In seiner neuen Heimat hat Dr. David Wei-Feng Huang einen mächtigen Freund. Seine alte Heimat hingegen hat einen übermächtigen Feind.
David Huang ist der Repräsentant Taiwans in der Schweiz - und darf den Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried (Grüne) zu seinen Freunden zählen. Derweil führt die Volksrepublik China Militärübungen direkt vor Taiwans Küste durch und droht in einem neu veröffentlichten Strategiepapier unverhohlen damit, «nicht auf die Anwendung von Gewalt verzichten» und notfalls «alle erforderlichen Massnahmen zu ergreifen», um die «Wiedervereinigung» Taiwans mit China zu erreichen.
In Bern ist die Stimmung gegenüber Taiwan und seinem Repräsentanten freundlicher - auch wenn die Schweiz die Inselrepublik offiziell nicht als Staat anerkennt. Als David Huangs bisherige Liegenschaft in Muri vor über drei Jahren gekündigt wurde, half ihm Stadtpräsident von Graffenried, ein neues Dach über dem Kopf zu finden.
Laut der «Berner Zeitung» stellte von Graffenried den Kontakt zur städtischen Immobilienverwaltung her. Heute sind Huang und sein Team im Diessbachgut eingemietet, einer herrschaftlichen Villa im Ostringquartier, die der Stadt Bern gehört. Auch Anlässe der «Délégation culturelle et économique de Taipei», wie Taiwans Vertretung in der Schweiz offiziell heisst, finden manchmal dort statt.
Doch zum Gespräch mit CH Media lädt Huang nicht in seine Villa, sondern auf die Terrasse des Restaurants «Altes Tramdepot» direkt beim Berner Bärenpark. Und statt mit der verdunkelten Limousine kommt der Repräsentant zu Fuss, seine Mitarbeiterin mit dem E-Bike. Huang trägt ein weisses Kurzarmhemd ohne Krawatte. Er wählt seine Worte mit Bedacht, wie der Diplomat, der er im Prinzip ist - auch wenn ihm der Diplomatenstatus fehlt.
Viel zu tun hatte Taiwans Delegation in letzter Zeit vor allem mit Medienanfragen rund um eine mögliche Reise von Mitgliedern der «parlamentarischen Gruppe Schweiz - Taiwan» nach Taipeh. Das Gremium wird von SVP-Parteichef Marco Chiesa präsidiert, elf seiner 34 Mitglieder stammen aus den Reihen der SVP.
Doch innerhalb der Partei gibt es auch einflussreiche Persönlichkeiten, die als Chinafreunde gelten, nicht zuletzt Nationalrätin und Unternehmerin Magdalena Martullo-Blocher (SVP). In den Medien war - zum Ärger der SVP - die Rede von parteiinternen Differenzen, gar von einer Grundsatzfrage für die Partei.
David Huang hat die Kontroverse mit Erstaunen zu Kenntnis genommen. Eine private Reise von Parlamentsmitgliedern sei nicht mit dem offiziellen Besuch von US-Politikerin Nancy Pelosi zu vergleichen und sei für China dementsprechend unproblematisch, ist Huang überzeugt. «It's a non-issue», sagt der Repräsentant, es sei «kein Thema».
Auch steht das Datum für die geplante Taiwan-Reise der Parlamentsgruppe noch gar nicht fest. Sie wird frühestens im ersten Halbjahr 2023 stattfinden - wenn überhaupt. Zwar sagt Huang: «Wir heissen unsere Freunde aus der Schweiz in Taiwan willkommen, wann immer sie sich wohl fühlen.» Doch derzeit gilt in Taiwan weiterhin eine strikte dreitägige Quarantäne bei der Einreise. Ob Schweizer Politikerinnen und Politiker im Wahljahr 2023 Zeit dafür finden würden, ist fraglich.
Statt über ein Parlamentarier-Reisli würde der Repräsentant viel lieber über das Potenzial von vertieften Beziehungen zwischen der Schweiz und Taiwan sprechen. Zwar betont Huang gegenüber dem Journalisten immer wieder, er respektiere die Entscheidungen der Schweizer Regierung basierend auf deren Interessen. Aber er sagt:
Dafür müsse die Schweiz weder von ihrem Bekenntnis zur Ein-China-Politik und der ausschliesslichen Anerkennung Pekings noch von ihrer Neutralität abrücken.
Huang beobachtet in der Schweiz mit Blick auf mögliche Reaktionen Chinas eine Tendenz zur« übermässigen Vorsicht» aus Angst davor, Peking zu verärgern - nicht nur in der Politik, sondern auch in Wirtschaftskreisen. Das führe zu vorauseilendem Gehorsam, zu einer «psychologischen Selbstzensur». Die Folge daraus: Die offizielle Schweiz und viele Schweizer Firmen befassten sich lieber gar nicht erst mit Taiwan, um sich den Ärger zu ersparen.
Und machten sich damit unbewusst zum Teil einer Strategie Chinas. «Peking denkt sehr langfristig», sagt Taipehs Abgesandter in Bern. Oftmals protestierten Chinas Diplomaten auf der ganzen Welt gegen völlig unbedeutende Dinge, damit niemand Chinas wahre Interessen gefährde.
So habe Peking gegen die China-Strategie des Bundesrats protestiert, obwohl dieser in Huangs Augen gemässigte Bericht lediglich die existierende Praxis der Balance zwischen der Schweiz und China wiederholte. Langfristig zeitigten solche Interventionen Folgen: «Vielleicht überlegen sich unsere Schweizer Freunde beim nächsten Mal zweimal, ob sie China kritisieren.»
Die in Genf beheimatete Weltgesundheitsorganisation WHO ist ein zweites Beispiel. Dort wird Taiwan seit 2016 wegen des Widerstands Chinas die Teilnahme als Beobachter verweigert. Damit ist die Insel nicht Teil des weltweiten Pandemiepräventionsnetzwerks und erhält etwa Warnungen vor neuen Infektionskrankheiten nur verzögert und auf inoffiziellem Weg.
Die Schweizer WHO-Vertreterin hat diesen Zustand zwar öffentlich bedauert. Aber anders als andere westliche Regierungen habe sich der Bundesrat nicht für die Gewährung des Beobachterstatus für Taiwan ausgesprochen. An die Leser gerichtet, erinnert Huang: «Ist es wirklich im Interesse aller, wenn die internationalen Bemühungen gegen die Ausbreitung von Krankheiten Schlupflöcher aufweisen?»
Repräsentant Huang ist überzeugt: «Die Schweiz und Taiwan haben als demokratische, exportorientierte, kleine Staaten beide grösstes Interesse daran, dass die internationale Ordnung regelbasiert funktioniert und nicht auf dem Willen des Stärksten beruht.»
Nach den jüngsten Drohgebärden Chinas in Richtung Taiwan sind im Parlament jene Stimmen wieder lauter geworden, die eine Vertiefung der Beziehungen zwischen der Schweiz und Taiwan fordern. Auch der Ruf nach einem Freihandelsabkommen oder einer ähnlich gelagerten Vereinbarung unter anderem Namen wird stärker.
Repräsentant Huang sagt: «Taiwan ist offen für solche Abkommen mit all seinen Handelspartnern weltweit - und natürlich auch mit der Schweiz.» Gemäss einer Studie könnten alleine die Schweizer Exportunternehmen mit einem solchen Abkommen pro Jahr bis zu 45 Millionen Dollar an Zöllen einsparen.
Doch der Bundesrat hat aktuell kein Interesse daran. Auf Anfrage sagt das Staatssekretariat für Wirtschaft, es gelte weiterhin, was der Bundesrat im November 2020 in einer Antwort auf eine Interpellation von Nationalrat Christian Imark (SVP/SO) schrieb. Der wirtschaftliche Austausch zwischen der Schweiz und Taiwan funktioniere weitgehend reibungslos, hiess es dort.
Dem Bundesrat seien keine Nachteile für die Schweizer Wirtschaft aufgrund eines fehlenden präferenziellen Marktzugangs auf dem taiwanesischen Markt bekannt: «Angesichts der allgemeinen Rahmenbedingungen und der globalen politischen Konstellation erachtet der Bundesrat zurzeit eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser Frage aber nicht als opportun.»
Nicht nur der Bundesrat befürchtet, durch ein Abkommen mit Taiwan könnten die von der Schweiz angestrebte Erneuerung des schweizerisch-chinesischen Freihandelsabkommens von 2013 in noch weitere Ferne rücken. China hat die Gespräche darüber 2018 auf Eis gelegt und weigert sich seither, den Dialog wieder aufzunehmen.
Aktuell sei es offensichtlich nicht im Interesse Chinas, das Freihandelsabkommen zu erneuern. Peking habe den Dialog aus taktischen Gründen eröffnet, um ihn kurz darauf wieder zu unterbrechen und sich so ein Druckmittel zu erschaffen: «Das ist die sogenannte Dialog-Falle», sagt David Huang. (aargauerzeitung.ch)