«Wir haben schlicht keine Zeit mehr abzuwarten, ob die nun getroffenen Massnahmen in zwei Wochen greifen». Das hat Martin Ackermann, Präsident der wissenschaftlichen Covid-19-Taskforce des Bundes, am Freitag vor den Bundeshausmedien in Bern gesagt.
«Wir haben festgestellt, dass sich die Hospitalisierungen jede Woche verdoppeln», sagte Ackermann. Auch die Einweisung in die Spitäler und die Todesfälle verdoppelten sich jede Woche.
Die Taskforce des Bundes gehe davon aus, dass «zwischen dem 5. und 18. November die Kapazität der Spitäler bei den Intensivbetten erreicht ist», sagte Ackermann. «Die Eindämmungsstrategie funktioniert nicht mehr. Jeder muss die Hälfte seiner Kontakte vermeiden.»
Veranstaltungen müssten dringend eingegrenzt werden. «Wenn wir jetzt schnell und entschieden reagieren, können wir dafür sorgen, dass die Schulen offen bleiben. Sie wissen alle, was auf dem Spiel steht. Wir müssen unsere Kontakte auf ein Minimum beschränken. Warten wir nicht auf Massnahmen, tun wir das richtige, ab sofort», sagte Ackermann. Die heute geltenden Massnahmen würden bei weitem nicht ausreichen.
«Wir haben einen Getriebeschaden.» Das Contact Tracing habe seine Grenzen erreicht, sagte Rudolf Hauri, Zuger Kantonsarzt und Präsident der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte, am Freitag vor den Bundeshausmedien.
Deshalb könne es nun sehr helfen, enge und gute Bekannte selber zu informieren, damit sie sich vorsichtig verhalten und in Selbstquarantäne begeben könnten. Angesichts der Lage müssten die engen Kontakte dringend runter.
Dies sei durch Verminderung körperlicher Nähe sowie unnötigen Ansammlungen in Freizeit und Sport erreichbar. Dies stehe allerdings im Widerspruch zum Bewegungsbedürfnis der Menschen. Es gelte deshalb Massnahmen sorgfältig abzuwägen. «Soziale Kontakte müssen möglich bleiben», so Hauri. Dies stelle vor allem Pflegeheime vor grössere Herausforderungen.
Hinter den nüchternen Fallzahlen würden zunehmend wieder ältere Personen und Personen mit Vorerkrankungen stecken. Ein Fünftel der positiven Fälle sei zwischen 50 und 65 Jahre alt, jeder Zehnte über 65, gesamthaft rund ein Drittel über 50 Jahre. Das werde sich auf die Zahl der Hospitalisierungen auswirken.
Laut Hauri hat es die Bevölkerung in den eigenen Händen, den Getriebeschaden zu beheben, indem sie konsequent Schutzmasken trage, Abstand halte, die Hände regelmässig wasche und desinfiziere sowie die Kontakte auf das Nötigste beschränke.
Die Ausdehnung der Maskenpflicht sei eine milde, sehr schnell umsetzbare Massnahme. Antigentests sind laut Hauri erwünscht, aber alleine für sich kein Problemlöser.
Bei den Spitalkapazitäten sei ein praktisches Umdenken nötig, aber die Behandlung anderer Patienten dürfe nicht zu kurz kommen, das sei eine grosse Herausforderung. Die Koordination der Intensivpflegeplätze sei weiter entwickelt als im Frühling, bleibe jedoch eine Herausforderung.
Mit den stark steigenden Corona-Fallzahlen gehen der Schweiz langsam die Testkapazitäten aus. «Wenn die Entwicklung so weitergeht, werden wir die Testkapazitäten überschreiten», sagte Stefan Kuster, Leiter Übertragbare Krankheiten im Bundesamt für Gesundheit (BAG), am Freitag vor den Bundeshausmedien.
Die Lage sei angespannt, die Testkapazitäten müssten ausgebaut werden. «Es geht um Reagenzien, Laborkapazitäten, medizinische Kapazitäten.» All dies sei betroffen.
Der Tourismussektor ist besonders stark von der Corona-Krise betroffen. Laut Erik Jakob, Leiter der Direktion für Standortförderung im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), wird es Jahre dauern, bis sich die Branche von den negativen Auswirkungen der Pandemie erholen wird.
«Wir erwarten erst für 2023 oder 2024 eine vollständige Erholung», sagte Jakob. Er sprach erneut von einem «historischen Rückgang von Übernachtungen in der Schweiz» im laufenden Jahr. Die Unterschiede zwischen Städten und Bergregionen sind gross. Vor allem der urbane Tourismus leide – dort gebe es einen Umsatzrückgang von bis zu 60 Prozent.
Der Bundesrat sei sich der schwierigen Situation bewusst. Er habe zahlreiche Massnahmen ergriffen. Aktuelle Branchenumfragen zeigten, dass Covid-Kredite und auch Kurzarbeit flächendeckend zum Einsatz kämen.
Im Hinblick auf die kommende Wintersaison wünsche sich die Tourismusindustrie Planungssicherheit, sagte Jakob. «Die Saison findet sicher unter anderen Bedingungen statt als sonst.» Zentral sei die Einhaltung der Schutzkonzepte. Schweiz Tourismus plant laut Jakob am 13. November einen Informationanlass zur Wintersaison.
Andreas Stettbacher, Delegierter des Bundesrates für den
koordinierten Sanitätsdienst, antwortete an der Medienkonferenz auf die Frage, ob es nun wieder die Armee, den Zivildienst und den Zivilschutz brauche, folgendermassen: «Die aktuelle Situation zeigt, dass der Engpass primär auf den Intensivstationen stattfinden wird. Auf den normalen Betten gibt es genügend Reserven. Wenn das Personal auf den normalen Situationen auf die Intensivstationen ausgelagert wird, braucht es Unterstützung auf den normalen Stationen. Dann kann die Armee eingreifen – wenn es subsidiär notwendig ist. Auch in den Alters- und Pflegeheimen kann der Zivildienst und die Armee entsprechende Leistungen erbringen. So wie in der ersten Welle.
(rst/sda)
Saison absagen wäre wohl die einzige Sicherheit die momentan gegeben werden könnte...