Die Temperatur lag nahe am Gefrierpunkt, als der Italiener A.* (59) kurz vor 19.30 Uhr mit seinem Mini One in Bern ankam. Er war an jenem Montag, dem 2. Dezember 2019, kurz vor halb fünf Uhr nachmittags in Morcote im Tessin losgefahren. Ziemlich genau drei Stunden später hielt er seinen Wagen im Berner Kirchenfeldquartier an. Schon nach fünf Minuten fuhr er wieder los in Richtung Lugano. Dort traf er sofort seinen Boss und Auftraggeber B.* (42), ein offensichtlich hochrangiges Mafia-Mitglied. A. übergab ihm das Geld, vermutlich einige zehntausend Franken, die er in Bern abgeholt hatte.
Dass die Episode überliefert ist, ist italienischen Anti-Mafia-Ermittlern zu verdanken: Sie hatten den Mini verwanzt, wie Untersuchungsakten zur Operation «Nuova Narcos Europea» gegen die kalabresische 'Ndrangheta zeigen. Diese Aktion wurde am 16. November 2021 öffentlich bekannt, als die Ermittler zuschlugen: Sie verhafteten in Mailand, Florenz, Livorno, Reggio Calabria und der Schweiz 104 Verdächtige namentlich aus dem Umfeld des Clans der Molè. Insbesondere in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft St.Gallen und der Bundespolizei Fedpol konnten in Graubünden, St.Gallen, Zürich und im Tessin sechs Italiener verhaftet werden. A. und B. gehören zu den Verhafteten.
A., der Geldkassierer der Mafia, war im Auftrag von Clans namentlich aus der Region Gioia Tauro sowie Guardavalle in Kalabrien unterwegs. Diese sind dick drin im Geschäft mit Kokain, das in Containern versteckt zentnerweise aus Südamerika nach Europa geschifft und in den grossen Mittelmeerhäfen wie Livorno oder Gioia Tauro unter Mithilfe von kriminellen Hafenarbeitern heimlich entladen wird. 2019 etwa waren in Gioia Tauro knapp 500 Kilogramm Kokain beschlagnahmt worden, versteckt in einer Holzlieferung aus Brasilien. Es geht um riesige Summen: In der Schweiz wird das Kokain im «Grosshandel» zum Kilopreis von 50000 bis 60000 Dollar verkauft.
Die Fahrt von A. nach Bern war kein Einzelfall. Eine weitere Berner Episode zeichneten die italienischen Ermittler fünf Tage später auf, am Samstag, 7. Dezember 2019. Kurz nach 15 Uhr traf A. an jenem Nachmittag in Bern an der gleichen Adresse ein wie am Montag zuvor. Er liess dort einen Mann ins Auto steigen, den er mit dem Vornamen* begrüsste. Der Mann lud A. ein, ins Haus zu gehen. Nach etwa 40 Minuten stieg A. wieder in den Mini, diesmal wurde er von einem Mann begleitet, den die Ermittler wegen seines Akzentes als Südamerikaner einstufen. A. nannte auch ihn beim Vornamen*. Das Duo fuhr danach im Mini durch die Stadt in Richtung Wankdorf. Der Mitfahrer stieg aus, nach drei oder vier Minuten stieg er wieder ein. Danach fuhr A. sofort wieder ab Richtung Adresse im Kirchenfeld, dem Berner Diplomatenquartier.
Während der Rückfahrt registrierten die Überwachungsgeräte, dass im Auto Geldscheine gezählt wurden. Einmal gab der Fahrgast an, er habe soeben 20'000 Euro gezählt. Angekommen an der Adresse im Kirchenfeld, stieg der Beifahrer aus, und A. fuhr sofort zurück nach Lugano. Wieder stieg dort B. ins Auto, und A. beklagte sich, dass man ihn in Bern habe warten lassen. Eineinviertel Stunden habe ihn der Mann mit südamerikanischem Akzent warten lassen, klagte A. Er habe ihn an einen anderen Ort fahren müssen, um den «ganzen geschuldeten Betrag» zu bekommen.
A. fuhr häufig nach Bern, stellen die italienischen Ermittler fest. Aber sie wissen bisher nicht sehr viel über diese «Berner Schiene» des Mafiaclans.
Grund: Die Bundesanwaltschaft lehnte es 2019 ab, ein gemeinsames Ermittlungsteam einzusetzen. Der zuständige italienische Untersuchungsrichter klagt in einem Gerichtsdokument darüber, dass die damals noch von Michael Lauber geleitete Bundesanwaltschaft nach einem ersten, ermutigenden Treffen plötzlich kein Interesse mehr an einem gemeinsamen Vorgehen zeigte. Fest steht, dass Lauber nie entschlossen gegen die Mafia vorging. Dieser Kampf hatte für ihn nie Priorität.
Die Bundesanwaltschaft will sich auf Anfrage nicht erklären. Sie sagt nur, dass sie «im Bereich Organisierte Kriminalität eng mit den italienischen Behörden» zusammenarbeite, «so auch im vorliegenden Fall über das Instrument der internationalen Rechtshilfe».
Einige Recherchen zeigen, dass die Berner Sicherheitsbehörden nicht über den Fall informiert sind, also offenbar nichts über diese Mafia-Umtriebe wissen. Das bedeutet, dass der Bund nicht aktiv wurde und nie die Unterstützung Berns anforderte. Offensichtlich erschienen die Akteure und ihre Aktivitäten bisher weder auf dem Radar der Kantonspolizei noch der städtischen Behörden.
Dabei hätten die Berner allen Grund, sich einige Sorgen zu machen und genauer hinzuschauen. An der Berner Adresse, die der Kassier jeweils aufsuchte, leben Italiener aus Kalabrien. Es sind offensichtlich Verwandte eines Bosses, der als «Broker» des Clans eingestuft wird. Dieser «Broker» wurde 2019 verhaftet, danach übernahm laut den Ermittlern der erwähnte B. dessen Rolle. Bei der `Ndrangheta spielt Blutsverwandtschaft die zentrale Rolle. Verbindungen aus Bern nach Südamerika sind zudem offensichtlich. Eine wichtige Rolle spielt Ecuador, das als Drehscheibe des Kokainschmuggels nach Europa gilt. B. ist oder war laut italienischen Behörden mit einer Frau aus Ecuador liiert.
A. ist Italiener, er besitzt seit Jahren eine Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B) im Tessin. Er führte in Lugano ein Pub, in dem Boss B. zeitweise als «Kellner» arbeitete. A. selbst sass oder sitzt in mehreren Gesellschaften im Bereich Gastro, Bau, Grafik und Werbung, Lebensmittel. Er erfreute sich guter Kontakte auch in die lokale und kantonale Politik.
*Name der Redaktion bekannt (bzbasel.ch)
..lässt Fälle verjähren.
..stellt Fälle wegen Formfehler ein
..ermittelt nicht gegen die FIFA
..ermittelt nicht gegen die Mafia
..ermittelt nicht gegen Reiche
..ermittelt nicht in den Kantonen GE, ZG und ZH
..will keine Rechtshilfe leisten und sie will nicht ermitteln, wenn Aussicht auf Erfolg besteht.
Das Kapital geniesst in der Schweiz Immunität gegen Ermittlungen.
Die Schweiz muss mal wieder gezwungen werden... wie so oft. Eine Schande.