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Interview

FDP-Präsident Burkart: Die SVP kippt immer mehr ins linke Lager

Interview

FDP-Präsident Burkart: «Die SVP kippt in vielen Fragen immer mehr ins linke Lager»

Thierry Burkart sucht den bürgerlichen Schulterschluss, damit der Bundeshaushalt nicht ins Minus rutscht. Der FDP-Präsident sieht dabei aber ein Problem: Sowohl die SVP als auch die Mitte orientierten sich zunehmend nach links – was die Zusammenarbeit erschwere.
05.10.2024, 10:19
Francesco Benini / ch media
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Will die Zuwanderung aus der EU in die Schweiz mit einer wirksamen Schutzklausel drosseln: FDP-Präsident Thierry Burkart.
Will die Zuwanderung aus der EU in die Schweiz mit einer wirksamen Schutzklausel drosseln: FDP-Präsident Thierry Burkart.Bild: ch media/sandra ardizzone

In der Stadt St.Gallen sah die FDP wie die Wahlsiegerin aus, aber das Stimmbüro hatte gepfuscht. Waren Sie enttäuscht?
Thierry Burkart: Mich haben zwei Gedanken beschäftigt: Kandidatinnen und Kandidaten freuten sich über ihre Wahl, bis einen Tag später das Wahlergebnis korrigiert wurde. Und die Panne überdeckte das gute Resultat der FDP in den Schaffhauser Wahlen: 1,6 Prozent mehr Stimmen im Kantonsrat und ein Sitzgewinn. In der Schaffhauser Regierung hatten wir ein zweites Mandat bereits zurückgeholt.

Jetzt haben Sie in einem Brief die Präsidenten der Mitte und der Grünliberalen zu einer bürgerlichen Sparallianz aufgerufen. Gelingt der Plan?
Wir haben die Aufgabe, das strukturelle Defizit der Bundesfinanzen wegzubringen. Das schaffen wir nur in einem Schulterschluss der bürgerlichen Parteien, denn die Linke verweigert sich. Die Antwort auf den Brief war lau. Die Mitte und die GLP spielen auf Zeit und lehnen eine Allianz ab. Mitte-Präsident Gerhard Pfister will zwingend über Mehreinnahmen sprechen. Das ist das Gegenteil von Sparen.

Welche Teile des Sparpakets, das die Expertengruppe des Finanzdepartements vorgelegt hat, erachten Sie als besonders wichtig?
Wichtig ist, dass ein ganzes Bündel an konkreten Vorschlägen vorliegt. Die einzelnen Massnahmen prüfen wir im Detail, und wir präsentieren voraussichtlich eigene Vorschläge.

Höhere Einnahmen sind für Sie ausgeschlossen?
Es ist Aufgabe des Parlaments, den Staatshaushalt im Lot zu halten. Wenn die Politiker ihre Aufgaben nicht lösen, kann es nicht sein, dass man den Bürgerinnen und Bürgern Mehrbelastungen aufbürdet und ihre Kaufkraft schwächt. Man muss wissen: Es geht nicht um Einsparungen im eigentlichen Sinn, sondern lediglich um eine Abschwächung der Ausgabensteigerung um rund 3 Prozent.

Sie wollen Einsparungen vornehmen und zugleich das Armeebudget schneller erhöhen, als es der Bundesrat vorsieht. Beides zusammen funktioniert nicht – richtig?
Die geopolitische Lage, der Krieg in Europa machen es erforderlich, dass wir in die Armee investieren. Dreissig Jahre lang konnten andere Staatsaufgaben wie die Entwicklungszusammenarbeit zulasten der Landesverteidigung ausgebaut werden. Jetzt muss man hier korrigieren.

Mit der Forderung nach einem schnelleren Aufbau der Armee stellen Sie sich gegen die Finanzministerin Ihrer eigenen Partei, Karin Keller-Sutter.
Der Bundesrat hält den Aufwuchs bis 2035 für ausreichend; das Parlament will das Ziel fünf Jahre früher erreichen. Dafür braucht es eine Lösung.

Kritiker sagen, die Projekte zur Beschaffung von Rüstung seien nicht konkret genug – darum könnte man das viele Geld gar nicht ausgeben.
Die Armee hat die notwendigen Investitionen unlängst aufgezeigt. Wenn zu wenig finanzielle Mittel vorhanden sind, wird die Armee als Gesamtsystem bald nicht mehr einsetzbar sein. Veraltete Systeme müssen ersetzt werden. Das Problem ist, dass das Verteidigungsdepartement bisher keine strategische Planung vorgenommen hat. Welche Verteidigungsfähigkeit wollen wir, wie viel internationale Kooperation ist dazu nötig, welche Armee benötigen wir daraus folgend mit welchem Material, mit welchem Personalbestand und welchen Priorisierungen sowie Kosten – diese politische Debatte hat bisher weder der Bundesrat noch das Parlament führen können.

In der Asylpolitik hat die FDP unter Ihrer Führung einen härteren Kurs eingeschlagen: Wer kein Recht auf Asyl in der Schweiz hat, soll an der Einreise gehindert oder zur Ausreise gebracht werden. Wie schafft man das?Die Schweiz hat eine humanitäre Tradition. Wer an Leib und Leben bedroht ist, soll bei uns Schutz bekommen. Das betrifft aber den kleinsten Teil der Gesuchsteller. Machen wir uns nichts vor: Wir begegnen einer massiven Wirtschaftsmigration mit dem humanitären Asylrecht. Die Attraktivität des Schweizer Asylsystems muss entsprechend gesenkt werden. Dänemark und Schweden haben grosse Anpassungen vorgenommen, die wir uns zum Vorbild nehmen können. Die Not ist gross. Die Kantone und Gemeinden sind längst an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt.

Bis jetzt hat es kein Land geschafft, dass über Asylanträge im Ausland entschieden wird.
Die Europäische Union will künftig an der Aussengrenze Asylanträge bearbeiten. Dazu wird die Schweiz ihren Beitrag leisten. Was ist zurzeit das Hauptproblem? Es führt zu einer grossen Sogwirkung auf Migranten aus islamischen Ländern, wenn abgewiesene Asylbewerber wissen, dass sie nie ausreisen müssen. Eine übermässige Zuwanderung aus nicht liberalen Staaten hat aber zur Folge, dass unser liberales Gesellschaftsmodell erodiert. Noch etwas beschäftigt mich.

Nämlich?
Wenn man will, dass die Bevölkerung die Personenfreizügigkeit mit der EU akzeptiert, muss man den Leuten beweisen, dass wir den Missbrauch des Asylsystems nicht hinnehmen.

Viele Länder nehmen abgewiesene Asylbewerber nicht zurück. Der Schweiz bleibt nichts anderes, als diesen Personen die vorläufige Aufnahme zu gewähren.
Den Ländern, die ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen, muss man die Entwicklungszusammenarbeit stoppen. Ausserdem hat der Bundesrat den Auftrag des Parlamentes zu erfüllen und die FDP-Vorstösse endlich umzusetzen, wonach abgewiesene Asylbewerber in Drittstaaten auszuschaffen sind.

Will die Zuwanderung aus der EU in die Schweiz mit einer wirksamen Schutzklausel drosseln: FDP-Präsident Thierry Burkart.
«Die Regulierungsdichte ist inzwischen so gross, dass man fast nicht mehr bauen kann»: Thierry Burkart.Bild: ch media/sandra ardizzone

Sie sprechen die Personenfreizügigkeit an. Sie verlangen von der Europäischen Union, dass sie in den Verhandlungen mit dem Bundesrat über ein neues Vertragspaket eine wirksame Schutzklausel akzeptiert. Das heisst: Sie wollen die Personenfreizügigkeit mit der EU aufgeben.
Nein. Wir brauchen die Fachkräfte für den Schweizer Arbeitsmarkt. Wünschbar ist aber eine Drosselung. Dafür müssen wir das Potenzial an inländischen Arbeitskräften besser aktivieren. Die Individualbesteuerung, für die wir uns seit Jahren einsetzen und die wir gerade durch den Nationalrat gebracht haben, schafft die Voraussetzung dafür. Mehr Frauen werden ihre Arbeitspensen erhöhen. Zur Schutzklausel: Ohne diese Möglichkeit, die Zuwanderung gegebenenfalls zu bremsen, wird es das Vertragspaket in einer Volksabstimmung sehr schwer haben. Wir kennen bereits in den bestehenden bilateralen Verträgen eine Bestimmung. Sie muss jetzt konkretisiert werden, damit sie eine Wirkung entfalten kann.

Die hohe Migration trägt dazu bei, dass der Bestand an leeren Wohnungen auf einem Tiefstand ist.
Die Regulierungsdichte ist ein grosses Problem. Sie ist inzwischen so hoch, dass man fast nicht mehr bauen kann. In Zürich zum Beispiel dauert es über ein Jahr, bis eine erste Baubewilligung vorliegt. Diese Blockade müssen wir aufbrechen. Die Wohnungsnot trifft vor allem die Städte, in denen die Linke seit Jahrzehnten das Sagen hat. Wenn die Schweiz die Arbeitskräfte will, die sie braucht, muss sie die Infrastruktur und den verfügbaren Wohnraum entsprechend anpassen.

Die Gegner des Vertragspakets kritisieren den Souveränitätsverlust, welcher der Schweiz drohe. Wie sehen Sie das?
Wir wollen ein langfristig stabiles Verhältnis mit der Europäischen Union. Der Vertrag, den der Bundesrat mit der EU aushandelt, liegt noch nicht vor. Wenn er da ist, prüfen wir ihn: Sind die Vorteile für unser Land grösser als die Nachteile, werden wir den Vertrag unterstützen. Wir gehen pragmatisch vor.

FDP-Ständerat Hans Wicki macht nun in einem Komitee mit, das den Vertrag bekämpft – was sagen Sie dazu?
Die Haltung der FDP ist klar: Wir unterstützen eine Weiterentwicklung der bilateralen Verträge, wenn sie in der Summe im Interesse der Schweiz ist. Es gibt in der Partei Skeptiker wie Ständerat Hans Wicki und Befürworter wie Nationalrat Simon Michel, die nicht für die Partei, sondern für sich sprechen. Das hält die FDP aus.

An der vorgesehenen Rolle des Europäischen Gerichtshofes bei der Streitschlichtung wird sich kaum etwas ändern. Nehmen Sie das hin?
Es ist ein klares Verfahren geplant für den Fall, dass sich die Schweiz und die EU im Bereich eines Vertrags uneinig sind. Ob dieses Verfahren tatsächlich einen Souveränitätsverlust für die Schweiz zur Folge hat, wird die Praxis zeigen. Darum sollte die Schweizer Bevölkerung nach sieben Jahren erneut über das Vertragspaket abstimmen können.

Braucht es dafür das Einverständnis der EU?
Die Schweiz kann das selbst festlegen. Künden können wir den Vertrag jederzeit, man muss sich einfach der Folgen bewusst sein. Die Möglichkeit, ein zweites Mal abzustimmen, fördert das Vertrauen in der Bevölkerung und wurde bereits für die ersten bilateralen Verträge so vorgesehen.

Sie haben Ihre Partei dazu gebracht, dass sie eine positive Haltung zum Bau neuer Kernkraftwerke einnimmt. Trotzdem: Gegen winterliche Engpässe in der Stromversorgung bringt diese Position in den kommenden fünfzehn Jahren nichts.
Eine stabile und preisgünstige Stromversorgung ist von enormer Bedeutung. Wir verfolgen in der Schweiz eine Elektrifizierungsstrategie, wir wollen CO₂-frei werden. Die Zahl der Menschen im Land wächst, die Wirtschaft auch – aus diesen Gründen brauchen wir künftig viel mehr Strom. Wir brauchen alles: Wasserkraft, Photovoltaik, Wind, aber auch Grosskraftwerke. Die CO₂-freien Kernkraftwerke tragen einen Drittel zur Stromproduktion bei. Vorab geht es daher darum, dass sie länger betrieben werden können. Dafür müssen Investitionen getätigt werden. Was mich bekümmert: Wir sollten den Ausbau erneuerbarer Energiequellen schnell vorantreiben – aber das wird verhindert.

Von wem?
Von den Grünen und der SP. Sie torpedieren die beschleunigte Erschliessung der erneuerbaren Energien bei den Beratungen zum Beschleunigungserlass und wollen nichts ändern an den vielen Einsprachemöglichkeiten für die Umweltverbände. Damit sind die Linken die grössten Förderer des Baus neuer Kernkraftwerke.

Wann wird in der Schweiz ein neues Kernkraftwerk gebaut?
Zunächst geht es darum, das Technologieverbot aufzuheben. Dann muss man die Frage prüfen: Wie können die Rahmenbedingungen gestaltet werden, sodass investiert wird. Das grösste Risiko von langfristigen Investitionen sind abrupte politische Richtungswechsel.

Ein harter Asylkurs, neue Kernkraftwerke – wie nahe wollen Sie die FDP an die SVP rücken?
Wir arbeiten mit anderen Parteien zusammen, um Mehrheiten in wichtigen Themen zu gewinnen. Nur so bringen wir unser Land weiter. Die Differenzen mit der SVP sind aber in vielen Bereichen beträchtlich. Ich denke an die Individualbesteuerung, die ein Gebot der Gleichberechtigung der Geschlechter ist. Und wir bekämpfen wiederum die Neutralitätsinitiative, welche die Schweiz isolieren würde. Die SVP kippt in vielen Fragen immer mehr ins linke Lager, wie bei der einheitlichen Finanzierung stationärer und ambulanter medizinischer Leistungen oder auch plötzlich bei staatlichen Investitionskontrollen – was Investitionen hemmt. Die SVP wird zur gewöhnlichen europäischen rechtspopulistischen Partei und verliert ihre wirtschaftsliberale Ausrichtung.

Die FDP spannte früher oft mit der Mitte zusammen. Das funktioniert nicht mehr. Wieso?
Die Mitte ist immer weniger bereit, im bürgerlichen Lager zusammenzuarbeiten. Vor allem in sozial- und gesellschaftspolitischen Fragen orientiert sich die Partei nach links. Eine Ausnahme ist der Ständerat: Da arbeiten FDP und die Mitte gut zusammen. Wir sind da und dort bereit, auch mit der SP nach Lösungen zu suchen – nur ist diese Partei derzeit so ideologisch und kompromisslos wie noch nie.

Mit der Mitte kooperiert die FDP wenig, weil Sie und Gerhard Pfister sich gegenseitig nicht ausstehen können.
Ich habe keine persönlichen Vorbehalte gegenüber Herrn Pfister. Die Mitte will sich in Zusammenarbeit mit den Linken profilieren – und zwar mit dem Ziel, der FDP einen Sitz im Bundesrat wegzunehmen. Das mag legitim sein. Uns geht es aber nicht um reine Machtpolitik, sondern darum, die Schweiz mit dem bewährten und erfolgreichen liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell voranzubringen.

Anfang Jahr kursierten Gerüchte, wonach Sie das Amt als FDP-Präsident bereits abgeben. Machen Sie nun weiter bis zu den Wahlen 2027?
Diese Frage beschäftigt mich nicht. Ich bin mit vollem Engagement bei der Sache und kann auf ein sehr gutes Team zählen. (aargauerzeitung.ch)

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211 Kommentare
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CH120
05.10.2024 10:55registriert August 2020
Ich kann mir vorstellen, dass Burkart galubt was er sagt. Das ist schlimm genug.
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flausch
05.10.2024 10:54registriert Februar 2017
Ui. Die FDP die angeblich aus Prinzip schon Antifaschistisch sei (obwohl sie bereits damals mit den Fronten mitmarschierte) findet also eine Partei die offen mit Gewaltbereiten Neonazies schätzelet sei mittlerweile zu links. Wir haben langsam wirklich ein gröberes Problem auf bürgerlicher Seite. Wir sollten nicht vergessen das zwei Parteien die zusammen die Regierung dominieren sich gerade darüber streiten wer noch rechts(extrem) genug ist.
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Mocking Bert
05.10.2024 10:47registriert Februar 2022
Bei "Mitte-Präsident Gerhard Pfister will zwingend über Mehreinnahmen sprechen. Das ist das Gegenteil von Sparen." habe ich aufgehört zu lesen.

Das ist halt etwas, was die FDP schlimm findet: mehr Geld bei denen holen, die es im Überfluss haben.

Sollten wir aber, damit die Schere zwischen Arm und Reich wieder etwas zu geht, Herr Burkart!
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