Schweiz
International

Wie der Bund sich an Afghanistan die Zähne ausbeisst

Wie der Bund sich an Afghanistan die Zähne ausbeisst

Der Bundesrat versucht, Schweizer Staatsangehörige und Lokalmitarbeiter aus Kabul zu evakuieren. Doch bis jetzt nur mit wenig Erfolg.
19.08.2021, 06:1819.08.2021, 06:22
Nina Fargahi / ch media
Mehr «Schweiz»

«So schnell hat das niemand kommen sehen», sagte Bundesrat Ignazio Cassis an der Medienkonferenz zur Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Der Aussenminister zeigte sich überrascht: «Wie konnte so eine Revolution in nur wenigen Stunden passieren, ohne Widerstand der Armee, der Regierung und des Volkes?» Das sei die grosse geopolitische Frage, die sich heute stelle. Noch vor einer Woche habe man von dieser Situation in Afghanistan kaum eine Ahnung gehabt, so Cassis.

Bundesrat Ignazio Cassis spricht waehrend einer Medienkonferenz des Bundesrates zur aktuellen Lage in Afghanistan, am Mittwoch, 18. August 2021, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Aussenminister Ignazio Cassis am Mittwoch zur aktuellen Lage in Afghanistan.Bild: keystone

Sonst hätte man sich natürlich vorbereitet. Denn die Schweiz versucht derzeit, ihre Staatsangehörigen sowie die lokalen Mitarbeiter der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) per Flugzeug ausser Landes zu bringen – allerdings nur mit wenig Erfolg.

Zwar sind drei Schweizer Mitarbeitende, die Kabul am letzten Sonntag verlassen konnten, mittlerweile in der Schweiz angekommen. Sie wurden in einer US-Militärmaschine von Kabul nach Doha in Katar geflogen und von dort mit einer Linienmaschine in die Schweiz evakuiert.

>> Afghanistan: Alle News im Liveticker

Fürsorgepflicht für Mitarbeiter in Afghanistan

Eigentlich wollte das Aussendepartement am Dienstag ein Flugzeug nach Afghanistan schicken, erhielt jedoch plötzlich keine Landeerlaubnis. So sitzen seit Dienstag mehrere Auszufliegende in Afghanistan fest und warten auf eine Möglichkeit, in die Schweiz einzureisen. «Die Lage kann sich innert Stunden ändern», erklärte Bundesrat Cassis.

Im Moment können nur wenige Militärflugzeuge in Kabul landen, und dies jeweils nur kurz. Deshalb ist es auch organisatorisch aufwendig, die Auszureisenden zum richtigen Zeitpunkt gemeinsam an den Flughafen zu bringen, zumal der Zugang zum Flughafen vielerorts gesperrt ist und nicht alle durch die Kontrollposten passieren können. Dies sagte der Krisenmanager des Bundes Hans-Peter Lenz.

Some hundreds of people run alongside a U.S. Air Force C-17 transport plane as it moves down a runway of the international airport, in Kabul, Afghanistan, Monday, Aug. 16. 2021. Thousands of Afghans h ...
Die Lage am Flughafen Kabul ist nach wie vor unsicher. Am Montag versuchten Hunderte verzweifelt an Bord der ausländischen Flugzeuge zu gelangen.Bild: keystone

Daher werde mit Hochdruck nach Ausreisemöglichkeiten gesucht. Vor allem afghanische Mitarbeitende von westlichen Staaten und Organisationen seien nach der Machtübernahme durch die Taliban aufgrund ihrer Kooperation gefährdet, sagte der Bundesrat. «Die Schweiz hat als Arbeitgeberin eine Fürsorgepflicht für lokale Mitarbeitende in Afghanistan und hat daher entschieden, die Betroffenen und ihre engsten Familienmitglieder in die Schweiz aufzunehmen», sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter.

Umstritten ist: Die Aufnahme der rund 280 Personen werden dem Resettlement-Kontingent von 800 Personen angerechnet. Das sei die einfachste und am wenigsten bürokratische Lösung gewesen, sagte Keller-Sutter. Damit werde auf die Durchführung eines ordentlichen Asylverfahrens verzichtet und die Personen erhalten nach ihrer Ankunft und Registrierung in der Schweiz Asyl.

Dass damit die Quote von Aufzunehmenden gesenkt wird, indem sozusagen eigenes Personal unter die Kontingente fällt, ist für das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR aus Dringlichkeitsgründen nachvollziehbar. Es erhebt vor diesem spezifischen Hintergrund keine Einwände, zumal die Lage in Afghanistan sehr volatil bleibe, sagt Mediensprecher Walter Brill. Doch es bestehe weltweit generell ein Mangel an Resettlement-Kontingenten: «UNHCR würde es begrüssen, wenn die Resettlement-Staaten, einschliesslich der Schweiz, eine weitere Erhöhung bestehender Kontingente in Betracht ziehen würden.»

Allerdings wurde das Kontingent von 800 Geflüchteten im laufenden Jahr aufgrund der Pandemie nicht ausgeschöpft, argumentierte der Bundesrat. Deshalb appelliert die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) an die Regierung, vom Resettlement-Umsetzungskonzept Gebrauch zu machen. Eliane Engeler von der SFH sagt: «Es gibt auch in anderen Krisengebieten verletzliche Personen, die auf Resettlement angewiesen sind. Die Hilfe in der aktuellen Notlage sollte nicht zu Lasten dieser Personen erfolgen.» (bzbasel.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Taliban übernehmen die Macht in Afghanistan
1 / 18
Die Taliban übernehmen die Macht in Afghanistan
Am 15. August 2021 haben die Taliban ihr Ziel erreicht: Sie sind in der Hauptstadt Kabul einmarschiert und haben den Präsidentenpalast in ihrer Kontrolle.
quelle: keystone / zabi karimi
Auf Facebook teilenAuf X teilen
So dramatisch geht es derzeit in Afghanistan zu und her
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
44 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Jonas der doofe
19.08.2021 07:39registriert Juni 2020
Naja, kennen wir ja. Trotz intensivstem Beobachten, so dass einem fast die Augen ausfallen vor lauter Schärfen des Blicks, ist man jetzt total überascht. Aber hey, geht ja allen anderen auch so, oder?

Wer Parallelen zu Corona findet, darf sie behalten😊
5716
Melden
Zum Kommentar
avatar
Doppelpass
19.08.2021 09:16registriert Februar 2014
Noch vor einer Woche hatte man keine Ahnung, so Cassis.
Von was hat Cassis überhaupt eine Ahnung?
4213
Melden
Zum Kommentar
avatar
Madame Purple
19.08.2021 09:20registriert Februar 2021
"Noch vor einer Woche habe man von dieser Situation in Afghanistan kaum eine Ahnung gehabt, so Cassis."

Totales Armutszeugnis für den Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA.
Wie der Bund sich an Afghanistan die Zähne ausbeisst\n"Noch vor einer Woche habe man von dieser Situation in Afghanistan kaum eine Ahnung gehabt, so Cassis."

Totales Armutszeugnis für den ...
308
Melden
Zum Kommentar
44
Griechische Justiz schliesst extrem rechte Partei von Europawahl aus

Die ultranationalistische griechische Partei Spartaner (griechisch: Spartiates) darf nicht an den anstehenden Europawahlen im Juni teilnehmen. Dies beschloss am Mittwoch die für die Wahlen zuständige Abteilung des höchsten griechischen Gerichtshofes (Areopag).

Zur Story