Schweiz
Gesellschaft & Politik

KI soll die Sprachprobleme im Bundeshaus lösen

Das Restaurant Roeschtigrabe steht auf dem Baerenplatz neben dem Bundeshaus, am Donnerstag, 13. Oktober 2022, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Der Röschtigraben sorgt in Bern bei Diskussionen für Verständigungsprobleme.Bild: KEYSTONE

«Je comprends nur Bahnhof!»: KI soll die Sprachprobleme im Bundeshaus lösen

Neo-Bundesrat Martin Pfister spricht leidlich Französisch. Er ist nicht der Einzige. Das Niveau sinkt, wer als Romand verstanden werden will, spricht Deutsch. Doch ohnehin fragt man sich in Zeiten von künstlicher Intelligenz: Weshalb sollen wir noch Fremdsprachen lernen? Droht das Ende des Sonderfalls Schweiz?
16.03.2025, 19:4816.03.2025, 19:48
Doris Kleck / ch media
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«Nicht mal um Bundesrat zu werden, muss man Französisch können. Weshalb sollen wir also diese Sprache lernen?», entfuhr es den Kindern eines Redaktionskollegen, als sie Neo-Bundesrat Martin Pfister im Fernsehen sahen. Die jungen Erwachsenen hatten die Französisch-Ausrede ihres Lebens gefunden.

Für einen kurzen Moment lag am Mittwoch eine Revolution in der Luft. Martin Pfister gab seine erste Medienkonferenz als Bundesrat. Ein Journalist fragt: «Habe ich Sie richtig verstanden, Sie schliessen direkte Waffenlieferungen an die Ukraine nicht aus?» Der Journalist nahm dabei Bezug auf die Antwort Pfisters auf eine vorangehende Frage. Die Journalistin einer japanischen Agentur hatte ihre Frage nach den Waffenlieferungen auf Französisch gestellt und um eine Antwort auf Französisch gebeten. Pfister tat dies höflich – doch er drückte sich missverständlich aus. Pfister wagte den Tabubruch nicht; die Revolution war rasch abgesagt.

Pfisters Französisch ist holprig. Seit Bekanntgabe seiner Bundesratskandidatur nimmt er deshalb Französischunterricht. Und im Auto und zu Hause läuft das Westschweizer Radio.

Das Französisch der beiden Bundesratskandidaten war in den letzten Wochen ein grosses Thema in den Gängen des Bundeshauses. Einig war man sich über das tiefe Niveau. Danach gingen die Meinungen auseinander. Markus Ritter hat wohl das grössere Vokabular, Pfister die bessere Aussprache und Grammatik.

Der neu gewaehlte Bundesrat Martin Pfister, links, spricht mit Bundesratssprecher Andrea Arcidiacono vor der traditionellen Medienkonferenz nach seiner Wahl in den Bundesrat, am Mittwoch, 12. Maerz 20 ...
«Wie sagt man Entlastungspaket?»: Mehrmals muss Bundesratssprecher Andrea Arcidiacono dem neuen Bundesrat Martin Pfister französische Wörter soufflieren.Bild: keystone

Das Bundeshaus als Sprachschule

So wie Pfister geht es vielen, die in die Landesregierung streben. Französisch büffeln stand auch auf der «liste de tâches» des heutigen Justizministers Beat Jans. Am Abend, bevor er seine Kandidatur vor den Medien ankündigte, war er nervös. Vor allem fragte er sich: Wird er die Fragen der französischsprachigen Presse beantworten können? Auch er hörte statt dem «Echo der Zeit» nur noch das «Forum» auf RTS; ausserdem gab ihm eine Landwirtin aus dem Jura Französischlektionen. Im Gegenzug hütete er während einer Woche ihre Kühe.

Der Unterschied zwischen Pfister und Jans? Jans hatte mehr Zeit. Alain Berset kündigte seinen Rücktritt im Juni 2023 an, gewählt wurde sein Nachfolger im Dezember – ein halbes Jahr später. Zwischen dem Rücktritt von Viola Amherd und der Wahl ihres Nachfolgers lagen nicht einmal zwei Monate. Ob jemand Bundesrat wird, hat mehr mit Zufall zu tun als mit Karriereplanung. Deshalb werden die Sprachkenntnisse nicht vorzeitig auf Vordermann gebracht.

Ein weiterer Unterschied: Beat Jans war zehn Jahre Nationalrat, bevor er sich als Regierungspräsident für kurze Zeit nach Basel zurückzog. Zehn Jahre genoss er das Sprachbad im Parlament. Oder wie es die Baselbieter Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter sagt: «Das Bundeshaus ist die beste Sprachschule, die es gibt.»

Die Strategie der Romands

Vorausgesetzt, man will. Grundsätzlich gilt im Bundeshaus: Jeder spricht in seiner Sprache und wird von den anderen verstanden.

Nun, chacun parle sa langue: Diese Regel ist zu einem gewissen Grad ein Mythos. Das wissen die Rätoromanen und die italienischsprachigen Parlamentarier nur zu gut. Sie sind so wenige, dass sie sich anpassen müssen. Sie sind die wahren Heldinnen und Helden der Mehrsprachigkeit: Ohne Französisch- und Deutschkenntnisse wären sie aufgeschmissen. Sie würden schlicht nicht verstanden.

Doch nun befürchten die Romands, dass sie das gleiche Schicksal erleiden werden wie die Tessiner im Parlament. Roger Nordmann ist seit über 21 Jahren Nationalrat. Der Waadtländer SP-Politiker erlebt seine letzten Tage in dieser Funktion – am Ende der Session ist Schluss. Während seiner Amtszeit sei das Französischniveau der Deutschschweizer gesunken, sagt Nordmann. Das sei frappierend: «Wer verstanden werden will, muss Deutsch reden.» Viele Deutschschweizer verstünden kein Französisch mehr: «Das ist ein echtes Problem.»

Wer kein Hinterbänkler sein will, spricht Deutsch. Vor allem in den bilateralen Gesprächen, manchmal auch in den Kommissionen, in denen die Geschäfte vorbereitet werden. In denen richtig Politik gemacht wird. Das bestätigt auch die Waadtländer Grünen-Nationalrätin Sophie Michaud Gigon. Die studierte Germanistin sagt aber auch: «Von den welschen Kollegen und Kolleginnen wird das nicht immer gerne gesehen.» Es ist ein Dilemma: zwischen verstanden und gehört werden und dem Hochhalten der eigenen Sprache. Und so gibt es auch welsche Parlamentarier und Parlamentarierinnen, die konsequent Französisch sprechen. Dafür etwas langsamer und mit einfachen Wörtern.

Nordmann kann dieser Entwicklung immerhin etwas Positives abgewinnen: Die jüngeren Kolleginnen und Kollegen aus der Romandie würden schneller und besser Deutsch lernen. Es helfe auch, dass der Deutschunterricht in den Schulen besser geworden sei.

Armee und Welschjahr

Pierre Nebel ist langjähriger Bundeshauskorrespondent für das Westschweizer Fernsehen RTS. Immer wieder beschäftigt er sich mit der Frage der Sprache und konstatiert: Die Französischkenntnisse erodieren. Nebel kommt ins Schwärmen, wenn er von Archivbeiträgen erzählt. Wie der damalige FDP-Nationalrat und Schatten-Aussenminister Ernst Mühlemann perfekt auf Französisch parlierte. Damals, als das Welschjahr noch verbreitet war. Damals, als zur Politkarriere auch eine Militärkarriere gehörte und Mann in der Armee Französisch lernte. Damals, als das Englisch weniger dominant war.

Nebel spricht von einer neuen Elite – gerade auch im Freisinn. Früher sei es undenkbar gewesen, dass ein FDP-Präsident eher mittelmässig Französisch spreche. Dass die FDP beim Wähleranteil noch vor der Mitte-Partei liegt, hat vor allem mit der Stärke in der Romandie zu tun. Doch Thierry Burkart überlässt seine medialen Auftritte in der Westschweiz weitgehend seinen französischsprachigen Vizepräsidenten. Man kann das indes auch als kluge Arbeitsteilung sehen.

Pfisters Weckruf am 1. August

«Das Parlament ist ein Abbild unserer Gesellschaft», sagt Mitte-Präsident Gerhard Pfister. Er verweist auf die Internationalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft. Darauf, dass das Frühfranzösisch stärker unter Druck steht. Pfister – der sich selbst einen Boomer nennt, für den Englisch weniger selbstverständlich war als für die Jungen heute – stellt mit Bedauern fest, dass das Erlernen der Landessprachen nicht als Chance begriffen wird, sondern in den Diskussionen immer als Bürde dargestellt wird.

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Bild: bfs/ ch media

Während man sich als Parlamentarierin oder Parlamentarier ohne aktive Kenntnisse der anderen Landessprachen noch durchmogeln kann, geht das in anderen Funktionen weniger gut: «Als Bundesrat und als Parteipräsident sollte man mindestens eine zweite Landessprache beherrschen.»

Pfister gibt dabei zu, dass sein Französisch auch etwas eingerostet war, als er 2016 das Präsidium übernahm. Bei seiner ersten Ansprache zum 1. August sprach er «pays» (Land) wie «paix» (Frieden) aus. Die Westschweizer Medienleute schlugen es ihm um die Ohren. Zu Recht, wie Pfister sagt. «Einmal im Amt, macht man rasch Fortschritte, weil man ja auch viel Gelegenheit bekommt, sich zu verbessern.»

Als Präsident oder Präsidentin einer nationalen Partei sei es wichtig, auf Deutsch und Französisch interviewfähig zu sein. Zudem führe er seine Partei nicht aus der Berner Zentrale, sondern sei regelmässig bei Kantonalparteien vor Ort. Dieser direkte Austausch sei wichtig, um die Basis zu motivieren. «Das sind in der Regel nicht Leute, die sich für ein Amt interessieren, sondern jene, die später einmal helfen, Plakate aufzustellen.»

Der Horror von Martin Candinas

Mitte-Nationalrat Martin Candinas beherrscht alle Landessprachen. Er ist leitender Co-Präsident der parlamentarischen Gruppe «Mehrsprachigkeit CH» und sagt: «Ich mache mir Sorgen!» Er spricht von der helvetischen Lösung: Jeder spricht in seiner Sprache und wird vom anderen verstanden. Doch das gehe verloren. Er beobachtet, wie das Englisch immer mehr Raum einnimmt. In Firmen, in der Gesellschaft und selbst in der Armee. Junge Deutsch- und Westschweizer, die sich auf Englisch verständigen – für Candinas, den Hüter der helvetischen Mehrsprachigkeit, ein Horror.

Künstliche Intelligenz erleichtert die Verständigung in einer anderen Sprache. Dank DeepL können wir das Hotel auf Kreta auf Griechisch anschreiben und bekommen die Reservationsbestätigung in Windeseile – auf Englisch wäre die Anfrage tagelang liegen geblieben. Bei Airbnb kommuniziere ich problemlos mit der italienischsprachigen Vermieterin. Es spielt keine Rolle, dass wir die Sprache des anderen weder sprechen noch verstehen. Es gibt Kopfhörer, die ein Telefongespräch simultan übersetzen, sodass man gar keine Sprache mehr lernen muss.

Aus einer liberalen Sicht könnte man sagen, das sei der Lauf der Zeit. Candinas verwirft die Hände. In diesem Punkt sei er konservativ: «Nein, nein, nein. Wir müssen dem Englischen innerhalb der Schweiz Gegensteuer geben. Es geht um unsere Vielfalt, um unsere Kultur. Es geht um die Willensnation Schweiz!» Die Schweiz mitten in Europa, umgeben von Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und Liechtenstein: «Wir verbinden alles und leben in Frieden: Es ist eine geniale Geschichte. Was sonst ist der Sonderfall Schweiz?»

Die Emotionen sind echt. Im Nationalrat wird seit langem simultan übersetzt. Der Ständerat hat sich bis anhin geweigert. Doch Candinas befürchtet, dass auch dort bald Forderungen für Simultanübersetzungen kommen. Und auch in den geheimen Kommissionssitzungen.

Der Paradigmenwechsel in den Kommissionen

Tatsächlich hat der Nationalrat bereits einem Postulat zugestimmt: Ein Pilotprojekt zur Simultanübersetzung der Kommissionssitzungen mithilfe von KI-unterstützten Programmen soll geprüft werden. Denn die Themen seien oft komplex, schreibt die Staatspolitische Kommission. Die neuen digitalen Möglichkeiten sollen genutzt werden, um die Qualität der Kommissionsarbeit zu verbessern. Zudem könnten so alle Kommissionsmitglieder gleichgestellt an den Debatten teilnehmen, und die Diskussionen seien für alle klar verständlich.

Es ist ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel. 2007 forderten über sechzig Nationalrätinnen und Nationalräte bereits einmal, dass es auch in den Kommissionssitzungen Übersetzer gibt. Der Vorstoss blieb ohne Folgen. Es war eine Frage des Prinzips. «Das Nationalratsbüro schrieb: In der Willensnation Schweiz ist es eine der vornehmsten Aufgaben der Mitglieder der eidgenössischen Räte, Verständnis für die Sprache, Kultur und Mentalität in den anderen Landesteilen zu entwickeln. Dies setzt voraus, dass die gewählten Vertreter im direkten Austausch Sprachgrenzen überschreiten können.»

Wie Deiss mogelte

Westschweizer sprechen also Deutsch, wenn sie verstanden werden wollen. Doch es gibt auch die umgekehrte Strategie. Bundesrat Joseph Deiss soll als Aussenminister in der Kommission jeweils auf Französisch gewechselt haben, wenn er nicht genau verstanden werden wollte. So wird es im Bundeshaus erzählt.

Solche Spielereien lassen Martin Pfisters Französischkenntnisse nicht zu. Immerhin zeigt ein Blick zurück: Sind Bundesräte erst einmal im Amt, machen sie oft rasch Fortschritte in einer anderen Landessprache. (aargauerzeitung.ch)

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