Schweiz
Graubünden

Bergsturz bei Brienz GR: Das ist der aktuelle Stand

FILE -View of the village Brienz and the "Brienzer Rutsch", taken in Brienz-Brinzauls, Switzerland, May 12, 2023. (AP Photo/Arnd Wiegmann, File)
Switzerland Rockslide Alert
Der Berg oberhalb und unterhalb von Brienz im Bündnerland ist in Bewegung.Bild: keystone

Die aktuelle Lage in Brienz: «Ist verdammt gefährlich, sich da aufzuhalten»

20.06.2025, 15:1620.06.2025, 15:16
Mehr «Schweiz»

Die Verschiebung der Gesteinsmassen über Brienz nimmt immer mehr Geschwindigkeit auf. Deshalb hat der Gemeindeführungsstab Albula für das Dorf erneut die Phase Rot ausgerufen. Das bedeutet, dass Bewohnerinnen und Bewohner des Ortes nun tagsüber nicht mehr in ihre Häuser zurückkönnen. Gemeindesprecher Christian Gartmann findet deutliche Worte:

«Gehen sie da nicht hin, weil es einfach verdammt gefährlich ist, sich da aufzuhalten»
Christian Gartmann

Es ist bereits das dritte Mal, dass für den Ort ein komplettes Begehungsverbot ausgesprochen wird. Zuwiderhandlungen werden mit einer Verzeigung und einer Geldbusse von bis zu 5000 Franken belegt, warnt Gartmann an der Pressekonferenz am Freitagnachmittag Bewohner und Touristen.

Sollte es zu einem grossen Abbruch kommen, dauert es etwa 20 Sekunden, bis die Massen im Dorf sind. «In dieser Zeit kann man sich nur noch mit viel Glück in Sicherheit bringen», sagt der Gemeindesprecher weiter. Deshalb habe man sich entschieden, die Phase Rot auszurufen.

Die fünf Phasen in Brienz:
Grün: Keine unmittelbare Gefahr.
Gelb: Bewohner müssen sich für Evakuierung bereithalten.
Orange: Ort wird evakuiert, zeitweise kann ein Betreten des Dorfes aber gewährleistet werden.
Rot: Dorf darf nicht mehr betreten werden.
Blau: Ein Ereignis steht unmittelbar bevor.

«Best Case» und «Worst Case»

Auf die Frage eines Journalisten, ob es denn auch sein könne, dass der Schuttkegel nicht abbricht, antwortet der Geologe und Leiter des Frühwarndienstes, Stefan Schneider, mit «Ja». Dafür müsse es aber einen extrem trockenen Sommer geben. Die Expertinnen und Experten gehen eher davon aus, dass es «in den nächsten Wochen zu einem grossen Abbruch kommt», sagt Schneider an der Pressekonferenz.

Die Frage ist also nicht, wann die Katastrophe eintritt, sondern wie viel Schaden der Abbruch anrichten wird. Im «Best Case» stoppt die Schuttlawine kurz vor dem Dorf. Es gebe sogar mehrere Szenarien, die das als möglich erachten. Im «Worst Case» hingegen wird das ganze Dorf verschüttet.

So sieht es aktuell beim Rutsch bei Brienz aus:

Welches Szenario eintritt, hänge von zwei Faktoren ab. Kommt es zu einer sogenannten Prozess-Verkettung, droht dem Dorf die komplette Zerstörung. Damit meint Geologe Schneider, dass kleinere Abbrüche im oberen Bereich des Schuttkegels einen Abbruch von sehr viel grössere Massen im unteren Bereich auslösen.

Weiter beeinflusst die Feuchtigkeit das Ausmass der Lawine. Gemeint ist damit sowohl das Wasser, welches sich bereits im Schuttkegel festgesetzt hat, als auch die Nässe des Untergrundes, auf dem die drohende Lawine schliesslich rutscht, erklärt Schneider am Freitag.

Darum hat sich die Situation verschärft

Die Feuchtigkeit in der Region hat eine Verschlechterung der Situation erst herbeigeführt. So haben die starken Niederschläge der letzten Wochen die Beschleunigung der Rutschung weiter beschleunigt. Der Untergrund lockert so immer weiter auf und neue Wassermassen dringen in diese Risse ein. So wird das ganze Gebiet instabil.

«Wenn Gewitter kommen, wird das sofort die Geschwindigkeiten auf diesem Plateau nach oben schnellen lassen», sagt Schneider am Freitag. Dabei nehme die Beschleunigung bereits exponentielle Tendenzen an. «Das ist der Zeitpunkt, an dem wir Geologen nervös werden», so der Experte.

tel: 076 313 00 80
email: info@emanuelniederhauser.ch
Mächtiges Gewitter über dem Pilatus

Von: Emanuel Niederhauser
unwetter schweiz symbolbild blitz donner lightning 

darf verwendet werden, datum 9 ...
Besonders Gewitter und Starkniederschläge könnten den Berg erneut ins Rutschen bringen. Bild: emanuel niederhauser

Es bleibt nur das Warten

Für die Bewohnerinnen und Bewohner bleibt die Lage vor Ort also weiterhin angespannt. Dass die Gemeinde das Dorf fallen lasse, davon will Sprecher Gartmann aber nichts wissen. «Die Entscheidung, das Dorf aufzugeben, liegt bei den Hauseigentümerinnen und Hauseigentümern.» Die Gemeinde unterstützt zwar eine Umsiedelung, ordnet diese aber nicht an, so der Sprecher weiter.

Er meint aber auch: «Das Dorf rutscht, die Strasse rutscht, die Albulalinie rutscht.» Kommt es zum Abbruch, werde letztendlich die Phase Blau ausgerufen. Das bedeutet, dass auch die Kantonsstrassen sowie die Albulalinie der Rhätischen Bahn gesperrt werden. «Es ist uns bewusst, dass eine Sperrung der Achse einen sehr, sehr grossen Aufwand für die Menschen der Region bedeutet», sagt Gartmann. Aber:

«Wir können diese Wege nicht offen lassen, wenn oberhalb zwei Millionen Kubikmeter Schuttmasse in Bewegung sind.»
Christian Gartmann

(leo)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Gletscherabbruch in Blatten VS
1 / 37
Gletscherabbruch in Blatten VS

Der Fluss Lonza ist vom Geröll vollständig aufgefüllt worden. Das Wasser staut sich nun in einem entstandenen See auf.

quelle: keystone / jean-christophe bott
Auf Facebook teilenAuf X teilen
So hübsch war Blatten vor dem Bergsturz – und so sieht es jetzt aus
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
97 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Fred_64
20.06.2025 12:42registriert Dezember 2021
Egal wie traurig die ganze Sache im Lötschental und in Brienz ist, aber jede Sache hat immer auch sein Gutes.
Hier zeigt es sich, dass die Behörden willens sind, die Menschenleben zu schützen. Dies trotz den Anfeindungen der Besserwisser, den "Bergstürze gab es immer" und "in den Bergen leben ist eben gefährlich"-Typen.
Danke an die Studierten in Geologie und den Praktikern vor Ort!
20311
Melden
Zum Kommentar
avatar
Glücklich
20.06.2025 12:33registriert August 2022
Ich mag mich nicht an eine solche Häufung von grossen Bergstürzen erinnern und ich bin ü50. Ist das jetzt Zufall oder der Anfang?

Mir tun die Menschen leid, welche ihre Heimat verlieren.
12215
Melden
Zum Kommentar
avatar
Gurgelhals
20.06.2025 12:41registriert Mai 2015
Und unsere "bürgerlichen" Politiker natürlich so:

"Wir müssen einfach mit noch mehr Nachdruck betonen, dass es sich hierbei um Jahrhundertereignisse handelt. Dann überlegt es sich der Berg sicher anders."

[Sarkasmus Off]
10420
Melden
Zum Kommentar
97
    Die «Weltwoche» verkauft Schweizer MAGA-Käppli für 65 Franken
    «Make Switzerland Neutral Again» – mit einem Käppli im Stil von US-Präsident Donald Trumps MAGA-Kopfbedeckung will die «Weltwoche» ihre Leserschaft auf den 1. August einschwören. Preis: 65 Franken.

    Die «Weltwoche» lanciert eine Schweizer Variante der bekannten «Make America Great Again»-Kappe von US-Präsident Donald Trump. Das rote Cap wurde von Trump im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft 2016 lanciert.

    Zur Story