Am meisten verdient Filippo Lombardi. Der Tessiner CVP-Ständerat und Medienunternehmer weist Einkünfte von 327'000 Franken aus. Auf Rang zwei folgt SP-Nationalrat Manuel Tornare (SP, GE) mit 276'739 Franken. Als ehemaliger Genfer Stadtpräsident kassiert er – es ist seine grösste Einnahmequelle – eine Ruhestandsrente von knapp 156'000 Franken. Dicht dahinter auf Platz drei liegt Tornares Parteikollege aus dem Kanton Jura, Arzt Pierre-Alain Fridez, mit 274'000 Franken.
Lombardi, Tornare und Fridez sind drei von 12 Eidgenössischen Parlamentariern, die in der parlamentarischen Versammlung des Europarats in Strassburg mittun. Seit Herbst 2018 sind die 636 Abgeordneten aus den 47 Mitgliedstaaten angehalten, ihre Einkünfte von Beruf und Mandaten auf der Homepage der parlamentarischen Versammlung zu publizieren, auch Bagatellbeträge von wenigen Hundert Euro. Selbst Geschenke ab 200 Euro fallen unter die Transparenzpflicht.
Es handelt sich um Selbstdeklarationen, kontrolliert werden sie nicht. Wer keine Transparenz herstellt, ist aber in seiner politischen Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt. Diese Parlamentarier dürfen zum Beispiel keine Wahlen beobachten, keine Kommissionen präsidieren, keine Berichte verfassen.
Das Parlament des Europarats kümmert sich um Fragen im Zusammenhang mit Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa. Das Gremium wurde in jüngster Vergangenheit von Korruptionsskandalen durchgeschüttelt. Als Reaktion darauf hat es neue Transparenzregeln installiert. Fast alle Vertreter sind Profipolitiker, die zwölf Schweizer Milizparlamentarier stellen in Strassburg eine Ausnahme dar.
Sollen auch die Mitglieder des Eidgenössischen Parlaments gläsern werden und Einkommen aus ihren Interessenbindungen offenlegen müssen? Kurz vor den Wahlen ist diese Frage wieder auf die politische Agenda gerückt.
Der Zürcher SVP-Nationalrat Roger Köppel etwa warf seinen Hauptkonkurrenten im Ständeratswahlkampf, Ruedi Noser (FDP) und Daniel Jositsch (SP), «Pöstchenjägerei» vor. Er griff sie an, weil sie ihre Einkünfte aus Nebenmandaten verheimlichen. Köppel fordert die Offenlegung von Bezügen aus Mandaten, «die man einzig und allein seinem politischen Amt verdankt».
Einen Schritt weiter geht Regula Rytz. Die Berner Nationalrätin und Präsidentin der Grünen Partei will in der Schweiz ähnliche Regeln wie bei der parlamentarischen Versammlung des Europarats einführen.
Das schreibt Rytz in der Begründung zu ihrer parlamentarischen Initiative, welche acht Parteikollegen mitunterzeichnet haben. Mit anderen Worten: Sie fordert gläserne Parlamentarier; alle sollen sämtliche Einkünfte bekannt geben müssen, einsehbar für jedermann. Ausnahmen kann sie sich vorstellen für «völlig politikunabhängige Berufsarbeit».
Wie kommt die Rytz’ Forderung bei jenen Schweizer Parlamentariern an, die wegen ihrer Mitgliedschaft im Parlament des Europarats schon heute der totalen Finanztransparenz unterliegen? «Mais bien sûr, aber sicher unterstützte sie Rytz’ Vorstoss», sagt Liliane Maury Pasquier. Mehr Transparenz schaffe mehr Vertrauen, ergänzt die Genfer SP-Ständerätin, die derzeit die parlamentarische Versammlung im Europarat präsidiert.
Die bürgerlichen Politiker reagieren weniger euphorisch. Viele legten ihre finanziellen Verhältnisse nur zähneknirschend offen. «Diese Offenlegung ist mit unserem Milizsystem nicht kompatibel», sagt etwa Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP, BL).
Doris Fiala hat eine Güterabwägung gemacht. «Wenn man in der parlamentarischen Versammlung des Europarats eine aktive Rolle spielen will, dann muss man Transparenz schaffen. Sonst ist man in diesem Betrieb eine lahme Ente», sagt die Zürcher FDP-Nationalrätin. Sie befürchtete zudem, dass eine Nichtdeklaration den Verdacht geschürt hätte, sie habe etwas zu verbergen. Das habe sie nicht. Sie sei weder «schockierend reich noch schockierend arm».
Der St. Galler SVP-Nationalrat Roland Büchel kann mit den Transparenzregeln für die Parlamentarier des Europarats leben – gerade weil dort viele Berufspolitiker Einsitz hätten. Allerdings traut er nicht allen Angaben, welche die Vertreter der 47 Länder machen. «So viele Lügen wie bei den Selbstdeklarationen habe ich noch kaum je gesehen.» Für das Schweizer Milizparlament hält er eine Regelung à la Europarat für übertrieben:
Solche Regeln, befürchtet er, könnten fähige Leute davon abhalten, sich für politische Mandate zur Verfügung zu stellen. Büchel vermutet, dass Rytz mit ihrem Vorstoss den Weg für ein Profiparlament ebenen will.
Schneider-Schneiter und Fiala argumentieren ähnlich. «Solange wir ein Milizparlament haben, muss man es akzeptieren, dass jeder Parlamentarier Einkünfte generiert – und ein Recht auf Privatsphäre hat», sagen sie. Sonst würden abgewählte Politiker vor dem Nichts stehen.
Die beiden Politikerinnen nennen weitere Gründe, die gegen gläserne Parlamentarier sprechen. Wenn man die Einkunft aus einem Verwaltungsratsmandat offenlege, oute man damit gleichzeitig das ganze Gremium. «Ich habe von all meinen Verwaltungsratskollegen grünes Licht eingeholt für die Offenlegung», sagt Fiala. Sie kritisiert zudem, dass Löhne von normalen Angestellten publik werden. «Das kann Neid befeuern, unter anderem von Arbeitskollegen.» Rytz’ Vorstoss, sagt Fiala, sei nicht durchdacht, ein Schnellschuss, der das Milizsystem untergrabe.
Der Tessiner Ständerat Filippo Lombardi hat im Namen der Schweizer Delegation die Bedenken in einem Brief ans Büro des Europaratsparlaments zusammengefasst. Lombardi wies darin auf die Besonderheiten des Milizparlaments und die fehlende öffentliche Parteienfinanzierung hin. «Niemand wird gezwungen, nach Strassburg zu gehen. Aber in Bern würde man mit solchen Regeln ein fundamentales Prinzip verletzen: Die Daten der Milizparlamentarier haben ein Anrecht darauf, dass ihre beruflichen Daten vertraulich bleiben», sagt Lombardi. Die Ausgangslage der Schweizer Delegation sei nicht mit den Abgeordneten anderer Länder vergleichbar.
Die Schweizer Delegation in Strassburg erwies sich in der Vergangenheit als Bekämpferin der Korruption. Auf Vorschlag des Zürcher SVP-Nationalrats Alfred Heer verlangte sie Anfang 2017 einstimmig eine Untersuchung über Schmiergeldzahlungen an Luca Volontè aus Italien, den einstigen Fraktionschef der Gruppe der Volksparteien. An eine von ihm kontrollierte Stiftung flossen 2.3 Millionen Euro aus Aserbaidschan. Prompt lehnte das Parlament des Europarats zur gleichen Zeit eine Resolution ab, in der die Menschenrechtslage im Land verurteilt worden wäre. Heer schrieb darüber einen Artikel in der «Weltwoche». In vielen der 47 Mitgliedstaaten sei Korruption nicht die Ausnahme, sondern die Regel, hielt er fest.
Heer glaubt nicht, dass die Offenlegungspflicht der Einkünfte etwas bringt. Die Daten würden nicht kontrolliert, jedermann könne irgendetwas angeben. Wenn er gewisse Einkünfte von Kollegen aus den 47 Ländern sehe, dann könnten diese nicht stimmen. Auch Heer lehnt Rytz’ Vorstoss ab. Er findet aber, dass man Einkünfte aus Mandaten in Verbänden oder Verwaltungsräten angeben müsste, die man nur dank dem Parlamentariermandat erhalten habe.
Die strengen Transparenzregeln für das Parlament des Europarats sind auch eine Folge der Bemühungen der Schweizer Delegation. Dank diesen, und das ist absurde Pointe der Geschichte, wissen wir nun: Alfred Heer erhielt für seinen «Weltwoche»-Artikel, in dem im Frühjahr 2017 die Korruption im Strassburger Gremium geisselte, exakt 650 Franken. (aargauerzeitung.ch)
Genau so sollte es sein.
Dies würde vieleicht denn auch die Lobbyismus genannte Korruption unterbinden und dem Volk klar aufzeigen, wer zu seinen Gunsten arbeitet oder halt nicht.