Mit ihrem Rücktritt hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga alle überrascht. Auch die SP wurde buchstäblich auf dem linken Fuss erwischt. Nun muss sie innerhalb kurzer Zeit die Nachfolge regeln. Am 7. Dezember findet die Wahl in der Bundesversammlung statt. Dabei wird zuerst bestimmt, wer Ueli Maurer (SVP) in der Landesregierung ersetzen wird.
Eine Doppelvakanz könnte an sich spannend werden und Raum für taktische Spielchen bieten. Derzeit sieht es nicht danach aus, und das nicht nur, weil sich ein Jahr vor der Neuwahl des Parlaments die Lust auf solche Mätzchen in der Regel in Grenzen hält. Mit ihrem Vorgehen haben sich die Parteien selbst in gewisser Weise Fesseln angelegt.
Der Berner Nationalrat Albert Rösti galt von Anfang an als Favorit bei der wählerstärksten Partei. Jetzt ist er das erst recht, denn die Fünfer-Auswahl für die Maurer-Nachfolge erzeugt keine Begeisterung. Am nächsten Freitag will die Findungskommission der SVP-Fraktion ihren Vorschlag unterbreiten. Es ist schwer vorstellbar, dass sie Rösti übergehen wird.
Zutrauen würde man das der Blocher-Partei an sich schon, aber kann sie es sich leisten, ihren ehemaligen Präsidenten zu demütigen, der bei aller persönlichen Umgänglichkeit und Kompromissfähigkeit stets stramm auf Parteilinie war? Die «Heckenschüsse» aus der «Weltwoche» dürften Rösti sogar in den eigenen Reihen mehr nützen als schaden.
Ein weiteres Problem ist die Ausschlussklausel. Wer als «wilder» Kandidat die Wahl annimmt, wird automatisch aus der Partei geworfen. Im Fall des populären Albert Rösti, der bei der Nationalratswahl 2019 schweizweit die meisten Stimmen gewonnen hat, wäre dies heikel. Die Klausel wirkt zudem wie eine Fessel, wenn es um die Vorschläge anderer Parteien geht.
Sollte die SP rein theoretisch zwei Frauen vom linken Flügel aufstellen, müsste es die SVP fast zwangsläufig respektieren. «Wir verlangen ja auch, dass die Bundesversammlung einen von uns vorgeschlagenen Kandidaten wählt», sagte der Schwyzer Ständerat Alex Kuprecht den Tamedia-Zeitungen. Daran hatte man bei der Klausel wohl nicht gedacht.
Als Ausweg aus dem Dilemma könnte die SVP wie 2015 eine Dreierticket nominieren. Oder nur die beiden Berner Anwärter, also Rösti und Ständerat Werner Salzmann. Denn von den drei übrigen Kandidierenden (Heinz Tännler, Michèle Blöchliger, Hans-Ueli Vogt) drängt sich niemand auf. Auch deshalb spricht fast alles für einen Bundesrat Rösti.
Der SP-Vorstand hat nach Sommarugas Rücktritt umgehend gehandelt und beschlossen, dass der Bundesversammlung am 7. Dezember ein Ticket mit zwei Frauen vorgeschlagen werden soll. Das ist verständlich und entspricht dem Führungsanspruch der Partei in Genderfragen. Aber es hat die Auswahl von Anfang an stark eingeschränkt.
Eine Kandidatin gibt es noch nicht, dafür haben potenzielle Anwärterinnen abgesagt. Und die Auswahl könnte weiter schrumpfen. Wenn Evi Allemann in der Berner Regierung bleiben, Flavia Wasserfallen Ständerätin werden und Pascale Bruderer am Rückzug aus der Politik festhalten will, läuft fast alles auf die Basler Ständerätin Eva Herzog hinaus.
Im Prinzip wäre die Wahl einer Kandidatin aus der Romandie möglich, aber es scheint schwer vorstellbar, dass sich das Parlament für eine «lateinische» Mehrheit im Bundesrat erwärmen kann, auch wenn sie nur vorübergehend wäre. Und Männer sind nicht erwünscht, weshalb Ständerat Daniel Jositsch mit einer «wilden» Kandidatur liebäugelt.
Schaffen würde er es kaum, auch wegen der «Beisshemmung» im Vorfeld der Wahlen. Am Ende dürfte der SP-Fraktion eine ähnlich magere Auswahl bleiben wie der SVP. Und auch sie wird es sich kaum leisten können, eine Favoritin wie Eva Herzog zu übergehen (sofern sie antreten will), trotz Vorbehalten wegen ihrer finanz- und wirtschaftspolitischen Positionsbezüge.
Die Grünen wollen in den Bundesrat. Nun aber verzichten sie auf eine Kampfkandidatur. Für einen Angriff auf die SVP fehlt es ihnen an Unterstützung (selbst die SP anerkennt den Anspruch der Volkspartei auf zwei Mandate), und auf Kosten eines SP-Sitzes wollen sie ebenfalls nicht kandidieren, wie sie am Mittwoch in einer Mitteilung festhielten.
Dafür gab es Kritik in den Medien, doch die Grünen hätten nur verlieren können. Das Klima im rotgrünen Lager wäre vergiftet worden, und die Bürgerlichen hätten sie kaum unterstützt. Zwar kritisierte FDP-Präsident Thierry Burkart gegenüber Tamedia die Zurückhaltung der Grünen, nur um postwendend den Anspruch der SP auf zwei Sitze zu bekräftigen.
Die Grünen möchten den Bürgerlichen in einem bürgerlich dominierten Parlament einen Bundesratssitz abjagen. Dafür liegt die Latte sehr hoch. Und für einen Angriff auf die SP fehlt ihnen der unbedingte Wille zur Macht. Ändert sich das bei einem Rücktritt von Alain Berset nicht, werden sie noch lange auf den Einzug in den Bundesrat warten müssen.
Vielleicht sorgen SVP und SP mit ihren Nominierungen für eine Überraschung, sodass es in viereinhalb Wochen doch spannend wird. Beim heutigen Stand aber ist es naheliegend, dass das Duo Rösti/Herzog am 7. Dezember vereidigt wird.
Seien wir doch froh wenn in unruhigen Zeiten politische Wechsel ruhig vollzogen werden können.