Schweiz
Geld

Bund kann laut Experten bis 2030 rund 5 Milliarden Franken sparen

Serge Gaillard, Praesident der Expertengruppe, ehemaliger Direktor EFV, spricht waehrend einer Medienkonferenz der Expertengruppe zur Aufgaben- und Subventionsueberpruefung des Bundes, am Donnerstag,  ...
Am Donnerstag hat das Gremium unter der Leitung des ehemaligen Chefs der Finanzverwaltung, Serge Gaillard, in Bern vor den Medien seinen Bericht vorgestellt.Bild: keystone

Bund kann laut Experten rund 5 Milliarden Franken sparen – hier sehen sie Sparpotenzial

05.09.2024, 13:2905.09.2024, 14:42
Mehr «Schweiz»

Die im Frühjahr eingesetzte Expertengruppe ortet bis zu 5 Milliarden Franken Sparpotenzial im Bundeshaushalt. Sie schlägt über sechzig Massnahmen vor, mit denen das finanzielle Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann. Der Bundesrat begrüsst den Bericht.

Am Donnerstag hat das Gremium unter der Leitung des ehemaligen Chefs der Finanzverwaltung, Serge Gaillard, in Bern vor den Medien seinen Bericht vorgestellt. Tags zuvor nahm der Bundesrat dessen Schlussforderungen entgegen und führte eine erste Diskussion dazu.

In den vergangenen Monaten hatten fünf Expertinnen und Experten sämtliche Aufgaben und Subventionen des Bundes unter die Lupe genommen - mit dem Ziel, die strukturellen Defizite im Bundeshaushalt zu beseitigen. Diese belaufen sich gemäss Finanzplanung auf rund 3 Milliarden Franken pro Jahr. Grund dafür sind insbesondere Mehrausgaben für die AHV und die Armee.

6 bis 7 Prozent weniger Ausgaben

Neben Gaillard wurden alt Nationalrätin Ursula Schneider Schüttel (SP/FR), alt Nationalrat Jacques Bourgeois (FDP/FR) sowie die Professoren Aymo Brunetti und Christoph Schaltegger mit der Aufgabe betraut. Sie zeigen im 62-seitigen Schlussbericht mit 66 Massnahmen auf, wie der Bundeshaushalt in den kommenden Jahren um 4 bis 5 Milliarden Franken entlastet werden kann.

Die Expertengruppe empfiehlt dem Bundesrat, die Defizite durch ausgabenseitige Massnahmen zu beseitigen - was auch dem Auftrag der Regierung entsprach. Einnahmenseitige Massnahmen stellt das Gremium auch zur Diskussion, erachtet sie aber nicht als prioritär.

Das Sparpotenzial beträgt bei Ausgaben von insgesamt über 70 Milliarden Franken bei rund 6 bis 7 Prozent. Die Expertengruppe präsentiert konkrete Massnahmen in allen Aufgabengebieten und verweist auf Bereiche mit Reformbedarf. Zudem schlägt sie Kürzungen im Eigenbereich der Bundesverwaltung im Umfang von 0,2 bis 0,3 Milliarden Franken vor.

Vorschläge in praktisch allen Bereichen

Gemäss Bericht könnten im Jahr 2027 rund 1,7 Milliarden und im Jahr 2030 rund 2 Milliarden Franken mit Massnahmen in der Migrationspolitik, der Klima- und Energiepolitik sowie bei der Verkehrsinfrastruktur eingespart werden. Aktuelle Subventionen - beispielsweise die Förderung des Güterverkehrs - sollen hinterfragt oder Fonds-Einlagen gekürzt werden.

Zudem sieht das Gremium ein Sparpotenzial von 1,3 Milliarden (2027) respektive 1,5 Milliarden Franken (2030) dort, wo der Bund im Zuständigkeitsbereich der Kantone aktiv geworden ist - beispielsweise bei der Kita-Betreuung. Weitere Einsparungen von 0,2 bis 0,4 Milliarden Franken könnten mit einer Dämpfung des Ausgabenwachstums bei der sozialen Wohlfahrt erreicht werden.

Mit der Kürzung und Streichung kleinerer Subventionen liegt ausserdem ein Ausgabenminus von 0,1 Milliarden Franken drin, wie die Expertengruppe schreibt. 0,3 bis 0,6 Milliarden Franken könnten zusätzlich mit einer Neupriorisierung von Ausgaben eingespart werden.

Insgesamt ist die Schweiz aus Sicht der Expertengruppe in der Lage, die finanzpolitischen Herausforderungen mit ausgabenseitigen Entlastungsmassnahmen zu bewältigen, wie es in der Zusammenfassung des Berichts heisst. «Eine Ausserkraftsetzung der Schuldenbremse würde den künftigen finanzpolitischen Spielraum der Schweiz einschränken.»

Politische Auseinandersetzung beginnt

Auf Basis der Vorschläge der Expertengruppe sollen laut dem Bundesrat erste Entlastungen des Haushalts ab den Jahren 2026 und 2027 realisiert werden. Der Bericht sei eine «gute Grundlage für die weiteren Schritte», schrieb die Landesregierung. Das Ziel sei es, ausgeglichene Budgets und wieder genügend Handlungsspielraum zu erreichen.

Aus heutiger Sicht erachtet der Bundesrat ab 2027 ein Entlastungsvolumen von 3 bis 3,5 Milliarden Franken als notwendig. Ab 2030 steigt das notwendige Entlastungsvolumen auf 4 bis 4,5 Milliarden Franken pro Jahr. Es werde unvermeidlich sein, dass einige Massnahmen die Kantone tangieren werden, schrieb er. Er wolle aber keine grundsätzlichen Änderungen an der Aufgabenteilung mit den Kantonen vornehmen.

In den kommenden Tagen werden Runde Tische mit Kantonen, politischen Parteien und Sozialpartnern einberufen. Schon Ende September soll dann das weitere Vorgehen festgelegt werden. Voraussichtlich im Januar wird der Bundesrat zu den definierten Massnahmen eine ordentliche Vernehmlassung durchführen. Darüber entscheiden wird schliesslich das Parlament.

Hier sieht die Expertengruppe das grösste Sparpotenzial beim Bund

Integrationspolitik

Die Integrationspolitik für vorläufig aufgenommene Personen und für Flüchtlinge soll auf das prioritäre Ziel einer raschen Integration ins Erwerbsleben ausgerichtet werden. Damit liessen sich Ausgaben für die spätere Unterstützung der Personen einsparen und die Abgeltungspflicht des Bundes an die Kantone auf vier Jahre verkürzen.

Klima- und Energiepolitik

Es soll vermehrt auf Lenkungsabgaben, Emissionsvorschriften und technische Vorschriften zurückgegriffen werden. Dies erlaube es, die Ausgaben für Subventionen an Immobilienbesitzer und Unternehmungen zu reduzieren und zu priorisieren. Finanzielle Beiträge an einzelne Unternehmen und bestimmte Branchen sollen drastisch reduziert oder gestrichen werden.

Verkehrsinfrastruktur

Die Einlagen in den Bahninfrastrukturfonds (BIF) und in den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds (NAF) sollen reduziert werden. Die sich noch nicht im Bau befindlichen Projekte seien zudem neu zu priorisieren. Dies würde eine Verfassungsänderung voraussetzen mit obligatorischer Volksabstimmung.

Kantonsbeiträge

Der Bund soll auf Beiträge und Leistungen verzichten, die im Zuständigkeitsbereich der Kantone sind. Gänzlich gestrichen werden sollen beispielsweise Finanzhilfen für die familienergänzende Kinderbetreuung. Die Aufstockung für den soziodemografischen Lastenausgleich von vor zwei Jahren sei zudem rückgängig zu machen.

Soziale Wohlfahrt

Einerseits sollen die Ausgaben des Bundes und der AHV stärker entflochten werden. Der Bundesanteil für die AHV soll sich künftig am Wachstum der Bundeseinnahmen orientieren. Andererseits sollen Bund und Kantone mit Zielwachstumsraten gemeinsam das Kostenwachstum bei den Gesundheitskosten dämpfen.

Kleinere Subventionen

Auf «Bagatellsubventionen» sei künftig zu verzichten. Freiwillige Beiträge an internationale Organisationen ausserhalb der internationalen Entwicklungszusammenarbeit (IZA) sowie Finanzhilfen für die Sportförderung sollen um 10 Prozent gesenkt werden. Ganz verzichtet werden soll auf das Weiterbildungsgesetz.

Neupriorisierung

Wenn beispielsweise die Armeeausgaben ohne zusätzliche Steuereinnahmen schneller erhöht werden sollen, sollen unter anderem die IZA-Ausgaben bis 2030 eingefroren und der Bundesbeitrag für den Schweizerischen Nationalfonds und Innosuisse um 10 Prozent gekürzt werden.

Bundesverwaltung

Neue Aufgaben sollen bis 2030 mit den bestehenden Ressourcen bewältigt werden. Die Eigen- und speziell auch die Personalausgaben sollen nach einer Senkung um 300 Millionen Franken bis 2030 nur noch mit der Teuerung zunehmen. Auch die absehbar hohe Zahl kommender Pensionierungen schaffe Spielräume, um den Personaleinsatz in neue Aufgabengebiete zu lenken und die Effizienz zu erhöhen.

Armee

Werden die Armeeausgaben weniger schnell erhöht und der Wiederaufbau der Fähigkeiten zur Verteidigung gebremst, müsste in anderen Politikbereichen weniger gespart werden.

Mehreinnahmen

Die steuerliche Begünstigung von Kapitalbezügen im Rahmen der zweiten und dritten Säule soll beseitigt werden. Damit könne der steuerliche Anreiz vermindert werden, aus Gründen der Steueroptimierung das Alterskapital zu beziehen. Diese Massnahme würde beim Bund zu Mehreinnahmen von jährlich gut 200 Millionen Franken führen. Zudem sollen weniger Ausnahmen von der Mehrwertsteuerpflicht gewährt werden. Mit einem Einheitssatz von 6,8 Prozent wären Zusatzeinnahmen von jährlich rund einer Milliarde möglich. Es soll ausserdem eine Grundstückgewinnsteuer auf nationaler Ebene geprüft werden. Eine solche hätte ein Aufkommenspotenzial von bis zu 1 Milliarde Franken pro Jahr. (sda)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
165 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Sändala
05.09.2024 14:08registriert Mai 2023
Wenn der Bund sein Sparprogramm ernst meint, sollte er zuerst die Subventionen für die Fleisch-, Milch- und Zuckerindustrie streichen. Das allein könnte schon viele weitere Kürzungen unnötig machen. Jeder könnte so die echten Kosten seines Konsums tragen – und als Gesellschaft würden wir gesünder werden und gleichzeitig erst noch Gesundheitskosten sparen.
26840
Melden
Zum Kommentar
avatar
Firefly
05.09.2024 14:46registriert April 2016
Ich konnte den Punk Landwirtschaftsubventionen nirgens finden!

Da gäbs viel Potential... hat die mächtige Bauernlobby wieder gut hingekriegt.
22524
Melden
Zum Kommentar
avatar
Philboe
05.09.2024 13:34registriert Juli 2015
Ich finde den Punkt mit der schnelleren Integration sehr lobenswert. Bezahlte Deutschkurse und Ausbildungen helfen auch den Märkten den Personalmangel entgegenzukommen.
11828
Melden
Zum Kommentar
165
    AHV soll Hörgeräte früher finanzieren – Bundesrat wiegelt ab
    Am Donnerstag hat der Ständerat über einen erleichterten Zugang zu Hörgeräten diskutiert. Der Bundesrat verteidigt die aktuell geltende Regelung. Innenministerin Baume-Schneider ging vor allem auf die Preise ein.

    «Schwerhörigkeit ist heute die zweitteuerste Krankheit nach Rückenschmerzen», sagt FDP-Ständerat Josef Dittli. Er beklagt, dass AHV-Rentnerinnen und -Rentner verglichen mit IV-Bezügerinnen und -Bezügern stark benachteiligt würden. Letztere erhalten ab 20 Prozent Hörverlust ein von der IV finanziertes Hörgerät. Bei der AHV geschieht das erst ab einer hochgradigen Schwerhörigkeit – also etwa wenn man sein Gegenüber beim Sprechen nicht mehr hört.

    Zur Story