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Interview

Bundesrat Guy Parmelin: «Die Energiekrise wird mehrere Jahre dauern»

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Bundesrat Guy Parmelin: «Die Energiekrise wird mehrere Jahre dauern»

Während es draussen kälter wird, sinkt die Angst vor einer grossen Energiekrise. Wirtschaftsminister Guy Parmelin warnt aber davor, sich in falscher Sicherheit zu wiegen, und sagt: Die grosse Belastungsprobe erwartet die Schweiz erst später.
22.10.2022, 09:59
Benjamin Rosch und Stefan Bühler / ch media
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Guy Parmelin: «Ueli Maurer zu ersetzen, wird nicht einfach.»
Guy Parmelin: «Ueli Maurer zu ersetzen, wird nicht einfach.»bild: tobias garcia

Es ist Wochen her, seit sich Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) zuletzt in einem Interview erklärt hat. Offene Fragen gibt es viele: Die Unsicherheit der Wirtschaft ist gross, in der Ukraine konzentriert sich der Krieg auf die Energie-Infrastruktur, der Winter und mit ihm die Angst vor einer Mangellage von Strom und Gas rückt immer näher. Im Gespräch mit CH Media äussert sich Parmelin zu den Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft - und nimmt erstmals Stellung zum Bundesratsrennen seiner Partei.

Beginnen wir bei Ihnen persönlich: Sie verlieren Ihren Alliierten im Bundesrat. Wie sehr schmerzt Sie der Rücktritt von Ueli Maurer?
Wir hatten eine sehr gute Beziehung und haben gut zusammengearbeitet. Ihn zu ersetzen, wird nicht einfach. Aber ich freue mich auch auf eine neue Kollegin oder einen Kollegen.

«Niemand weiss, wie sich der Krieg in der Ukraine entwickelt, oder wie streng der Winter wird. Deshalb muss man sich maximal vorbereiten.»

Wen wünschen Sie sich als neuen Kollegen im Bundesrat?
Ich kann mit allen gut leben.​

Sie stiegen damals nicht als Favorit in das Bundesratsrennen. Haben Sie den aktuellen Kandidierenden einen Tipp, wie man es in die Landesregierung schafft?
Das lässt sich nicht so pauschal sagen. Man muss zum richtigen Moment am richtigen Ort sein. Es braucht Kompetenz - aber auch etwas Glück. Und: Man muss immer sich selber bleiben.​

Bleiben Sie Wirtschaftsminister?
Die Departementsverteilung ist wie immer Thema an einer informellen Sondersitzung nach der Wahl des Bundesrats ...

Die Energiekrise wird Sie auf jeden Fall weiterhin beschäftigen. In Frankreich scheinen die AKW ihren Betrieb aufzunehmen, die Gasspeicher Europas sind gut gefüllt - muss man sich noch auf einen harten Winter einstellen?
Zuallererst: Das sind gute Nachrichten. Aber man darf die Situation nicht unterschätzen. Niemand weiss, wie sich der Krieg in der Ukraine entwickelt, oder wie streng der Winter wird. Deshalb muss man sich maximal vorbereiten. Wir haben die Energiesparkampagne lanciert, und die ersten Resultate sind zufriedenstellend: Die Bevölkerung ist sensibilisiert. Die Energiepreise sind noch immer hoch, auch diese Kosten animieren zum Sparen.

Sie haben den Krieg angetönt. Was kann in der Ukraine passieren, das sich direkt auf die Schweiz auswirkt?
Der Winter kommt, das kann zunehmende Flüchtlingsbewegungen zur Folge haben. Wenn plötzlich 30000 zusätzliche Personen in die Schweiz kommen, hat das einen Einfluss: Diese Menschen brauchen ein Dach – und auch mehr Energie.

Wie bereiten Sie sich persönlich auf den Winter vor?
Ich habe bei uns auf dem Bauernhof bereits vor einiger Zeit mit meinem Bruder den Keller mit Holzpellets gefüllt. Ausserdem spare ich natürlich Energie: Lichter löschen ist selbstverständlich. Und: Wir haben schon länger die Fenster ausgetauscht und installierten eine PV-Anlage auf dem Dach. Wir sollten so gut gerüstet sein.​

Sie haben die hohen Energiepreise angesprochen. Würden Sie Hand bieten, in Not geratene Unternehmen zu unterstützen?
Der Bundesrat hat dazu eine interdepartementale Arbeitsgruppe eingesetzt. 5 Departemente mit 12 Bundesämtern prüfen die verschiedensten Vorschläge. Ende Oktober wird Bilanz gezogen und der Bundesrat entscheidet.​

Bundesrat Guy Parmelin am Wirtschaftspodium Limmattal, am 20. Oktober 2022, in der Umwelt Arena in Spreitenbach.
Bundesrat Guy Parmelin am Wirtschaftspodium Limmattal, am 20. Oktober 2022, in der Umwelt Arena in Spreitenbach.Bild: keystone

In der Pandemie war Kurzarbeit ein probates Mittel, um Arbeitsplätze zu sichern.
Dieses Mittel besteht ja immer, um Arbeitsplätze zu sichern. Auch jetzt. Wir müssen analysieren, ob wir im Zuge der Energiekrise den Zugang zu Kurzarbeit erleichtern können. Aber hohe Strompreise alleine genügen im Moment nicht als Kriterium.​

Der Gewerbeverband forderte ausserdem, dass Unternehmen vom freien Strommarkt in die Grundversorgung zurückkehren dürfen.
Auch das prüft die interdepartementale Arbeitsgruppe. Aber ich muss schon sagen: Die Spielregeln damals waren klar: Wer sich am freien Strommarkt kurzfristig eindeckt, geht ein unternehmerisches Risiko ein. Nachträglich die Spielregeln zu ändern, kann auch eine Wettbewerbsverzerrung bedeuten. Aber mit solchen Preissteigerungen, wie wir sie jetzt erleben, hat wohl auch niemand gerechnet.​

Sie geben das Stichwort: Spielregeln. Es ist jetzt Ende Oktober und die Wirtschaft drängt darauf, endlich die Spielregeln in einer Mangellage zu kennen. Wann ist es so weit?
Beim Gas haben wir eine Verordnung vorgelegt. Beim Strom sagen uns alle Spezialisten: Vor Ende März nächstes Jahr ist das Risiko einer Mangellage sehr klein. Wir wollen bis Ende November diese Zeit nutzen und arbeiten unter Einbezug der Verbände daran, die Verordnungen noch wirtschaftsfreundlicher zu gestalten. Aber es ist kompliziert und wir wollen die Entscheide breit abstützen. Es gibt Kritik, aber die Arbeit ist konstruktiv.

«Bei Covid-19 hat die Polizei auch nicht kontrolliert, ob wir zu fünft oder zu sechst zusammen abendessen.»

Wann kommt dann die Verordnung zur Strom-Mangellage? Die Wirtschaft rechnet jede Woche damit.
Ich hoffe, im November. Dann geht die Vorlage in die Konsultation und anschliessend entscheidet der Bundesrat. Ich möchte nochmals betonen, dass derzeit gerade mit den Wirtschaftsverbänden Vorkonsultationen laufen und wir den grundsätzlichen Ablauf der Massnahmen bereits lange kommuniziert haben.​

Also wird es eigentlich eher Dezember, bis klar ist, wie die Schweiz in einer Strommangellage funktioniert. Derweil wächst die Ungeduld der Wirtschaft.
Ich rede auch mit der Wirtschaft und sehe, wie man nach Möglichkeiten sucht, Strom zu sparen. Die Bereitschaft, mitzuarbeiten, ist gross.​

Aber im Moment ist alles freiwillig. Wir hören vom Bundesrat, jede Kilowattstunde zähle, trotzdem werden in den nächsten Wochen mit grossem Energieaufwand kilometerweise Pisten beschneit. Wie geht das zusammen?
Die Skistationen werden es sich wegen der hohen Energiekosten gut überlegen, wie viel sie beschneien wollen. Sie kennen das Verhältnis zwischen Energieverbrauch und wirtschaftlicher Bedeutung der Randregionen. Es ist ihnen bewusst, dass sie beim Bund nicht einfach anklopfen können, damit wir helfen, diese Kosten zu minimieren. Die Massnahmen müssen ausgewogen sein und allenfalls immer wieder angepasst werden. Und vergessen Sie nicht: aktuell sind wir in einer normalen Situation. Gas und Strom sind vorhanden. Es ist aber sicher so, dass es hilft, wenn wir jetzt weniger Wasser turbinieren und mehr Reserven in unseren Stauseen behalten. Zudem sind wir Teil des europäischen Energiesystems, wir leisten einen Beitrag zur Versorgungssicherheit von ganz Europa.​

Könnten wir diesen nicht besser leisten mit einem verbindlichen Sparziel?
Jetzt haben wir gemäss Zahlen der Swissgrid im September 13 Prozent gespart, freiwillig. Wenn wir nun ein Sparziel von 5 oder 10 Prozent vorgeben, wird niemand mehr bereit sein, mehr zu sparen. Vorerst fahren wir besser mit Empfehlungen. Die Schweiz ist auch in der Pandemie-Krise oft mit Empfehlungen besser als mit Vorschriften gefahren. Es muss noch einmal eine Abwägung der Interessen in dieser Situation geben. Das ist die bewährte Schweizer Politik. Und sie hat auch in Krisen gute Resultate gebracht. Kommt es zur Mangellage, dann müssen wir bereit sein, Vorschriften zu erlassen.​

Beim Gas haben Sie die Verordnung für Mangellage schon in Vernehmlassung geschickt. Doch noch immer weiss man nicht, ob die Leute im Ernstfall zu Hause höchstens auf 19 Grad heizen dürfen. Wissen Sie schon mehr?
Wir werten die Vernehmlassung aus und werden das bald sagen können.​

Aber an der 19-Grad-Vorschrift halten Sie fest, obschon Hauseigentümer und Kantone das ablehnen?
Wir haben die Kritik gehört. Der Bundesrat wird dazu bald kommunizieren.​

Und dann kommt die Heizpolizei und kontrolliert das?
Schauen Sie, wir müssen in einer Krise pragmatisch vorgehen. Bei Covid-19 hat die Polizei auch nicht kontrolliert, ob wir zu fünft oder zu sechst zusammen abendessen.

Hand aufs Herz, wie viele waren Sie damals?
Maximal fünf, wie erlaubt. Einmal wären wir zu sechst gewesen, drei Paare. Dieses Essen mussten wir verschieben. Als Bundesrat muss ich, wie jeder Bürger, das Gesetz respektieren.​

Wie beurteilen Sie die längerfristige Entwicklung: Wird aus dieser Energiekrise noch eine Wirtschaftskrise?
Diese Gefahr besteht. In anderen Ländern sehen wir eine hohe Inflation. In Deutschland, unserem wichtigsten Handelspartner, droht eine Rezession. Das kann auch auf die Schweizer Wirtschaft einen Einfluss haben. Die Probleme hängen nicht allein mit der Ukraine-Krise zusammen. Es gibt verschiedene Faktoren, die Unsicherheit stiften.​

Welche?
Führt China seine Zero-Covid-Strategie weiter? Haben wir weiterhin Lieferengpässe? Oder wächst die chinesische Wirtschaft wieder, mit entsprechendem Bedarf an Öl und Gas? Solche Fragen haben Auswirkungen auf unsere Energiepreise. Das Gleiche bei den Lebensmitteln: Fällt das von der Türkei vermittelte Nahrungsmittel-Abkommen zwischen der Ukraine und Russland dahin, hätte das katastrophale Auswirkungen für die weltweite Ernährungssicherheit. Schon entsprechende Gerüchte führten jüngst zu Preissteigerungen.​

Kann sich die Schweiz auf solche Szenarien vorbereiten?
Wir versuchen das so weit als möglich. Doch wir sind vom Ausland abhängig. Wir haben unser System mit den Pflichtlagern, dauert eine Krise aber länger an, wird es schwierig.​

Impressionen des SVP-Volksfest auf dem Kapellplatz in Luzern unter anderem mit Bundesrat Guy Parmelin. Ueli Maurer konnte an diesem Abend nicht teilnehmen. (21. Oktober 2022)
Impressionen des SVP-Volksfest auf dem Kapellplatz in Luzern unter anderem mit Bundesrat Guy Parmelin. Ueli Maurer konnte an diesem Abend nicht teilnehmen. (21. Oktober 2022)bild: pius amrein

Bezüglich der drohenden Energie-Mangellage: Rechnen Sie damit, dass sich die Situation im Winter 2023 oder 2024 verbessert haben wird?
Nein, im Gegenteil. Ich rechne mit einer mehrjährigen Energiekrise. Wir müssen nicht nur an diesen Winter denken, sondern alles dafür tun, dass wir in der Schweiz mehr produzieren: Mehr erneuerbare Energien, mehr Effizienz. Aber 2023 und 2024 sind wir noch abhängig von Öl und Gas. Wie es in den folgenden Jahren aussieht, hängt davon ab, wie rasch wir unsere Produktion ausbauen können.​

Wie sehr schmerzt es Sie, dass die Schweiz kein Stromhandelsabkommen mit Europa abgeschlossen hat? Beim gescheiterten Solidaritätsabkommen wurde besonders deutlich: Die Schweiz wirkt isoliert.
Das verkompliziert die Situation, ändert aber nichts daran, dass wir unsere eigene Produktion ausbauen müssen und in ganz Europa Energie knapp ist. Bei den Solidaritätsabkommen laufen die Gespräche aber weiter.​

Mit dem Ausbau der Erneuerbaren, die nicht Bandenergie wie die Atomkraft liefern, wird der internationale Markt wichtiger. Die Schweiz ist da mangels Marktzugang klar benachteiligt. Müsste man dieses Abkommen nicht rasch vorantreiben?
Es ist grundsätzlich wichtig, dass wir unsere Beziehungen zur EU wieder stabilisieren. Aber für beide Seiten: Wir tragen auch zur Versorgung mit Energie in Süddeutschland bei. Es laufen Sondierungen mit Brüssel, aber es braucht zwei Seiten für eine Lösung.

Braucht es einen Energiegeneral, wie das Ihre Partei und auch Bundesratskandidat Albert Rösti fordern?
Es ist nicht die Frage eines Generals, sondern ob wir schneller bauen können. Hier hat das Parlament jetzt wichtige Entscheide gefällt.​

Hat der Bund die Krise unterschätzt?
Bei der Energie hat man die Risiken unterschätzt und sich in den letzten Jahrzehnten darauf verlassen, im Zweifel zu importieren. Ein Experte sagte mir, dass die Probleme auf den Entscheid zurückgehen, das AKW Kaiseraugst nicht zu bauen. Jetzt sind wir sehr abhängig geworden. Man hat es verpasst, rasch genug vorwärtszumachen beim Ausbau im Inland. Auch mit erneuerbaren Energien wie die Wasserkraft.

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52 Kommentare
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Gummibär
22.10.2022 10:53registriert Dezember 2016
"Man hat es verpasst, rasch genug vorwärtszumachen beim Ausbau im Inland. Auch mit erneuerbaren Energien wie die Wasserkraft."
Man ? Grundversorgung und Landesverteidigung sind Aufgabe und Pflicht der Bundesregierung. Diese hat es über Jahrzehnte versäumt die viel besungene und gerühmte Unabhängigkeit der Schweiz mit aktiver Energiepolitik zu schützen.
Nicht jeder kann seinen Keller mit Holzpellets füllen !
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BG1984
22.10.2022 10:43registriert August 2021
Naja, wenn man immer auf die Bremse tritt wenn es um den Ausbau erneuerbarer Energien geht, dann dauert es mindestens mehrere Jahre.

Es ginge aber auch anders.
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Das Internet
22.10.2022 11:39registriert August 2020
Unsere PV-Anlage liefert in diesem Moment gerade die maximale Strommenge. Dieses Jahr hats endlich mal finanziell richtig eingeschenkt. Die 8 Jahre davor wars dürftig. Hätte man Solarenergie europaweit anständig gefördert, sähe die Situation heute wohl anders aus und wir sässen weniger tief in der Tinte. Aber eben, hauptsache der Aktionär hat seinen Gewinn und seine Dividende. Langfristige Investitionen will da niemand. Ein Hoch auf die Privatisierung des Energiesektors!
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