Eine Woche nach der Schiesserei brüstete sich A.* gegenüber Spitzenleuten des kalabrischen Larosa-Clans: «Ich schoss, es donnerte wie eine Kanone.» Fünf Schüsse habe er abgegeben, «alle fünf auf dieses Auto … Weisst du, wie er sich gerettet hat? Er versteckte sich unter dem Lenkrad.» Er habe den Motor des BMW «durchlöchert, von einer Seite zur anderen».
Die Episode, überliefert dank einer Abhörwanze, handelt von der italienischen Mafia, aber sie spielt nicht in Palermo oder Neapel, sondern in der Agglomeration Zürich, am Wohnort von A. Die Waffe, so die italienischen Ermittler, wurde von A. als «Instrument zur Kontrolle des Territoriums» eingesetzt.
A. hatte zur Waffe gegriffen, weil der BMW-Fahrer den Motor mehrmals hatte aufheulen lassen. Laut A. habe der Fahrer sich entschuldigt, als er sah, wer der Schütze war, und behauptet, er sei von balkanstämmigen Barbesitzern zur Aktion «gezwungen» worden. Nachbarn, die Schüsse hörten, alarmierten damals die Polizei, daher ist der Vorfall auch dort aktenkundig.
Eine Art Mafia-Krieg, mitten in Zürich. Für die italienischen Ermittler Beleg dafür, dass die Mafia längst auch in der Schweiz mit den brutalen Einschüchterungs- und Erpressungsmethoden operiert, die in Italien gang und gäbe sind. A., Inhaber eines Lokals in Zürich, bezog vom Larosa-Clan immer wieder erhebliche Mengen an Kokain. Im Mai 2020 bestellte er beispielsweise einmal 100 Gramm. Das war just dann, als die mutmasslichen Mafiosi gerade auf dem Sprung an die «Mangiata», das Gipfeltreffen im Schrebergarten in Winterthur, waren.
Dies alles geht aus Akten zur Anti-Mafia-Operation Nuova Narcos Europea hervor, in deren Zug im November in Italien und der Schweiz insgesamt 104 mutmassliche Mitglieder der kalabrischen ‘Ndrangheta inklusive Larosa-Clan verhaftet wurden.
Der Larosa-Clan, stammend aus Giffone in Kalabrien und mit Ablegern unter anderem in der Lombardei und in Frauenfeld, nutzte die Stadt Zürich als Schaltzentrale für das Kokain-Geschäft in der Schweiz. Chef hier war B.*, Sohn des hochrangigen Mafioso Giuseppe Larosa persönlich. Vater Giuseppe, auf Sardinien in Haft, in Mafiakreisen bekannt als Peppe la Mucca («Sepp die Kuh»).
Bis zu seiner Verhaftung 2015 war «die Kuh» selbst in der Schweiz aktiv, vom bündnerischen Pragg-Jenaz aus. Sein Sohn und Nachfolger B. bevorzugte als Wohnsitz dagegen das urbane Zürich: Er mietete als Schaltzentrale mit seinen Adlaten eine Wohnung im Seebach-Quartier. Im Notariat Schlieren vollzog der Junior-Boss im April 2019 zudem den Gründungsakt einer eigenen GmbH (Zweck: Giessen von Bodenüberzügen), mit Stammkapital von 20'000 Franken, hinterlegt bei der Zürcher Kantonalbank. Die Scheinfirma, in der er als Geschäftsführer «tätig» ist, zügelte er später nach Luzern. Inklusive angemeldetes Geschäftsfahrzeug, einen Fiat Stilo, der mit einem Versteck für den Transport von Drogen ausgerüstet war. Mitte 2020 flog das auf, als B. in Norditalien verhaftet wurde – er war mit gut einem Kilo Kokain auf dem Weg in die Schweiz.
Die gemeinsamen Ermittlungen der italienischen und der Schweizer Behörden illustrieren, wie skrupellos die Mafia-Bande in der Schweiz agiert und wie breit vernetzt sie ist. An einem Tag im Februar 2020 etwa setzten sich B. und sein Adlatus E. in den BMW X5 mit Zürcher Kontrollschild. Sie fuhren einen offenbar klar definierten Parcours ab: nach 11 Uhr eine Pizzeria in Rapperswil-Jona SG, am Mittag eine in Glarus GL, kurz vor 14 Uhr eine Autogarage in Dietikon ZH und eine ZKB-Filiale, gegen 15 Uhr eine Bäckerei in Zürich Seebach, danach eine Pizzeria in Reinach AG, gefolgt von einem Stopp in Schönenwerd SO.
Dann machte sich der Junior-Boss auf den Weg nach Italien, nach 22 Uhr folgte ein Treffen mit einem anderen Mafioso in einem Hotel bei Como. Dort nahm B. Geld von einem in der Lombardei stationierten Clan-Mitglied entgegen. Kurz vor Mitternacht ging es weiter Richtung Kalabrien mit Zwischenhalt in Mailand, wo der Onkel von B. zustieg. Zwei Tage später sollte der mutmassliche Mafiosi auf Sardinien anzutreffen sein, er besuchte dort seinen Vater «Peppe la Mucca» im Gefängnis.
Bei der Tour, die in Zürich begann, sammelten die Mafiosi laut Überzeugung der Ermittler Bargeld ein, das einerseits aus «kommerziellen Aktivitäten in der Schweiz» stammte. Weiteres Bargeld sei bei der ZKB abgehoben sowie in Norditalien abgeholt worden. Der ganze Betrag sei schliesslich in Kalabrien abgeliefert worden.
Bei den Ermittlungen stiessen die Behörden auf eine stattliche Reihe an Personen, verstreut in der Deutschschweiz, die der Clan regelmässig mit Drogen zum Weiterverkauf belieferte. Vertraute des Clan-Chefs verkauften den Stoff aber auch selbst. So im Grammbereich vor dem Lokal des schiesswütigen Beizers A., was zu einer Kontroverse unter den mutmasslichen Mafiosi führte. A. befürchtete, dass die Polizei wegen des Strassendeals auf ihn aufmerksam werden könnte.
Einen Teil der Drogen hatte der Clan in Malans GR deponiert: In einem Gefrierschrank, der sich in einem gemieteten Lagerraum befand.
Unter sich kommunizierte die Clan-Spitze mit Kryptohandys (Verschlüsselungsdienst Sky ECC) und mit Pseudonymen wie Sunny Boy, Messi, Neymar jr10, Popeye, Bugatti, Calamaro. Der Clan hat auch Waffen zur Verfügung inklusive Kalashnikows. Nicht umsonst gilt die ‘Ndrangheta als besonders gefährliche Mafia.
Sie kann offensichtlich auch auf eigene Schweizer Anwälte zählen. So wurde einem Drogenkurier, als er verhaftet wurde, vom Clan-Chef selbst sofort ein im Raum Zürich domizilierter «Anwalt der ‘Ndrangheta» zur Seite gestellt. Damit die Mafia erfuhr, welche Aussagen der Beschuldigte gegenüber den Ermittlern macht. Noch gilt in allen Fällen die Unschuldsvermutung.
* Namen der Redaktion bekannt (aargauerzeitung.ch)
Das die Schaltzentrale in Zürich ist , ist auch keine Überraschung . Kürzere Transportwege zum Endverbraucher .