Toni Bortoluzzi sagt: «Ich bin erschüttert vom Verhalten der Parteileitung.» Er ist 77 und wird am Samstag an die Delegiertenversammlung der SVP nach Aarau fahren.
Bortoluzzi war Nationalrat von 1991 bis 2015, und er kennt das Schweizer Gesundheitssystem wie nur wenige Politiker. Die Vorlage sei gut, meint er nun. Sie gehe in die richtige Richtung.
Bei der Vorlage geht es um die Finanzierung von ambulanten und stationären Behandlungen. Künftig gibt es einen Kostenschlüssel für Krankenversicherungen und Kantone, der für beide Bereiche gleich angewandt wird. Interessenkonflikte wegen unterschiedlicher Finanzierungsanteile sollen damit eliminiert werden. Ziel der Reform ist es, ambulante Behandlungen zu fördern – weil dort die hohen Kosten der Spitalaufenthalte wegfallen.
Das Parlament arbeitete mehr als zehn Jahre an der Vorlage. In der grossen Kammer stimmten zwei Drittel der SVP-Parlamentarier für die Gesetzesänderung, im Ständerat waren alle sechs Mitglieder der Partei dafür. Die Gewerkschaft VPOD brachte das Referendum zustande.
Der Ausschuss der SVP-Parteileitung liegt nun auf der Linie der Gewerkschaft und empfiehlt ein Nein. Es ist zu erwarten, dass die Parteileitung und der Vorstand mitziehen.
Das sorgt für Unruhe in der Volkspartei. Die grösste kantonale Sektion, die SVP des Kantons Zürich, sprach sich im September ohne Gegenstimme für die Vorlage aus. Und im Komitee «Ja zur einheitlichen Finanzierung» machen bereits vier Nationalräte und drei Ständeräte der SVP mit, unter ihnen Esther Friedli.
Jetzt bringen sich auch SVP-Regierungsräte ein, die in ihren Kantonen Gesundheitsdirektionen führen. Es sind nicht weniger als sechs. Die Mandatsträger aus den Kantonen Zürich, Bern, Aargau, Freiburg, Thurgau und Uri haben einen Brief an die Mitglieder der SVP geschrieben. Natalie Rickli und ihre fünf Amtskollegen rufen darin eindringlich dazu auf, der Gesundheitsreform am kommenden 24. November zuzustimmen.
Im Schreiben heisst es: Die ambulanten Behandlungen nähmen in der Schweiz zu. Das sei positiv, weil es Kosten spare. Aber die Prämienzahler müssten immer mehr bezahlen. Wieso? Weil die Kantone sich heute ausschliesslich an den stationären Kosten im Spital beteiligten. «Die einheitliche Finanzierung korrigiert diesen Fehler.» Die Vorlage eliminiere teure Fehlanreize bei der Finanzierung des Gesundheitswesens.
Die sechs SVP-Gesundheitsdirektoren haben auch eine Stellungnahme verfasst, die am Samstag in Aarau vorgelesen oder verteilt werden soll: Die Vorlage führe dazu, dass Bürokratie abgebaut werden könne. Eine Annahme ermögliche schnellere Behandlungen.
Die Befürworter der Reform freuen sich über die Intervention der SVP-Regierungsräte. Und sie kritisieren den Präsidenten Marcel Dettling, den Fraktionschef Thomas Aeschi und die Vizepräsidenten Thomas Matter und Magdalena Martullo.
An der Delegiertenversammlung wollte Nationalrätin Martina Bircher das Votum für die Vorlage halten. Bircher ist Mitglied der Gesundheitskommission, führt in der Exekutive von Aarburg das Gesundheitsdossier und kandidiert nun für den Aargauer Regierungsrat. Den Vorzug erhielt aber Nationalrat Thomas Bläsi. Der Genfer ist erst seit einem Jahr Nationalrat. In der Gesundheitskommission sitzt er nicht, und er spricht kein Deutsch. Immerhin ist er Apotheker.
Martina Bircher sagt: «Ich hätte die Vorlage sehr gerne vor den Delegierten vertreten.» Und sie betont: «Warum die Parteileitung auf ein Nein umgeschwenkt ist, verstehe ich nicht.» Die Nationalrätin kritisiert auch, dass die Gegner nun von der Langzeitpflege sprächen, an deren Finanzierung sich die Krankenkassen künftig stärker zu beteiligen hätten.
Thomas Aeschi begründet das Nein der Parteileitung so:
Zweitens führe die Vorlage zu mehr Staat, weil die Kantone in die Finanzierung der ambulanten Leistungen hineingezogen würden. Drittens seien die Leistungserbringer einzig deshalb für die Reform, weil diese die Ausgabenseite nicht tangiere.
Gesundheitsexperte Toni Bortoluzzi meint hingegen, dass das neue Gesetz vielleicht nicht perfekt sei – aber es bringe zweifellos eine Verbesserung. Bortoluzzi befürchtet, dass nun das Gleiche geschieht wie vor zwölf Jahren: Er hatte an der Managed-Care-Reform mitgearbeitet; die SVP war für die Vorlage, schloss sich dann aber plötzlich dem Ärzteverband an und empfahl den Stimmberechtigten ein Nein. Die Umgestaltung, die von den meisten Fachleuten als sinnvoll eingestuft wurde, scheiterte dann klar in der Volksabstimmung.
Das soll mit dem neuen Finanzierungsmodell nicht geschehen. Bortoluzzi reist darum an die SVP-Versammlung nach Aarau, und er will Tacheles reden. «Wie unsere Parteileitung hier ans Werk geht, das ist ein Armutszeugnis.»