine Handvoll, die mit ihr regiert hat. Alle sagen: «Bundesrätin? Das kann sie zweifellos.» Aber alle kennen auch die kantige Eva Herzog. Die immer dann hervortritt, wenn man nicht einer Meinung ist mit ihr.
Als Eva Herzog 2004 in den Basler Regierungswahlkampf stieg, kämpfte sie gegen ihre Unbekanntheit, ihre Unerfahrenheit und gegen eine bürgerliche Mehrheit, die damals Basel regierte. Als Kandidatin war sie in der Presse die Historikerin, die im Drittweltladen arbeitete, kaum je die umsichtige Fraktionspräsidentin der SP.
Bis heute sind die Medien ein Mühlstein an Herzogs Hals geblieben. Einmal erschien in der «Basler Zeitung» ein niederträchtiges Porträt über sie, es war zudringlich und stellenweise erfunden. Es erklärt ihr Misstrauen teilweise. 2004 aber konnte die Aussenseiterin noch froh sein um Schlagzeilen und lachte übergriffige Fragen weg. Namhafte Kandidatinnen wollten sich nicht verheizen lassen. Herzog hingegen hatte nichts zu verlieren.
Das war toll im Wahlkampf, aber weniger toll als neue Regierungsrätin: Sie startete ihre Amtszeit als Finanzdirektorin mit roten Zahlen und wenig persönlichem Kredit. Entsprechend schwierig waren ihre ersten Monate in der Regierung, auch, weil die machtgewohnten Bürgerlichen nicht zurückstecken wollten. Gegen die – männliche – Dominanz musste sie lernen, sich zu behaupten. Es heisst, sie habe in dieser Zeit oft emotional agiert. Das half nicht.
Zwei Dinge sind entscheidend für Herzogs Wandel zu einer der dossiersichersten Finanzpolitikerinnen im Land: ihr Fleiss und ihr Bewusstsein, aus einer Mehrheitsposition zu argumentieren. Rhetorisch war sie damals wie heute eine unterdurchschnittliche Politikerin. Die grossen Bühnen liegen Herzog nicht. Umso lieber kniete sie sich in ihre Geschäfte, und zwar bis diese niemand besser kannte.
In Diskussionen gereichte ihr ihre Akribie schliesslich zur Stärke. Wer gegen Herzog bestehen will, muss sich gut vorbereiten. Ihre Methode ist das Kreuzverhör: Bei Unsicherheiten hakt sie unbarmherzig nach. Wer meint, sich auf ideologische Grundsätze berufen zu können, hat gegen Herzog schon verloren.
Irgendwann kam diese Regierungssitzung, in der sie die Bürgerlichen vor die Wahl stellte: «Wollt ihr noch lange reden, oder sollen wir abstimmen?» Es war eine Zäsur. Innert kurzer Zeit hatte sich Herzog zur Meinungsführerin der linken Magistraten aufgeschwungen. Die Protestnoten in den Geschäften der Regierung häuften sich. Herzog konnte es als Wehklagen verbuchen von Bürgerlichen, die ihrer Hegemonie nachtrauerten. «Jede Gruppe hat einen Chef, und das war unbestritten sie», formuliert es ein ehemaliges Regierungsmitglied.
In ihren stärksten Momenten nutzte sie das für Bündnisse, die kaum jemand für möglich gehalten hätte. Beispielsweise, als sie von Grünen bis SVP alle hinter der Umsetzung der Steuerreform 17 vereinte. Die Medien nannten es einen «Hinterzimmer-Deal», doch im Kern schaffte sie Verbindlichkeiten zwischen Gegensätzen – einer gewissen Simonetta Sommaruga nicht unähnlich.
Es greift zu kurz, wenn Bürgerliche sagen: Die Konjunktur habe ihr halt geholfen. Herzog ist eine brillante Strategin. Ihr Husarenstück war ein Geschenk in der Höhe von 80 Millionen an den tiefroten Kanton Baselland. Damit rettete sie nicht nur die Uni und die Kultur vor Budgetkürzungen, sie kittete auch gleich die belastete Beziehung zum Nachbarkanton.
Ihre Spezialität sei eben die Sachpolitik, sagt Herzog gerne. Nur: Manchmal wird sie so sachlich, dass ihr das Menschliche abgeht. In der Diskussion um die Unternehmenssteuerreform bekam dies ihre eigene Fraktion zu spüren, die Grosskonzerne härter anfassen wollte. So gut kannte Herzog die Vorlage, sie konnte den ideologischen Widerstand dagegen kaum verstehen. Es war, als hätte Herzog ihre Position der Stärke nie richtig wahrgenommen: Nun war sie es, die Leute regelrecht überfuhr, selbst wenn das für gestandene Leute bedeutete, in der Fraktionssitzung zusammen- oder Interviews abzubrechen. Aus der Machthaberin wurde die Rechthaberin.
Ihr Wechsel in den Ständerat 2019 war deshalb Sieg und Niederlage gleichzeitig. Sieg, weil sie mit einem phänomenalen Resultat das höchste Amt errang, das der Kanton zu bieten hat. Niederlage, weil ihre Art zu politisieren damit wertlos wurde. Fortan fand sie sich oft in der Minderheit: entweder als Linke in einem bürgerlichen Parlament. Oder, schlimmer, als Nicht-so-Linke in ihrer Fraktion. So auch jüngst: Entgegen der Parteimeinung setzt sich Herzog dafür ein, dass die Mehreinnahmen aus der OECD-Mindeststeuer zu einem grossen Teil in den Kantonen bleiben. Profitieren würden Basel-Stadt und Zug, zwei der reichsten Kantone der Schweiz.
Herzog argumentiert mit dem Finanzausgleich, Standortinvestitionen und internationalem Steuerwettbewerb – eine lupenrein bürgerliche Position. Solche Dinge finden viel Beachtung. Dass sie als Mitglied der Finanzdelegation den Rettungsschirm für die grossen Stromfirmen mitgezimmert hat, wissen hingegen nur wenige. Schwer zu sagen, was in der Fraktion mehr zählt.
Überhaupt überlagert der aktuelle Zwist das Engagement von Eva Herzog im Ständerat. Drei Schwerpunkte hat die SP-Spitze für die kommenden Wahlen definiert und gleich auch als Kriterien für die Bundesratskandidatur: Kaufkraft, Klimaschutz und Gleichstellung. Fast alle der bisherigen Vorstösse von Herzog im Ständerat lassen sich genau diesen drei Themen zuteilen. Ausserdem kämpft sie an vorderster Front für die Individualbesteuerung. Manche zeigen sich dann fast überrascht, wie klar sich Herzog für die Gleichstellung einsetzt.
Dabei hätte man sich nur mal ihre bisherige Vita etwas genauer anschauen müssen.