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Die FDP und die SVP-Frage – Präsident Burkart lässt aufhorchen

«Müssen Illusion eines bürgerlichen Blocks begraben»: Der Freisinn ringt um die SVP-Frage

Denkbar knapp macht sich die FDP Zürich zum Juniorpartner der SVP und fährt eine historische Schlappe ein. Am Mittwoch bietet sich die erste Chance zur Chropfleerete – auch Präsident Burkart lässt mit einer Aussage aufhorchen.
21.11.2023, 06:07
Christoph Bernet, Benjamin Rosch / ch media
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Wie umgehen mit der SVP? FDP-Parteipräsident Thierry Burkart im Gespräch mit SVP-Chef Marco Chiesa.
Wie umgehen mit der SVP? FDP-Parteipräsident Thierry Burkart im Gespräch mit SVP-Chef Marco Chiesa.Bild: Peter schneider/keystone

Am 21. Juni dieses Jahres fasst die FDP des Kantons Zürich einen Grundsatzentscheid: Ja, man wolle mit der SVP eine Listenverbindung eingehen. Laut Protokoll gab es eine «engagierte Diskussion», die über den Sommer via Medien fortgesetzt wird. Das Resultat fällt knappestmöglich aus: 82 Delegierte wollen die Zusammenarbeit mit der SVP, 81 sind dagegen. Ein wesentliches Argument der Befürworter: die gegenseitige Unterstützung beider Parteien im Ständeratswahlkampf.

Im Prinzip verliert diese Aussage bereits am 23. Oktober wesentlich an Wert. Auf Druck der Zürcher Wirtschaftsverbände, die mehr Chancen im SVP-Mann Gregor Rutz zu erkennen glauben, zieht die FDP zwei Tage nach den Wahlen ihre Kandidatin Regine Sauter für den zweiten Wahlgang zurück. Nach vierzig Jahren ununterbrochener Präsenz in der kleinen Kammer gibt der einst stolze Zürcher Freisinn seinen Ständeratssitz kampflos auf.

Nach dem vergangenen Wochenende fällt die Rechnung nochmals ein bisschen schlechter aus. Nicht nur in Zürich wird SVP-Mann Rutz, der GLP-Kandidatin Tiana Moser unterliegt, abgehängt. Auch in Solothurn und Schaffhausen bringt die Wasserträger-Rolle der FDP zugunsten der SVP beziehungsweise dem in der SVP-Fraktion politisierenden Thomas Minder keinen zählbaren Erfolg. In beiden Kantonen obsiegt die SP.

Die FDP hat im National- und im Ständerat je einen Sitz verloren, ist in beiden Kammern schwächer als die Mitte. Mit 14.3 Prozent Wähleranteil bei den Nationalratswahlen fährt die FDP ihr historisch schlechtestes Resultat ein.

Die magere Bilanz ist besonders deshalb bitter, weil die Zusammenarbeit zu keinem Zeitpunkt besonders harmonisch schien. Mal sorgten Corona-Aufständische im Beiboot der SVP für Wellen, mal sauste der FDP die SVP-Kampfrhetorik um die Ohren. Und immer wieder tauchte in sozialen Netzwerken ein altes SVP-Plakat auf, das (auch) die FDP als Made im Apfel zeigt. Die Rolle als Juniorpartnerin der SVP: Die Staatsgründerpartei FDP haderte schon immer damit.

FDP-Urgestein Fluri: «Müssen eigenständige liberale Politik machen»

Spätestens seit diesem Sonntag fühlen sich all jene bestätigt, die der Zusammenarbeit mit der SVP schon immer kritisch gegenübergestanden sind. Dazu gehört Kurt Fluri. Das Solothurner Polit-Urgestein tritt heuer nach zwanzig Jahren aus dem Nationalrat zurück.

Fluri kennt die freisinnigen Diskussionen über eine Zusammenarbeit mit der SVP seit deren kometenhaftem Aufstieg zur wählerstärksten Partei unter der Führung Christoph Blochers in den Neunzigern und Nullerjahren: «Wir drehen uns im Kreis», sagt der 68-Jährige.

Die Debatte basiere auf einer komplett falschen Vorstellung, nämlich die von fixen, inhaltlich kohärenten politischen Lagern über die Parteigrenzen hinweg: «Wir müssen die Illusion eines bürgerlichen Blocks begraben.» Einen bürgerlichen Schulterschluss über alle Themen hinweg habe es in Bern nie gegeben und werde es auch in Zukunft nicht geben.

«Wir drehen uns im Kreis»: FDP-Urgestein Kurt Fluri.
«Wir drehen uns im Kreis»: FDP-Urgestein Kurt Fluri.Bild: Keystone/Solothurner Zeitung

Die FDP müsse von Frage zu Frage um Mehrheiten ringen. Dies könne fallweise mit der SVP geschehen, fallweise mit Mitte-Links. Mit flächendeckenden Listenverbindungen und der Unterstützung von SVP-Kandidierenden riskiere man, das Image einer unliberalen Gesellschaftspolitik aufgedrückt zu bekommen.

Für Fluri ist klar: «Wir müssen in allen Politikfeldern eine eigenständige und selbstbewusste liberale Politik machen.» Dafür gebe es weiterhin ein Wählerpotenzial, das deutlich über dem Ergebnis der FDP liege. Er empfiehlt der FDP Schweiz und ihren Kantonalparteien nach dem schlechten Wahlergebnis «eine schonungslose Analyse».

Selbstverständlich werde man die Wahlresultate auswerten und daraus Schlüsse ziehen, sagt Arnaud Bonvin, Sprecher der FDP Schweiz. Auch der Umgang mit der SVP werde Teil der Analyse der FDP Schweiz sein, so Bonvin, auch wenn der Entscheid über Nationalratslistenverbindungen und Wahlallianzen für den Ständerat bei den Kantonalparteien liege.

Dies will FDP-Präsident Thierry Burkart ändern. Bei den Fragen zu den Ständeratskandidaturen und Listenverbindungen brauche es mehr Mitsprache der Zentrale, sagte Burkart vor drei Wochen zur «Schweiz am Wochenende».

Zürcher Delegiertenversammlung mit Sprengkraft

Im grössten Kanton trifft sich die FDP am heutigen Dienstag zur ausserordentlichen Delegiertenversammlung. Fünf Monate nach dem haarscharfen Entscheid für eine Listenverbindung mit der SVP und einen Monat nach dem enttäuschenden Wahlausgang wählt die FDP Zürich ein neues Präsidium. Gut möglich, dass die SVP-Frage bereits im Zusammenhang mit der Präsidiumswahl auftaucht.

Falls nicht, dann spätestens bei der Diskussion über die Anträge der Delegierten. FDP-Mitglied Peter Metzinger aus Dietikon will die Zusammenarbeit der Kantonalpartei in Zukunft entlang einiger rechtsstaatlicher Grundsätze definieren. Die Formulierungen sind schwammig, doch die Absicht klar: Ein Zusammengehen mit der SVP soll mindestens erschwert werden.

Weniger kategorisch äussert sich Doris Fiala, abtretende Nationalrätin und langjährige Kantonalparteipräsidentin. Sie kann der Listenverbindung mit der SVP durchaus auch Positives abgewinnen – «ohne sie hätte die FDP einen ihrer fünf Nationalratssitze eingebüsst». Dennoch will Fiala für die Zukunft Lehren ziehen aus der aktuellen Diskussion. «Eine Listenverbindung mit der SVP ist von höherer Symbolkraft als die reine Wahlarithmetik. Sie bedeutet einen Image-Transfer.» Fiala fordert deshalb eine Zweidrittelmehrheit für solche Entscheide.

Der nationale Parteichef Thierry Burkart war für diese Redaktion am Montag nicht erreichbar. Burkart, der sich vor den Wahlen mangels Alternativen für flächendeckende Listenverbindungen mit der SVP ausgesprochen hatte, zog gegenüber Radio SRF ein erstes Fazit: «Im Zweifelsfall sollten wir bei Ständeratswahlen selber antreten.» Es ist ein Satz, der auch in Zürich nachhallen wird. (aargauerzeitung.ch)

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66 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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auslandbasler
21.11.2023 06:56registriert Februar 2015
Burkhart ist krachend gescheitert. Seine Partei ist die wahre Verliererin der Wahlen. Das Debakel im Ständerat ist nur ein Beispiel. Eine liberale Partei kann nicht mit einer extrem rechten, populistischen SVP zusammen arbeiten. Sie wird nur vor sich hergetrieben. Seit Jahren.
Deshalb bleibt Burkhart eigentlich nur der Rücktritt, zumal er voll für diese Strategie steht.
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reich&schön
21.11.2023 06:30registriert Januar 2018
Liebe FDP! Zuerst braucht man eigene Inhalte, dann kann man über eine engere Zusammenarbeit mit anderen Parteien reden.
Ein klares Profil lässt sich nicht durch Kooperation ersetzen - sonst geht man unter!
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Reiszeit
21.11.2023 07:14registriert November 2021
Jetzt, wo der zweite Bundesratssitzung wackelt, merkt die FDP auch langsam, dass das Zusammengehen mit der SVP ihrem Image schadet. Dabei wurde sie von der „Bauernpartei“ schon seit Jahren als Juniorenpartner behandelt und an der Nase herumgeführt. Ein ziemliches Desaster für den ehemals grossen Wirtschaftsfreisinn.
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