Schweiz
Energie

Der Gewerbeverband kritisiert Parmelins Verbotspläne scharf

Drohender Strommangel: Gewerbeverband kritisiert Parmelins Verbotspläne scharf

Der Bund will bei einer allfälligen Strommangellage im Winter mit Verboten arbeiten, ganz zum Ärger der Wirtschaft. Das lässt sich der Gewerbeverband nicht länger bieten.
20.08.2022, 21:44
Florence Vuichard / ch media
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Es war im Herbst 2021. Die Schweiz war erneut im Coronafieber und mit Boostern beschäftigt, als sich Guy Parmelin unvermittelt mit einer YouTube-Botschaft an die Öffentlichkeit und vor allem an die Wirtschaft wandte und vor einer Strommangellage warnte. Eine solche sei – neben der Pandemie - die grösste Gefahr für die Versorgungssicherheit der Schweiz, liess der Wirtschaftsminister die etwas verdutzte Zuschauerschaft wissen. «In einer solchen Situation können Güter und Dienstleistungen nur noch in einem reduzierten Umfang hergestellt, transportiert und angeboten werden.» Damals interessierte das niemanden.

Guy Parmelin 2021 zur Strommangellage

Damals interessierte es kaum jemanden: Im Herbst 2021 warnte Wirtschaftsminister Parmelin vor der Strommangellage.Video: YouTube/Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL

Jetzt, ein knappes Jahr später, ist alles anders: Eine Strommangellage ist ein durchaus realistisches Szenario für den anstehenden Winter, Parmelins Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) hingegen ist keinen Schritt weiter. Es setzt weiterhin auf Verbote für einzelne Dienstleistungen, einzelne Betriebe oder gar einzelne Branchen, sollte sich mit generellen Appellen wie «duschen statt baden» oder «Treppen steigen statt Lift fahren» nicht genügend Strom einsparen lassen.

Das heisst: Schränken sich die Haushalte freiwillig nicht genügend ein, werden «nicht absolut notwendige energieintensive Geräte» verboten. Die Rede ist von Saunas, Whirlpools, Schwimmbädern, Leuchtreklamen oder Rolltreppen. Oder anders gesagt: Dann wird einem Teil der Wirtschaft der Stecker gezogen.

Zielvereinbarungen statt Verbote

Ein Plan, gegen den sich die Wirtschaft jetzt wehrt. Der Gewerbeverband lehne «Verbote dezidiert ab», schreiben Gewerbeverbandspräsident Fabio Regazzi sowie sein Direktor Hans-Ulrich Bigler in einem Brief an den für die Versorgungssicherheit zuständigen Parmelin.

«Der derzeitige Planungsstand ist nicht ausreichend», heisst im Brief vom 16. August 2022, welcher der «Schweiz am Wochenende» vorliegt. Das Szenario der wirtschaftlichen Landesversorgung sei «unverhältnismässig», ein Verbot von bestimmten Aktivitäten «ein direkter Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit».

der Brief vom Gewerbeverband

Der Gewerbeverband will aber nicht nur kritisieren, sondern schlägt gleichzeitig auch eine Alternative zur Verbotsstrategie vor: Der Bund soll mit der Wirtschaft «Sparziele» vereinbaren. Die Massnahmen sollen aber nicht von oben diktiert werden, sondern jedes Unternehmen soll selber bestimmen, wie es die vereinbarte Strommenge einsparen wolle. «Bottom-up» heisst das Zauberwort. Damit liesse sich der Stromverbrauch um 10 Prozent reduzieren, zeigen sich Bigler und Regazzi überzeugt. Ein Verbot einzelner Tätigkeiten sei «weder zielführend noch notwendig».

Hans-Ulrich Bigler, Direktor Schweizerischer Gewerbeverband, spricht waehrend einer Medienkonferenz des Komitees "Mediengesetz Nein", am Mittwoch, 5. Januar 2022, in Bern. (KEYSTONE/Peter Kl ...
Bezeichnet Verbote als weder zielführend noch notwendig: Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler.Bild: keystone

Keine Minibar im Zimmer, gestutzte Öffnungszeiten bei der Sauna

Bei seinem Vorschlag orientiert sich der Gewerbeverband am Konzept aus dem Tourismus: So schlägt Hotelleriesuisse vor, dass alle Hotelbetriebe sich dazu verpflichten, 10 Prozent Strom einzusparen – und zwar im Vergleich zum normalen Vor-Corona-Jahr 2019. Dabei entscheidet jedes Hotel selbst, wie es das Ziel erreichen will. «Wir brauchen massgeschneiderte Lösungen», sagt Hotelleriesuisse-Präsident Andreas Züllig, «denn jedes Hotel ist unterschiedlich.»

Züllig, der den «Schweizerhof» in Lenzerheide GR führt, hat zum Beispiel bereits einen grossen Teil der Lampen mit LED ausgestattet und in den öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten Bewegungsmelder installiert, damit das Licht nicht immer brennt. Und seine Gäste müssen sich neu im Voraus für den Gang in die Sauna anmelden.

Der Hotelleriesuisse-Präsident hat aber noch mehr Tipps auf Lager: So könnten Hotels die Minibars in den Zimmern ausser Betrieb nehmen, die Öffnungszeiten für die Wellnessanlagen verkürzen oder nur noch zu bestimmten Stunden warme Küche anbieten. Er appelliert an die Betriebe, mit dem Sparen schon jetzt anzufangen und nicht auf die bundesrätliche Order zu warten. «Denn jede Kilowattstunde Strom, die wir jetzt schon sparen, zahlt sich auch ökologisch und vor allem ökonomisch aus.»

Hotelbetriebe, die als Grossverbraucher bis vor nicht allzu langer Zeit den Strom vergleichsweise günstig einkaufen konnten, müssen heute tief in die Tasche greifen. Züllig weiss von einem Hotelunternehmen zu berichten, dass heute pro Kilowattstunde zehnmal mehr bezahlen muss.

Wer zahlt, wenn die Wintersaison gestrichen wird?

Das proaktive Vorgehen von Hotelleriesuisse wie auch jetzt der Brief vom Gewerbeverband sind kein Zufall: Beide Verbände sorgen sich um die anstehende Wintersaison, die mit der vom Bund angedachten Verbotspolitik alles andere als gut ausfallen dürfte. Denn wer macht schon Skiferien in den Bergen, wenn die Seilbahnen stillstehen und die Wellnessanlagen in den Hotels zubleiben?

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Taxiert das Szenario der wirtschaftlichen Landesversorgung des Bundes als «unverhältnismässig»: Gewerbeverbandspräsident Fabio Regazzi.Bild: keystone

Beharrt der Bund jedoch auf Verboten, dann soll er auch dafür bezahlen. «Eine Parallele zu den Covid-Regulierungen drängt sich hier auf», schreiben Regazzi und Bigler an Parmelin. Und sie fügen an, dass diesmal die Rechnung für den Bund noch teurer werden könnte: «Die finanziellen Konsequenzen dürften diejenigen aus der Pandemiephase bei weitem übersteigen.»

Die Wirtschaft steht abseits – ganz zum Ärger ihrer Verbände

Was die Wirtschaftsverbände zusätzlich frustriert, ist, dass sie nicht angehört werden. Züllig und sein Verband etwa haben ihr Zielvereinbarungskonzept vergangene Woche an Parmelins zuständiges Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung geschickt. Eine Antwort haben sie bis heute keine bekommen, wie Züllig betont.

Und auch die Bemühungen des Gewerbeverbands waren vergeblich. Er hat sich bereits im Mai mit einem Forderungskatalog brieflich an Wirtschaftsminister Parmelin und Energieministerin Simonetta Sommaruga gewandt und regte etwa «die Aufstellung eines Notfallstabs mit Einbezug der Wirtschaft und der Stromkonsumierenden für die Vorbereitung und das Management einer Mangellage» an.

Bundesrat Guy Parmelin spricht an einer Medienkonferenz ueber Gasreserve 2022 / 2023 und Vorbereitungsmassnahmen f
Wirtschaftsminister Guy Parmelin will den Stromverbrauch runterbringen: auch mit Verboten.Bild: keystone

Doch vergeblich, die Wirtschaft steht noch immer abseits bei den Vorbereitungen für eine allfällige Strommangellage. Die Gewerbeverbandsspitze fordert deshalb «mit aller Deutlichkeit», dass die Wirtschaft fortan einbezogen werde. So könne der Bund von seiner «beabsichtigen unverhältnismässigen und teuren Regulierung von Aktivitäten absehen».

(aargauerzeitung.ch)

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39 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Fairness
21.08.2022 08:04registriert Dezember 2018
Schon interessant, wie schnell die liberale Wirtschaft, die vom Staat nichts wissen will, bei Problemen sofort nach ihm ruft und entschädigt werden will. Soviel zu Eigenverantwortung bzw. Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren.
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Gantii
21.08.2022 08:03registriert Februar 2015
Wann realisieren diese arbeitsscheuen Ausbeutervereine endlich, dass in Notlagen Menschen und nicht Geschäfte/Unternehmen priorität haben?! Ohne Mensch KEIN Geschäft!
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Black Cat in a Sink
21.08.2022 07:44registriert April 2015
Eigenverantwortung? In der Schweiz? Ressourcen schonen, in einem Land das glaubt, mit Bezahlen sei alles erledigt? Ich bin ja mal gespannt!
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