Die Verschiebung der Gesteinsmassen über Brienz nimmt immer mehr Geschwindigkeit auf. Deshalb hat der Gemeindeführungsstab Albula für das Dorf erneut die Phase Rot ausgerufen. Das bedeutet, dass Bewohnerinnen und Bewohner des Ortes nun tagsüber nicht mehr in ihre Häuser zurückkönnen. Gemeindesprecher Christian Gartmann findet deutliche Worte:
Es ist bereits das dritte Mal, dass für den Ort ein komplettes Begehungsverbot ausgesprochen wird. Zuwiderhandlungen werden mit einer Verzeigung und einer Geldbusse von bis zu 5000 Franken belegt, warnt Gartmann an der Pressekonferenz am Freitagnachmittag Bewohner und Touristen.
Sollte es zu einem grossen Abbruch kommen, dauert es etwa 20 Sekunden, bis die Massen im Dorf sind. «In dieser Zeit kann man sich nur noch mit viel Glück in Sicherheit bringen», sagt der Gemeindesprecher weiter. Deshalb habe man sich entschieden, die Phase Rot auszurufen.
Auf die Frage eines Journalisten, ob es denn auch sein könne, dass der Schuttkegel nicht abbricht, antwortet der Geologe und Leiter des Frühwarndienstes, Stefan Schneider, mit «Ja». Dafür müsse es aber einen extrem trockenen Sommer geben. Die Expertinnen und Experten gehen eher davon aus, dass es «in den nächsten Wochen zu einem grossen Abbruch kommt», sagt Schneider an der Pressekonferenz.
Die Frage ist also nicht, wann die Katastrophe eintritt, sondern wie viel Schaden der Abbruch anrichten wird. Im «Best Case» stoppt die Schuttlawine kurz vor dem Dorf. Es gebe sogar mehrere Szenarien, die das als möglich erachten. Im «Worst Case» hingegen wird das ganze Dorf verschüttet.
Welches Szenario eintritt, hänge von zwei Faktoren ab. Kommt es zu einer sogenannten Prozess-Verkettung, droht dem Dorf die komplette Zerstörung. Damit meint Geologe Schneider, dass kleinere Abbrüche im oberen Bereich des Schuttkegels einen Abbruch von sehr viel grössere Massen im unteren Bereich auslösen.
Weiter beeinflusst die Feuchtigkeit das Ausmass der Lawine. Gemeint ist damit sowohl das Wasser, welches sich bereits im Schuttkegel festgesetzt hat, als auch die Nässe des Untergrundes, auf dem die drohende Lawine schliesslich rutscht, erklärt Schneider am Freitag.
Die Feuchtigkeit in der Region hat eine Verschlechterung der Situation erst herbeigeführt. So haben die starken Niederschläge der letzten Wochen die Beschleunigung der Rutschung weiter beschleunigt. Der Untergrund lockert so immer weiter auf und neue Wassermassen dringen in diese Risse ein. So wird das ganze Gebiet instabil.
«Wenn Gewitter kommen, wird das sofort die Geschwindigkeiten auf diesem Plateau nach oben schnellen lassen», sagt Schneider am Freitag. Dabei nehme die Beschleunigung bereits exponentielle Tendenzen an. «Das ist der Zeitpunkt, an dem wir Geologen nervös werden», so der Experte.
Für die Bewohnerinnen und Bewohner bleibt die Lage vor Ort also weiterhin angespannt. Dass die Gemeinde das Dorf fallen lasse, davon will Sprecher Gartmann aber nichts wissen. «Die Entscheidung, das Dorf aufzugeben, liegt bei den Hauseigentümerinnen und Hauseigentümern.» Die Gemeinde unterstützt zwar eine Umsiedelung, ordnet diese aber nicht an, so der Sprecher weiter.
Er meint aber auch: «Das Dorf rutscht, die Strasse rutscht, die Albulalinie rutscht.» Kommt es zum Abbruch, werde letztendlich die Phase Blau ausgerufen. Das bedeutet, dass auch die Kantonsstrassen sowie die Albulalinie der Rhätischen Bahn gesperrt werden. «Es ist uns bewusst, dass eine Sperrung der Achse einen sehr, sehr grossen Aufwand für die Menschen der Region bedeutet», sagt Gartmann. Aber:
(leo)
Hier zeigt es sich, dass die Behörden willens sind, die Menschenleben zu schützen. Dies trotz den Anfeindungen der Besserwisser, den "Bergstürze gab es immer" und "in den Bergen leben ist eben gefährlich"-Typen.
Danke an die Studierten in Geologie und den Praktikern vor Ort!
Mir tun die Menschen leid, welche ihre Heimat verlieren.
"Wir müssen einfach mit noch mehr Nachdruck betonen, dass es sich hierbei um Jahrhundertereignisse handelt. Dann überlegt es sich der Berg sicher anders."
[Sarkasmus Off]