Für Jessica Jaccoud ist es eine «reine Salamitaktik». Mit einer ganzen Kaskade von Vorstössen würden die Hauseigentümer «an der Aufweichung des Mieterschutzes» arbeiten, sagt die Waadtländer SP-Nationalrätin.
Die Vorstösse aus den Jahren 2016 und 2017 betreffen Bestimmungen zur Anfangsmiete, zum Renditedeckel von Mietwohnungen, dem dringenden Eigenbedarf, der Untermiete. Für die im Mieterverband aktive Anwältin Jaccoud geht es nur um eines:
Ihre Vorwürfe untermauert sie mit dem strategischen Vorgehen der Gegenseite. Am 24. November stimmt die Schweiz vorerst nur über zwei von ursprünglich sechs Vorstössen ab: die erleichterte Durchsetzung des Eigenbedarfs sowie neue, strengere Regeln bei der Untermiete. Doch noch bevor der Volksentscheid vorliegt, ist die bürgerliche Mehrheit im Parlament dabei, schon die nächsten Vorstösse voranzutreiben.
Diese haben zum Ziel, dass Anfangsmietzinse nur angefochten werden können, wenn sich Mieterinnen und Mieter bei Vertragsabschluss in einer «persönlichen oder familiären Notlage» befanden. Aus Vermietersicht geht es um «Treu und Glauben im Mietrecht». Der zweite Vorstoss hat zum Ziel, Mieten einfacher dem orts- und quartierüblichen Niveau anzupassen.
Im August hat eine Mehrheit der nationalrätlichen Rechtskommission die beiden Anliegen bereits befürwortet, am Donnerstag hat sie dazu noch zwei Berichte diskutiert. Voraussichtlich im Frühling 2025 wird das Parlament darüber beraten, der Mieterverband hat vorsorglich schon mal das Referendum angedroht. Und für SP-Nationalrätin Jaccoud ist «offensichtlich, dass es den Vermietern nicht um Rechtssicherheit geht, wie sie nun im Abstimmungskampf behaupten, sondern um ihren Profit.»
Den Vorwurf der Salamitaktik weist Mitte-Nationalrat Philipp Bregy als «unredlich» zurück. Jeder dieser Vorstösse reagiere «auf tatsächliche Gegebenheiten oder Gerichtsentscheide». Ziel sei immer ein «klares Mietrecht», denn «klar bedeutet auch fair», so Bregy, seines Zeichens Vorstandsmitglied des Hauseigentümerverbands Schweiz (HEV).
Zu den Vorlagen, die im November zur Abstimmung gelangen, sagt Bregy, es würden «keine neuen Kündigungsmöglichkeiten eingeführt». Vermieter hätten ein Interesse an langfristigen Mietverhältnissen:
Beim Eigenbedarf werde der Begriff «dringlich» durch «aktuell und bedeutend» geändert, «dies schafft Klarheit». An den übrigen Voraussetzungen der ausserordentlichen Kündigung ändere sich nichts. «Auch bei der Untermiete wird keine neue Kündigungsmöglichkeit eingeführt», sagt der Walliser Nationalrat.
Offiziell sagt der Bundesrat Ja zu den vorliegenden Reformen. Er muss, weil ihn das Ja des Parlaments dazu verpflichtet. Tatsächlich hält der zuständige SVP-Bundesrat Guy Parmelin nichts vom punktuellen Vorgehen, mit dem die Hauseigentümer-Lobby im Parlament ihre Partikularinteressen verfolgt. Das hat er mehrmals deutlich gemacht.
Wohnminister Parmelin strebte lange eine Gesamtrevision des Mietrechts an, mit einem Diskussionsprozess und einem runden Tisch mit allen beteiligten Kräften. «Es geht nicht darum, nur die Frage der Mieten zu untersuchen», sagte Parmelin am 1. Juni 2021 im Nationalrat:
Im Nationalrat stand an jenem Tag eine Motion zur Debatte, die eine Gesamtrevision zum Ziel hatte. Der Ständerat hatte diese ein halbes Jahr zuvor einhellig überwiesen. Der Walliser Mitte-Ständerat Beat Rieder, Bregys Partei- und Anwaltskollege, plädierte damals für eine umfassende Reform: «Die Revision des Mietrechts ist immer eine äusserst heikle Angelegenheit, weil wir ja ein ausgeglichenes und für beide Parteien – Vermieter und Mieter – seriöses und faires Mietrecht haben möchten.»
Die Ständeräte sahen sich durch ein umstrittenes Urteil des Bundesgerichts vom Oktober 2019 zum Handeln veranlasst: Die Richter erlaubten neu, dass die Nettorendite von Mietwohnungen unter bestimmten Bedingungen 2 Prozent über dem Referenzzinssatz liegen dürfe und nicht bloss 0,5 Prozent, wie bis dahin gültig. Pikant: Diese Praxisänderung entsprach genau der Forderung eines der Vorstösse aus dem Arsenal der Hauseigentümer, der noch gar nicht abschliessend behandelt worden war.
Die Wogen gingen hoch, Mietverbände waren empört. Und Parmelin stellte in der Nationalratsdebatte fest: «Das Urteil und die darauf folgenden Kontroversen zeigen, dass heute die Gerichte und nicht mehr der Gesetzgeber über die Festlegung der Mietzinse entscheiden» – deshalb brauche es ergebnisoffene Diskussionen über eine Gesamtrevision.
Doch der Nationalrat sagte in einer denkwürdigen Abstimmung äusserst knapp Nein zum Vorstoss der Kollegen aus dem Ständerat: Zunächst stimmten der Rat mit 94 gegen 93 Stimmen mit Ja. Doch dann stellte Nationalratspräsident Andreas Aebi (SVP) fest:
Das neue Ergebnis: 96 Ja gegen 97 Nein. Die Gesamtrevision war vom Tisch.
Und das ist sie aus Sicht von HEV-Vertreter Bregy noch immer: «Eine Gesamtrevision war und ist chancenlos», sagt er. Entsprechende Bestrebungen seien stets gescheitert. Eine breite Umfrage des Bundes habe zudem «generell eine grosse Zufriedenheit mit dem Mietrecht ausgemacht». Ein Bedarf für eine umfassende Revision sei nicht ausgemacht worden. Deshalb diskutiere das Parlament «in unregelmässigen Abständen punktuelle Anpassungen im Mietrecht», so Bregy. Für ihn sei das der «sachgerechte» Weg.
Für Bundesrat Parmelin offenbar nicht. Seine – ihm vom Parlament aufgezwungene – Unterstützung in der laufenden Kampagne für ein doppeltes Ja ist lau. Manche sagen, sie grenze an Dienstverweigerung. (aargauerzeitung.ch)
Hat jemand Herr Bregys Natelnummer? Möchte ihn kurz fragen, was daran genau fair ist das Mieten nicht automatisch sinken wenn der Referenzzinssatz fällt.
Durch mehrere Vorstösse versucht die Immobilienlobby mit einer perfiden Salamitaktik das Mietrecht auszuhöhlen. Ihr Ziel ist es, die Profite auf Kosten der Mieter:innen zu erhöhen. Ein Name fällt dabei immer wieder: Hans Egloff.
Der HEV ist die prägende Kraft der Immobilienlobby. Aber während er sich gegen aussen als Verband der privaten Hauseigentümer gibt, vertritt er inzwischen in erster Linie die Interessen der Investoren und Immobilienfirmen.