Jetzt hat es also die Zürcher SVP auch noch geschafft. Nach langer Suche und vielen Absagen hat die Kantonalpartei mit Hans-Ueli Vogt einen Politiker gefunden, der den Bundesratssitz von Ueli Maurer beerben soll. Ausgerechnet Vogt. Ausgerechnet derjenige Politiker, der fast schon politikverdrossen letztes Jahr aus dem Nationalrat zurückgetreten ist.
Vogt und seine Parteikollegen stiessen am Mittwochmorgen auf viel Skepsis bei den geladenen Journalistinnen und Journalisten: Meint er das wirklich ernst oder ist es bloss eine Kandidatur für die «Galerie», damit man so tun kann, als wäre der Zürcher SVP wirklich ein ausgewogen zusammengesetzter Bundesrat wichtig? Und hat er wirklich eine Chance gegen den überall beliebten und anständigen Albert Rösti?
Unabhängig davon, wie diese Fragen in den kommenden Wochen beantwortet werden, bleibt Hans-Ueli Vogt einer der spannendsten Politiker der SVP. Er ist nicht nur Jurist und Politiker ohne Mandat, sondern charakterlich quasi die Antithese zum klassischen SVP-Politiker. Vogt wird zwar als «kopflastig» beschrieben, persönlich gibt er sich aber hedonistisch und fast schon emotional. Politisch tickt er ziemlich parteiprogrammtreu, ohne dabei rhetorisch einen Narren, den Troll oder Provokateur zu spielen.
Es sind Eigenschaften, die widersprüchlicher nicht sein könnten. Sie brachten Vogt aber den notwendigen parteiinternen Respekt: Er war das Aushängeschild und der Kopf hinter der gescheiterten Selbstbestimmungsinitiative und dominierte für die SVP die Debatte rund um den UNO-Migrationspakt.
Vogt vertrat diese Positionen so, wie er es als renommierter Rechtsprofessor und Dozent gewohnt war: stets wohlüberlegt und mit einer Haben-Soll-Analyse. Man glaubte ihm deshalb, dass ihm die Rechtsordnung, die internationalen Verträge und das Völkerrecht wichtig seien und er diese nur reformieren wolle.
Das brachte seiner Partei einen grossen Vorteil: Vogt war in Debatten kein leichter Gegner. Wer sich mit ihm duellieren wollte, musste sich gut vorbereiten, um nicht unterzugehen. Sei es in der Aussenpolitik oder in Wirtschaftsfragen.
Wenn die Parteileitung tatsächlich zu Vogt hält und die Bundesversammlung ihn am 7. Dezember in die Landesregierung wählt, so wäre das ein grosser Sieg für die SVP: Vogt wäre ein fachlich starker Bundesrat, der selbst die notwendigen Argumente für SVP-Politik liefern könnte, ohne für jedes Detail auf seinen Stab an Beraterinnen und Beratern zurückgreifen zu müssen. Und er könnte dies glaubhaft tun – was zumindest beim zurücktretenden Bundesrat Ueli Maurer nicht immer der Fall war. Bei ihm war häufig unklar, welche Rolle er spielt, welche Interessen er vertritt und ob er sein Amt und das Ansehen seines Amtes wirklich ernst nimmt.
Wenn die SVP ihre Politik voranbringen und gleichzeitig die Gegner schwächen will, so wäre Vogt also der ideale Kandidat: Er wäre der brave und gescheite Hardliner. Und vor allem wäre er das, was sich die Linke und politische Mitte wohl für sich selbst wünschte: der erste offen homosexuell lebende Bundesrat.
Vogt birgt aber auch ein grosses Risiko, worauf die SVP-Gegnerschaft hoffen darf: Der «kopflastige» Politiker hört zu, wenn es um die Sache geht. Und er lässt sich entsprechend mit guten Argumenten überzeugen, sodass er auch bereit ist, den Kampf gegen die eigene Partei zu führen. So geschehen 2018 bei der Revision des Aktienrechts: Vogt wollte Kommissionssprecher werden, wogegen die SVP-Kolleginnen und -Kollegen auf die Barrikaden gingen.
Der Zoff – so erzählt man es sich bis heute – eskalierte derart, dass bei Vogt die Tränen flossen. Vogt präsentierte sich menschlich und signalisierte, dass auch ein SVP-Politiker mal genug vom pöbelhaften Auftritt seiner Partei haben kann. Vogt machte damals allen klar, dass er in erster Linie ein Mensch mit Gefühlen ist, der nur sekundär die Rolle eines Politikers spielt. Und er blieb dabei konsequent: Wer ihn auf Instagram sucht, findet Vogt in Badehosen und oben ohne. So wie Vogt nun mal privat ist.
Solche Bilder sind normalerweise den Erzkonservativen der SVP ein Dorn im Auge (vor allem dann, wenn es um politische Gegnerinnen geht). Wir erinnern uns: Als es ähnliche Fotos der SP-Nationalrätin Tamara Funiciello oder der finnischen Premierministerin gab, reagierten SVP-Exponenten mit Verspottung oder Hass und vor allem mit Sexismus.
Präsentiert sich künftig aber selbst ein SVP-Bundesrat menschlich, manchmal freizügig und vor allem als fühlender Mensch, so dürfte dies seine Partei zu mehr Empathie zwingen. Vogt machte am Mittwoch schon mal klar, dass er nichts dagegen hat. Er sagte, dass seine sexuelle Orientierung ihn zu einem «empfindsameren und rücksichtsvolleren Menschen» mache – für Vogt eine «nützliche Eigenschaft» als Bundesrat.
Aber der Inhalt ist mehr: "Warum Hans-Ueli Vogt der bessere Bundesrat ist."
Oder habe ich die Risiken und Nebenwirkungen überlesen?