Am Donnerstag hielt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mittels einer Videoübertragung seine Rede vor der Schweizer Bundesversammlung. Dabei betonte Selenskyj einmal mehr, was er von der Schweiz erhofft, und bedankte sich für das bisher geleistete. Für Aufsehen sorgte aber nicht nur die Rede selbst – ein Überblick.
Obwohl Wolodymyr Selenskyj sich nur über eine Videoübertragung zu Wort meldete und somit nicht vor Ort war, gab es beim Bundeshaus aussergewöhnlich viele Sicherheitsvorkehrungen. So wimmelte es im Parlamentsgebäude von Polizisten. Der Zugang zur Wandelhalle war für die meisten Leute gesperrt, die Zuschauertribüne ebenso.
Kurz nach 14 Uhr begann die Rede des ukrainischen Präsidenten. In dieser erinnerte Selenskyj an die Bitte seines Landes um Waffen. Diese brauche die Ukraine, um wieder ein Boden des Friedens zu werden.
Zugleich dankte Selenskyj der Schweiz für die Übernahme der Sanktionen gegen Russland. Er wisse um die Diskussionen um die Wiederausfuhr von Waffen aus Schweizer Produktion, sagte er. Gegen die russische Aggression könne man nur gemeinsam antreten. Im Kampf gegen den Aggressor brauche es den maximalen Zusammenhalt aller, die die Werte von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit teilten.
Moskau warf der ukrainische Präsident Kriegsverbrechen vor. Täglich gebe es Drohnen- und Raketenangriffe auf zivile Ziele. Russland habe den Kachowka-Staudamm gesprengt, es handle sich um eine menschengemachte Katastrophe. Zudem benutzten die Russen das AKW Saporischschja in zynischer Weise als Schutzschild.
Weiter schlug Selenskyj der Schweiz vor, einen globalen Friedensgipfel durchzuführen und dort federführend zu sein, wo sie ihre nationale Expertise am besten einsetzen könne.
Nach rund zehn Minuten war die Rede dann zu Ende. «Vielen Dank, liebe Schweiz!», sagte Selenskyj, ehe er mit dem klassischen «Slawa Ukraini», «Ehre der Ukraine», abschloss. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier reagierten mit einer Standing Ovation.
Die Ansprache sei ein Zeichen der Solidarität mit dem ukrainischen Volk, begrüsste Nationalratspräsident Martin Candinas (Mitte/GR) den Gast vor seiner Rede. Die Eidgenössischen Räte hätten den Angriff Russlands auf die Ukraine seinerzeit aufs Schärfste verurteilt. Diese Überzeugung sei unverändert.
«Sehr geehrter Herr Präsident, wir bewundern die Tapferkeit, den Mut und die Standfestigkeit, mit der sich die Ukrainerinnen und Ukrainer gegen den russischen Aggressor zur Wehr setzen», sagte Candinas.
Die Verabschiedung und den Dank an Selenskyj übernahm Ständeratspräsidentin Brigitte Häberli-Koller (Mitte/TG). Für ein kleines Land wie die Schweiz sei es von grösster Wichtigkeit, dass nicht das Recht des Stärkeren über das Schicksal von Menschen und Ländern entscheide, sagte sie.
Die Ukraine kämpfe an vorderster Front dafür, dass das internationale Recht respektiert werde, so Häberli-Koller. «Dies ist unser aller Interesse.»
An der Schweizer Unterstützung für die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine im Rahmen ihrer international anerkannten Grenzen dürfe kein Zweifel bestehen, sagte Häberli-Koller. Die Schweiz werde ihren Beitrag leisten an die «kolossale Aufgabe», die der Wiederaufbau der Ukraine sei.
Wie angekündigt boykottierte die SVP die Rede des ukrainischen Präsidenten – aber nicht vollständig. Sowohl der Berner Nationalrat Andreas Aebi als auch der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann kehrten nach der Mittagspause in den Saal zurück, um dem ukrainischen Präsidenten zuzuhören.
Aebi hatte bereits im Vorfeld angedeutet, dass er wohl auf einen Boykott verzichten werde. «Als in Wien wegen der Russen alle den Saal verliessen, bin ich auch sitzen geblieben», sagte er. Er sei zwar hin- und hergerissen, werde es nun hier aber wohl gleich halten und irgendwo hinten im Saal sitzen, kündigte er vor der Rede an, was er dann auch tatsächlich so tat.
Für viele überraschend war die Anwesenheit von Ständerat Germann, der im Anschluss deshalb bei den Medien ein besonders gefragter Mann war. Seine Anwesenheit im Saal sei «ein Akt des Anstands und des Respekts», erklärte Germann gegenüber dem «Blick». «Selenskyj steht derzeit in einem Krieg und sieht seine Leute sterben, er ist mit einer humanitären Katastrophe konfrontiert.» Er könne den Entscheid seiner Parteikolleginnen und -kollegen, die Rede zu boykottieren, deshalb nicht ganz nachvollziehen. Er respektiere aber, dass jede und jeder zu diesem Thema eine eigene Meinung haben könne.
Abgesehen von den vielen Abwesenden war der Saal fast voll, vereinzelte Parlamentarierinnen und Parlamentarier waren aber auch nicht vor Ort. So etwa der Zürcher SP-Politiker Daniel Jositsch, der im Ständerat engagiert für die Neutralität plädiert hatte.
Im Rahmen von Selenskyjs Rede kam es auf dem Bundesplatz zu Demonstrationen.
Vor Ort waren Unterstützerinnen und Unterstützer der Ukraine, aber auch Verfechter der Neutralität, welche gegen die Sanktionen der Schweiz gegen Russland sind.
(dab, mit Material von Keystone-sda)