Die Energiewende ist eine Reise mit vielen kleinen Etappen. Landauf landab schrauben derzeit Privathaushalte eine Solaranlage aufs Dach und ersetzen ihre Ölheizung durch eine Wärmepumpe. Das hilft, doch bis 2050 schafft es die Schweiz damit nicht in die angepeilten Klimaziele.
Dafür braucht es grosse Energie-Anlagen, und zwar möglichst schnell; für diese bereitet Energieministerin Simonetta Sommaruga im Moment den Boden vor. Aktuell läuft eine Vernehmlassung zu einem beschleunigten Bauverfahren für Kraftwerke, welche die Schweizer Versorgung sicherstellen sollen.
Sommaruga verspricht sich davon eine Abkürzung. Doch Kritiker warnen: Das ist ein Irrweg und der Preis dafür hoch.
Martin Föhse ist führender Experte für Energierecht in der Schweiz. Als ehemaliger Rechtsdienstleiter im Bundesamt für Energie hatte er die juristische Umsetzung der Energiestrategie 2050 des Bundes zu verantworten, inzwischen arbeitet er als Anwalt. Mit ruhiger Stimme zerpflückt er die Pläne seines ehemaligen Arbeitgebers. Nach rund zwanzig Minuten lautet sein Fazit: «Dieses Konzept wirkt unausgegoren. Im schlimmsten Fall bewirkt es das Gegenteil des Angestrebten.»
Drei wesentliche Kritikpunkte führt Föhse an. Der erste ist politisch: Mit dem neuen Bewilligungsverfahren werde das Partizipationsrecht der Gemeinden beschnitten. Bedeutende Energieanlagen sollen künftig nämlich auf Kantonsebene bewilligt werden. «Damit entfällt auch die Möglichkeit der Gemeinden, über die Nutzungsplanänderung eine Abstimmung durchzuführen und die Frage zu stellen, wollt Ihr diesen Windpark oder nicht?», sagt Föhse.
«Das kann man für richtig oder falsch halten», meint er. Für ihn aber störend: «Der Bundesrat ist in diesem Punkt nicht transparent genug.» In den Erläuterungen führt der Bundesrat zwar aus, die Gemeinden hätten bei diesen Projekten «keine Autonomie mehr». Was dies konkret bedeutet, wird aber nicht erklärt. Die Gemeinden sollen aber in das Verfahren beigezogen werden und könnten schliesslich die Planungsentscheide anfechten.
Das führt Föhse zum zweiten Punkt: Eine Beschleunigung sei mit dem neu vorgesehenen, konzentrierten Verfahren fraglich. Zwar würde nun Nutzungsplanung, Baubewilligung und gegebenenfalls Konzessionierung in einem Entscheid erteilt - «aber am materiellen Umweltrecht, das die Verfahren so herausfordernd macht, ändert sich gar nichts. Die Verfahren werden komplexer», sagt Föhse. Das Konzentrierte Verfahren sei nicht in jedem Fall die beste Lösung.
Wie das Umweltrecht greifen kann, zeigt ein aktueller Fall aus dem Wallis: Gerichte stoppten vergangene Woche ein Kraftwerk-Projekt, weil es den Lebensraum der Steinfliege gefährde. Auch eine Beschneidung des direkten Beschwerderechts führe nicht immer zu einer Beschleunigung, «denn je eher ein Gericht entscheidet, desto früher herrscht Planungssicherheit.»
Mit der Verfahrensänderung werde die Anfechtungsmöglichkeit der Gemeinden faktisch nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Damit könnte man im Einzelfall gerade das Gegenteil einer Beschleunigung bewirken: «Am Ende ist man vielleicht um Jahre zurückgeworfen, weil ein Fehler erst spät aufgedeckt wird.»
Zuletzt findet Föhse falsch, dass der Bund mit dem Konzept eine neue Kategorie von Energie-Anlagen schafft: jene der bedeutendsten für die Schweizer Landesversorgung. Diese wäre noch eine Stufe höher als die letzte, die Energie-Anlagen in nationalem Interesse. «Mit dieser Art der Priorisierung droht man am Ende das Gegenteil von dem zu erreichen, was man möchte», sagt Föhse, «im Endeffekt kreiert der Bund eine Shortlist mit konkreten Projekten, die ohnehin bereits bestehen, – und gefährdet damit andere.»
Föhse steht mit seiner Kritik nicht alleine da. Zu seinen Unterstützern zählt etwa Meinrad Huser, Dozent für Baurecht an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Derzeit arbeitet er an einer neuen Publikation, Thema: Verfahrensbeschleunigung im Bauwesen. Er sagt: «Die Revision versucht den Spagat zwischen der richtigen Anwendung des materiellen Rechts und der schnellen Entscheidung.» Inhaltlich wolle sie aber den Umweltschutz nicht antasten. Ob das zu einer Beschleunigung führt? Huser zweifelt.
Es ist für Sommaruga ein heikles Unterfangen: Die Energiewende beschleunigen, ohne den Umweltschutz zu schleifen. Die Landesversorgung garantieren, ohne Gemeinden und Kantone abzuhängen. In einem solchen Spannungsfeld ist bei praktisch jedem Schritt Widerstand programmiert.
Hinweis: Es handelt sich hier um einen aktualisierten Artikel. In einer früheren Form waren einige Formulierungen unpräzise.
(aargauerzeitung.ch)
Wenn schon Experten zu Wort kommen, und die Schwächen sehen, sollte die aber auch in der Lage sein Alternativen aufzuzeigen.
Beim Nein-Sagen gibt es viele Experten, die interessieren mich nicht mehr, wir brauchen Experten die aufzeigen wie die Umsetzung erfolgreich verlaufen kann.
Genau solche Rechtsanwälte in den Bundesämtern blockieren Lösungen, wir brauchen aber Lösungen und keine Verhinderung.