Die Versorgungssicherheit der Schweiz ist derzeit gegeben. Aufgrund des Ukraine-Kriegs und der damit verbundenen möglichen Gaslieferunterbrechungen in Europa sowie der Situation bei den Kernkraftwerken in Frankreich kann gemäss Einschätzung der ElCom die Stromversorgung im kommenden Winter 2022/2023 aber angespannt werden.
Konkret präsentiert sich die Situation im Moment wie folgt:
Der Füllstand der Schweizer Speicherseen liegt aktuell im langjährigen Mittel. Die Zuflüsse dürften aber aufgrund der Gletscherschmelze, die in diesem Jahr früher eingesetzt hat als üblich, sowie der Hitzeperiode tiefer ausfallen. Das Schweizer Übertragungsnetz ist planmässig verfügbar und die Importkapazitäten sind hoch. Normal verfügbar sind grundsätzlich auch die Schweizer Kernkraftwerke, wobei das Kernkraftwerk Beznau aktuell wegen der grossen Hitze zeitweise die Leistung drosseln muss. Die Revisionen von Leibstadt, Beznau 1 und Gösgen wurden abgeschlossen. Von total 3'000 Megawatt (MW) Kernkraftwerksleistung sind derzeit zwischen 2'700 und 2’950 MW am Netz. Mittelfristig bedeuten die zusätzlichen Sicherheitsüberprüfungen in französischen Kernkraftwerken eine Unsicherheit für deren Verfügbarkeit.
Mit Blick auf die europäische Versorgungssicherheit im nächsten Winter ist die Verfügbarkeit von Gas zur Stromerzeugung von Bedeutung. Aufgrund der planmässigen Wartungsarbeiten fliesst vom 11. bis 21. Juli 2022 über Nord Stream 1 kein Gas mehr Richtung Europa. Inwiefern anschliessend wieder Gas fliesst, hängt weniger von technischen als von politischen Entscheidungen Russlands ab. Die Wartungsarbeiten wirken sich hauptsächlich auf die Füllung der Speicher in Deutschland, Tschechien, der Slowakei und Österreich aus. Die Gasflüsse in die Schweiz sind normal. Bei einem allfälligen russischen Gaslieferstopp könnten grosse Stromunternehmen in Liquiditätsprobleme geraten.
Das UVEK hat daher zusammen mit dem EFD das dringliche Bundesgesetz für subsidiäre Finanzhilfen zur Rettung systemkritischer Stromunternehmen erarbeitet. Der Ständerat hat es in der Sommersession angenommen.
Die Arbeitsgruppe Versorgungssicherheit unter Leitung der ElCom mit Vertretern aus BFE,BWL, ENSI, EnDK und Swissgrid ist laufend daran, die Auswirkungen auf die Versorgung zu untersuchen.
Der Bundesrat hat am 16. Februar 2022 beschlossen, bereits auf den Winter 2022/2023 eine Wasserkraftreserve einzurichten. Speicherkraftwerksbetreiber sollen gegen Entgelt eine bestimmte Menge Energie zurückbehalten, die bei Bedarf abgerufen werden kann. Die im Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien enthaltene Massnahme soll auf dem Verordnungsweg vorgezogen werden. Es ist geplant, sie auf den 1. Oktober 2022 in Kraft zu setzen, damit Swissgrid die Auktionen für die Reserve rechtzeitig ausschreiben kann. Die ElCom bereinigt derzeit die Richtlinie zur Umsetzung der Wasserkraftreserve, diese wird voraussichtlich Anfang August verabschiedet. Zudem wird geprüft, ob ergänzend auch im Ausland Energiereserven gesichert werden könnten.
Der Bundesrat hat am 16. Februar 2022 auch beschlossen, eine gesetzliche Bestimmung vorzubereiten, welche für die Unterstützung von Reservekraftwerken als zusätzliche Versicherungslösung für ausserordentliche Knappheitssituationen notwendig ist. Bestehende Gaskraftwerke (Zweistoffanlagen) werden bei den laufenden Abklärungen prioritär angegangen, auch neue mobile Anlagen werden geprüft. Da die Gesetzesberatung viel Zeit beansprucht, prüft das UVEK ein Vorziehen mit einer Verordnung, analog zum Vorziehen der Wasserkraftreserve. Dabei geht es primär um die Umrüstung bestehender Anlagen, weil diese rascher betriebsbereit wären als neue Kraftwerke.
Da die Schweiz beim Gas vollständig von Importen abhängig ist, hat der Bundesrat am 18. Mai 2022 beschlossen, die Gasversorgung für den kommenden Winter 2022/2023 zu stärken. Er verpflichtet die Gasbranche, Speicherkapazitäten in den Nachbarländern und Optionen für zusätzliche Gaslieferungen zu sichern. Neben der ordentlichen Beschaffung geht es konkret um folgende zusätzliche Massnahmen:
Der Bundesrat hat dazu eine dringliche Verordnung in Kraft gesetzt und das von der Branche und den Bundesbehörden erarbeitete Konzept zur Schaffung einer Winter-Gasreserve zur Kenntnis genommen.
Energieministerin Simonetta Sommaruga und Wirtschaftsminister Guy Parmelin haben am 22. Mai 2022 am WEF in Davos mit dem deutschen Vizekanzler Robert Habeck vereinbart, rasch Verhandlungen für ein Solidaritätsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz aufzunehmen. Die erste Verhandlungsrunde hat stattgefunden. Mit Frankreich und Italien laufen ebenfalls Gespräche.
Der Bundesrat hat am 18. Juni 2021 das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien verabschiedet. Es dient dazu, dass mehr einheimische erneuerbare Energie erzeugt wird, dass für Notsituationen eine Wasserkraft-Reserve bereitsteht und dass es mehr Mittel gibt für Speicherkraftwerke («Winterstrom-Zuschlag») zwecks Zubau und Sicherung von Strom, der im Winter abrufbar ist. Es wird derzeit von der Umweltkommission des Ständerates beraten.
Der Bundesrat will zudem die Verfahren beschleunigen. Heute dauert es oft 20 Jahre, bis ein Wind- oder Wasserkraftprojekt realisiert werden kann. Es gibt verschiedene Bewilligungsverfahren, jedes kann einzeln bis an das Bundesgericht gezogen werden. Das verzögert den Ausbau der Projekte. Der Bundesrat schlägt vor, die Verfahren zu bündeln, sodass es nur noch ein einziges Beschwerde-Verfahren gibt. Damit könnten die Verfahren für grosse Wind- und Wasserkraftanlagen deutlich reduziert werden. Das käme auch den 15 Projekten zugute, auf die sich die Vertreter der Branche und Umweltorganisationen am Runden Tisch Wasserkraft verständigt haben. Die Vorlage ist derzeit in der Vernehmlassung.